Zunächst eine Ergänzung zum ersten Teil. Ich hatte dort zusammengefaßt: „Seit den Jahren 2003 und 2004 liegt also “das Material”, “die Substanz” eines großen, komplexen Steuerbetrugs-, Korruptions-, Banken-, Justiz- und Politikskandals vor.“ Etwas deutlicher zu den Umrissen dieser „Größe und Komplexität“: Zehn Jahre später von der Steuerfahndung aufgenommene Ermittlungen führten zu 19 Selbstanzeigen + einer unbekannten Zahl von Verfahren (was den Steuerbeamten vor dem Bayrischen Untersuchungsausschuß im Mai 2013 aber nicht hindert, Mollaths damalige Hinweise als „wirr“ zu bezeichnen!). 2002/2003 war gerade erst der Diehl-Steuerskandal (Fahnderin Ingrid Meier) niedergeschlagen worden, und am nächsten Skandal (Siemens-Schelsky, 2006) wurde fleißig geköchelt. All das im Nürnberger Soziotop – gleicher Ort, gleiche Zeit, teils gleiche Protagonisten.
Die Straubinger Zeit
* Wie kam es dazu? ** Wie war der Verlauf? *** Was folgt daraus?
Unter den vielen Monströsitäten des Mollathskandals ragt noch einmal heraus – Straubing, buchstäblich die „Mutter aller Monströsität“. Gabriele Wolff hat viele Ereignisse zusammengetragen (im Link nach „Straubing“ suchen) und bewertet, doch es gibt nach wie vor große Informationslücken. Ich mache mir nach allem Überlegen einen Reim, doch übermächtig bleibt das Gefühl, im Dunkel zu tappen.
Die einfachsten Fragen sind offen. Was trieb Leipziger und Zappe zu ihren fast schon hektischen Interventionen (5. und 7. 4. 2006), wie kam die Anordnung der zeitweiligen Betreuung (Entmündigung) durch Amtsrichterin Schwarz (7.4.2006), sowie die Bestellung des Gebeßler als Betreuer zustande? Was bedeutete die zeitweilige Betreuung (Entmündigung) Mollaths a) für seine Verteidigungsfähigkeit, b) die Bewahrung seiner bürgerlichen Existenz? Welchen Psychiatern war Mollath in Straubing unterworfen? Wie wurde die weitere Unterbringung in Straubing (zwangsweise Betreuung, die laut Chronologie erst am 21.9.2007 endet?) nach Beendigung der zeitweiligen Betreuung (6.10.2006) gerechtfertigt? Wie wurden die juristisch korrekten und menschlichen Anstrengungen der Richterin Fleischmann, Mollath zu entlassen (23.5.2007) zunichte gemacht? Auf Grund welcher Therapiefortschritte wurde Mollath, der sich nicht therapieren ließ, schließlich aus Straubing rückverlegt? Fragen über Fragen, es werden immer mehr und keine Antworten.
Da bleibt mir nur das Nachdenken.
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Nach den Dokumenten, die RA Dr. Strate zu Leipziger, Eberl und Brixner erarbeitet hat (+ dem Dokument zu den vorgeworfenen Reifenstechereien), gilt diesen Tätern die besondere kritische Aufmerksamkeit der Mollath-Unterstützer. Demgegenüber sehe ich die außerordentliche Härte der Behandlung Mollaths durch Richterin Schwarz auf Basis Gutachten Dr. Zappe mit der Folge, seine Verteidigungsfähigkeit weitgehend zu zerstören (und zwar im Vorfeld des Urteils!) nur wenig reflektiert. Desgleichen die Bestellung Gebesslers im selben Zusammenhang und die dann folgenden dubiosen Verfahrensweisen mit Mollaths Eigentum. Bei Letzterem ging es nicht einfach darum, wie mit der einen oder anderen Sache zu verfahren sei, sondern um die Vernichtung der bürgerlichen Existenz des Delinquenten.
Wenn ich der Argumentation Strates folge, sehe ich Leipziger, Eberl und Brixner an Verbrechen beteiligt. Ich frage mich, ob für Zappe, Schwarz, Gebessler sowie diverse mit dem Fall Mollath befaßte Polizeibeamte nicht eine vergleichbare rechtliche Würdigung angemessen und notwendig ist. (Den Versuch, auf 140 Seiten eine solche Antwort zu geben, kann ich nicht leisten. Hier wären Juristen gefragt.) Wenn ja, hätten wir es nicht mehr mit einzelnen Rechtsbrechern zu tun, sondern mit einem sich über Richter, Psychiater und Polizei- und andere Beamte erstreckenden und von Staatsanwälten unbehelligten bzw. gedeckten Verbund von (zumindest in diesem Fall) kriminell handelnden Personen.
Eine solche Erscheinung, die ich hier Verbund nenne, wäre erklärungsbedürftig. Wer sog. Verschwörungstheorien vermeidet, könnte auf Filz verweisen: Sie kennen sich alle. Sie ticken alle ähnlich. Sie verstehen sich blind. Da braucht es keinen Motivator, keinen externen Einfluß usw. Der Charme dieser Betrachtung, die kein handelndes Subjekt kennt, allenfalls ein diffuses Subjekthandeln aus dem alltäglichen Filz heraus, leidet erheblich, wenn die zahlreichen Beteiligten schwere Rechtsbrüche gleichsam in Serie verüben. Wenn die sozusagen „Kumpel-Situation“ derart eskaliert, sollten die Nicht-Verschwörungstheoretiker ein Problem haben.
Ich als „Verschwörungstheoretiker“ würde nicht soweit gehen, eine ausgeprägte mafiotische Struktur zu unterstellen. Die hier am „Verbund“ Beteiligten mögen im Normalfall als durchschnittliche, pflichtbewußte, unauffällige Beamte gearbeitet haben. (Es fragt sich, ob der Rückzug von Dr. Wörthmüller nicht damit zusammenhängt, daß er geahnt hat, daß es bei Mollath nicht beim Normalfall bleibt und er da nicht hineingezogen werden wollte.) Der Fall Mollath war kein Normalfall. Hier wurde Bestimmtes verlangt. Hier durfte man/frau sich „weit aus dem Fenster lehnen“, ohne Folgen befürchten zu müssen, ja, es war deutlich erwünscht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sicher brauchte es dazu kein Politbüro, das entsprechende Anweisungen gab.
Das Ziel bestand darin, Mollath zum Schweigen zu bringen. Und es ging darum, dies mit so gut wie absoluter Sicherheit zu erreichen. Ich denke, daß Stimmen des Großen oder auch der Mittelgroßen Geldes (bzw. dessen Funktionäre) dieses Ziel wünschten, wahrscheinlich ohne sich zum „Wie?“ festzulegen. Dieses Ziel war in geeignet orientierender Weise von Menschen mit der notwendigen politischen Gestaltungsmacht den Leuten aus dem erwähnten „Verbund“ zu vermitteln. Die Wege und natürlich die handelnden Personen bleiben im Dunkeln. Zum Zwecke der Anschaulichkeit, gleichsam als Platzhalter, erwähne ich zwei Personen, aus einschlägigen Diskussionen bekannt, ein trautes aber keineswegs hochheiliges Paar: Innenminister Beckstein, ab 2007 bis 2008 Ministerpräsident und Beate Merk, Justizministerin seit 2003 bis, man glaubt es nicht, auf den heutigen Tag.
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Die Bemühungen um die Entmündigung Mollaths und die (zumindest zeitweilige) Isolationshaft in Straubing drücken das Ziel aus, den Mann psychisch und dann auch physisch zu zerstören. Das wurde fast erreicht, wie Briefe dokumentieren, in denen Mollath Freunde um Hilfe bittet. Zwei Ereignisse traten ein, die diesen eigentlich absehbaren Fortgang des Verbrechens an Mollath verhinderten.
Auf der Grundlage seiner Briefe bildete sich, zunächst in kleinster Form, ein Unterstützerkreis, der Mollath weiter mit dem Leben verband und besonders seine Kraft zum Widerstand am Leben erhielt und wohl auch neu entfachte.
Durch das sowohl pflichtgemäße als auch humane Wirken der Richterin Fleischmann (und des durch sie ausgelösten Gutachtens von Dr. Simmel) wurde die dauerhafte Entmündigung Mollaths abgewendet. Das heißt, daß er nicht zur Einnahme von Psychopharmaka gezwungen werden konnte.
Damit und mit den weitergehenden Bestrebungen von Richterin Fleischmann, Mollath frei zu lassen (Vergl. Chronik) war jetzt (Mitte 2007) das oben formulierte Ziel gefährdet. Offensichtlich wurde aber an diesem Ziel unvermindert festgehalten. Es wäre zu prüfen, inwieweit noch nicht eingetretene Verjährungsfristen dabei maßgebend waren. Der Antrag von Richterin Fleischmann an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom Oktober 2007 verlief jedenfalls im Sande. Wenn ich richtig informiert bin, war zu dieser Zeit Freund Helgerth Generalsstaatsanwalt in Nürnberg. Mit ihm hatten wir hier und hier schon einmal Bekanntschaft gemacht, als er seine Rotarier-Freunde über den Fall Mollath desinformierte. Am 1.7.2008 trat Klaus Hubmann sein Amt als Generalstaatsanwalt in Nürnberg an, überschwenglich gelobt von seiner Ministerin Merk: „Bereits seit vielen Jahren kämpfen Sie mit großer Leidenschaft in der Nürnberger Erfolgstruppe…“ oder hier: „Herr Hubmann hat auf sämtlichen von ihm bekleideten Ämtern Herausragendes geleistet. Seine Amtsführung war geprägt von höchstem fachlichen Können und beispielhaftem persönlichen Engagement. Ich weiß das Amt des Nürnberger Generalstaatsanwalts bei ihm in besten Händen.“ Herr Hubmann, der selbst ein Millionenvermögen in der Schweiz verwaltet oder mitverwaltet (was ja in keiner Weise rechtswidrig ist), hat zweifellos auch im Fall Mollath ganze Arbeit geleistet. Beckstein (inzwischen zum Ombudsmann in Sachen Korruption bei Siemens engagiert – brüllendes Gelächter aus der Hölle!) und Merk konnten zufrieden sein. Und Mollath blieb weiter in der HochsicherheitsPsychiatrie. (Übrigens: Den und einen weiteren Link zum Thema Korruption-Siemens-Beckstein hat Reinhard Munzert mitgeteilt. Und ein zweites Übrigens (um die Menagerie zu vervollständigen): ab 2007 ist Söder Minister in Bayern und ab 2008 ist es auch Frau Haderthauer.)
Damit aber nicht genug. Jemand (da sich der- oder diejenige nicht meldet, nehme ich als Platzhalter wieder Frau Merk) machte „Nägel mit Köppe“. Nach dem „undiskutablen“ Gutachten von Dr. Simmel war ein internationaler Spitzengutachter nötig, einer der „Creme de la Creme“- Menschen, wie Frau Merk sie liebt.
Der Mann, Kröber sein Name, ohne einmal den Querulanten zu erblicken, lieferte sein Werk ab und Mollath war weiter eine Gefahr für die Allgemeinheit, Risikostufe: höchst. Mir fällt es an dieser Stelle schwer, nicht in Galgenhumor zu verfallen. Mit Kröber greift ein Edelexperte ins Geschehen ein, was sich später mit Pfäfflin und (in anderem Zusammenhang) mit Frau Rückert wiederholt. (Auch Leipziger mit seiner Bayreuther Forensik-Tagung ist ja ein halber Edelexperte.) Solche Kapazitäten! Vielfach nachgewiesene Leistungen! Dekoriert! Manch Mollathunterstützer ist verwirrt. Doch es geht nicht darum, Menschen, Persönlichkeiten zu bewerten, anzugreifen oder zu verteidigen. Ihr konkretes Verhalten im Fall und ihr abgeliefertes Ergebnis zählen. Kröber verhielt sich unwürdig und skrupellos, und sein Gutachten verlängerte die von Anfang an aufgehäufte Zweckliteratur, die das Schicksal von Mollath, geht es nach solchen Wissenschaftlern oder Medizinern, bis ans Ende seiner Tage bestimmen soll.
Erst im Mai 2009 (auf den Tag gestern vor vier Jahren) wird Mollath von Straubing ins BKH Bayreuth verlegt. Warum ist unklar.
Mir scheint, daß sich die Zielstellung der Freiheitsberaubung Mollaths im Verlauf der Straubinger Zeit nicht nur in der oben beschriebenen Weise modifiziert hat. Zu beachten ist (und wäre von Juristen übersichtlich aufzuarbeiten), daß manche Verjährungsfristen gegen Ende von Straubing (ab 2008) greifen. Vor allem aber hat die kapitalistische Krise mit Schwerpunkt Finanzkapital seit 2008 alle Maßstäbe verändert. Mollaths Anzeigen betrafen, meine Wissens, keine Summen in der Nähe von 1 Milliarde. Das heißt die offenen Bankenskandale ab 2008 sind hundertfach größer als das, was Mollath aufdeckte. Der Dieter Rampl von heute dürfte lachen (falls ihm immer noch zum Lachen ist) über die damaligen Querelen. Längst ist Bankendeckung Chefsache in Berlin, von Ackermann oder Asmussen, mit zugeordneter Bundeskanzlerin.
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Die Karawane des Großen Geldes ist weiter gezogen. Geblieben sind die involvierten Juristen, Psychiater, Politiker. Ihre Schandtaten der vergangenen Jahre zeugen die Schandtaten der Zeit nach Straubing bis in die Gegenwart fort. Und wieweit in die Zukunft? Mit einem Hasso Nerlich, mit einer Beate Merk wird es keine Gerechtigkeit für Gustl Mollath geben. Und noch ein Motiv ist entstanden: Über die Jahre hat man sich einen wachen, unbestechlichen Zeugen herangezogen. Mollath hat umfassenden Einblick und könnte ein „Zehnfach-Wallraff“ werden. Davor haben bestimmt etliche Leute Angst und werden alles tun, es zu verhindern.
Die Mollathunterstützer haben allen Grund mit großem Ernst, vervielfachter Kraft und auch mit neuen Ideen für die Freiheit von Gustl Mollath zu kämpfen.
Wenn ich auf diesen Text zurückblicke, haben einige Deutungen von sich aufdrängenden unbegriffenen Problemen eine größere Rolle gespielt als ich zunächst vorgesehen hatte. In einem dritten Teil wird wohl noch einmal das Unbegriffene des Geschehens im Vordergrund stehen.
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PS 16.5.:
Daß Straubing eine Psychiatrie ist, in der der Autofan und geschickte Bastler Mollath keine Modellautos bauen durfte, ist mir wohlbekannt. Vielleicht fahren ja diese süßen kleinen Autos noch mehr unerwarteten Erkenntnisgewinn für den Mollathskandal ein.