Das Grundgesetz und die Spaltung Deutschlands

Aus den Lebenserinnerungen von Max Reimann:

M. R. zum Auftrag des Parlamentarischen Rates eine separate westdeutsche Verfassung auszuarbeiten:

„…Der Parlamentarische Rat ist auf Grund der Londoner Empfehlungen zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland gespalten. Wir sind der Auffassung, daß gerade was die Stadt Berlin anbelangt, wir in der jetzigen Situation äußerste Vorsicht beobachten müssen. Es hat keinen Zweck, wenn wir als Deutsche die sich anbahnenden Verhandlungen der alliierten Großmächte durch einen solchen Akt stören …

Ich stelle daher folgenden Antrag:

Der Parlamentarische Rat stellt seine Beratungen über eine separate westdeutsche Verfassung ein.

Begründung:

1. Die Bildung des Parlamentarischen Rates erfolgte auf der Grundlage der Londoner Empfehlungen.* Diese aber verstoßen gegen die völkerrechtlich bindenden Verträge von Jalta und Potsdam.

In diesen Verträgen haben die vier Großmächte die Ausübung der staatsrechtlichen Souveränität in Deutschland mit der Verpflichtung übernommen, für die Errichtung eines einheitlichen demokratischen Deutschlands zu sorgen und dann die Souveränität an das deutsche Volk zurückzugeben. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten staatsrechtliche Veränderungen nur durch alle vier Großmächte gemeinsam vorgenommen werden.

2. Der Parlamentarische Rat hat kein Mandat vom deutschen Volk. Er ist sogar gegen den Willen der Mehrheit aller Deutschen errichtet worden. Das deutsche Volk will eine einheitliche demokratische! Republik mit einer Verfassung, die von einer durch das ganze deutsche Volk gewählten Nationalversammlung ausgearbeitet und dann dem Volke zur Abstimmung vorgelegt wird…

* R. zu den Londoner Empfehlungen:
„Auf der im November/Dezember 1947 in London tagenden Außenministerkonferenz der vier Mächte wurden, von den USA, England und Frankreich alle Vorschläge der Sowjetunion abgelehnt, einen Friedensvertrag zu beschließen und entsprechend dem Potsdamer Abkommen gemeinsame zentrale deutsche Verwaltungen zu schaffen.“

Die wirtschaftliche Spaltung:
„Am 20. April 1948 wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht eine Gruppe von deutschen Bankspezialisten, unter ihnen Pferdmenges, Abs, Dr. Blücher, Prof. Erhard, insgeheim nach der amerikanischen Kaserne in Rothwesten bei Kassel gebracht. Diese Kaserne wurde mit hohem Stacheldraht umgeben und von einem starken Aufgebot amerikanischer Militärpolizei bewacht. Sie ging in die Geschichte als Konklave von Rothwesten ein. Entgegen den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurde dort festgelegt, die einheitliche deutsche Währung zu zerstören. Das war der erste Schritt zur Spaltung Deutschlands.

Es waren die ehemaligen Wehrwirtschaftsführer Hitlers, die im Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Macht die deutsche Währung und die Wirtschaft spalteten und später mit Hilfe des Parlamentarischen Rates politisch die Spaltung Deutschlands vollzogen. Es waren jene Leute, an deren Händen das Blut von Millionen Menschen aus allen Ländern Europas klebte.“

Die Besatzungsmacht erteilt Auftrag zur Schaffung des GG:
„Die Ausarbeitung der Verfassung, des Grundgesetzes, ist, wie die wenigsten heute noch, wissen, keineswegs im Auftrag des deutschen Volkes erfolgt. Die Bevölkerung war überhaupt nicht gefragt worden. So konnte später denn auch ein bekannter Staatsrechtler seinen Kommentar zum Grundgesetz mit den Worten beginnen: „Am Anfang stand die Weisung!“ Nämlich der Besatzungsmächte! Die Bevölkerung hatte überhaupt keine Möglichkeit, sich in demokratischer Selbstbestimmung zu diesem tiefen Einschnitt zu äußern. Die Mitglieder des Rates wurden in, den Landtagen der Länder der Trizone bestimmt. Es ist darum eine große Irreführung, wenn es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, das deutsche Volk habe diese Verfassung in freier Selbstentscheidung beschlossen. Vielmehr stand am Anfang der Befehl der Besatzungsmächte. Treffend charakterisiert Karl Jaspers die Methoden, mit denen die Entscheidungen vollzogen wurden: „Das Volk wußte gar nicht, was ihm geschah, und wirkte nicht mit.

Der Verfassungsgrundsatz, wonach alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat, ein Grundsatz, der auch im Artikel 20 des Grundgesetzes enthalten ist, war somit schon in der Geburtsstunde des westdeutschen Staates nur ein Lippenbekenntnis.

Es war überhaupt kennzeichnend, daß der Parlamentarische Rat in seinen Entscheidungen nicht souverän war. Am 30. September 1948 ließen die Militärgouverneure die Katze aus dem Sack. Sie erklärten, daß der Rat keine Ermächtigung hätte, von den ihm kraft Besatzungsrecht übertragenen Aufgaben abzuweichen. Am 19. Oktober 1948 wurden Befehle über die Verteilung der Machtbefugnisse zwischen Bund und Ländern unterbreitet. In einer Denkschrift an Adenauer vom 22. November des gleichen Jahres wurde dem Rat sogar ein ganzer Befehlskatalog übergeben. Die Militärgouverneure erklärten, nur unter diesen Bedingungen ihre Zustimmung zum Grundgesetz zu erteilen.

Die Kommunisten forderten die Ächtung des Krieges im GG:
„Im Entwurf des Grundgesetzes gab es keine Festlegung, den Krieg zu ächten und die Rüstung zu untersagen. Es war aber ein Absatz vorhanden, daß zur Kriegführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden dürfen. Das war für die Schuldigen am zweiten Weltkrieg, deren ökonomische und politische Macht ständig anwuchs, die Öffnung der Tür zur Wiederaufrüstung. Das konnten wir Kommunisten nicht hinnehmen.

Durch unseren Genossen Heinz Renner beantragten wir, den Passus aufzunehmen:

„Der Krieg ist geächtet. Kein Staatsbürger darf zum Kriegsdienst gezwungen werden.“

Unser Antrag wurde zunächst zurückgestellt, aber später ganz abgelehnt. Statt dessen wurde eine Formulierung der SPD in das Grundgesetz eingebaut, wonach niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann. Der wesentliche Grundsatz, den Krieg zu ächten, wurde unter den Tisch gefegt.“…

Die beiden Hauptgründe der Ablehnung des GG durch die Kommunisten:
Das Grundgesetz war die Spaltungsurkunde Deutschlands. Es ging hervor aus einem einseitigen, im Widerspruch zu den Potsdamer Verpflichtungen, ergangenen Befehl der westlichen Besatzungsmächte. Es stellte die Sicherung der Macht- und Profitinteressen des Großkapitals, der Schuldigen an der Katastrophe von 1945, höher, als die Interessen der Mehrheit der Menschen im Land. Dazu konnten die Kommunisten nicht ja sagen.

  1. Die im Grundgesetz verkündeten demokratischen Rechte gingen den Kommunisten nicht weit genug. Es fehlten und fehlen – anders als in der UNO-Deklaration der Menschenrechte von 1948, in einigen Länderverfassungen der Bundesrepublik und insbesondere in der DDR-Verfassung usw. festgeschrieben – die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte und ihre Einklagbarkeit. Ausdrücklich stimmten Max Reimann und Heinz Renner den im Grundgesetz verankerten Grundrechten zu, betonten aber gleichzeitig, dass sie im Rahmen der Herrschaft des Großkapitals ständig bedroht sein würden und deshalb nicht ausreichten.

Als Reimann und Renner die Unterschrift unter das Grundgesetz versagten, begründete das Max Reimann mit folgenden Worten: „Sie, meine Damen und Herren haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ (Quelle)

Ein Gedanke zu „Das Grundgesetz und die Spaltung Deutschlands“

  1. Den Einwänden, dass dieses wunderbare Grundgesetz nicht durch eine vom Volk gewählte Nationalversammlung ausgearbeitet und dem Volke zur Abstimmung vorgelegt wurde, habe ich lange keine Beachtung geschenkt, denn wer fragt schon nach der Geburt, wenn etwas schier Einzigartiges dabei herausgekommen ist.

    Lese ich aber, dass bei diesem einseitigen Vorgehen der westlichen Siegermächte zwei völkerrechtlich bindende Verträge, nämlich die von Jalta und Potsdam gebrochen wurden, und die Vorschläge der Sowjetunion, einen Friedensvertrag zu beschließen und  gemeinsame zentrale deutsche Verwaltungen zu schaffen, abgelehnt wurden, wird schon ein Muster deutlich, das sich bis heute überall zeigt: nämlich jede Schwäche zu nutzen, als eine Gelegenheit und rasch,rasch, ehe sich das Zeitfenster schließt, Tatsachen zu seinen Gunsten zu schaffen, dafür zu sorgen, dass man „ein Bein in der Tür behält“. Dazu zählt der Besatzerstatus, aus Kasernen werden Militärstützpunkte. Und was da so hineininterpretiert werden kann in „die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist strafbar“.

    Die Währungsreform von 1948 habe ich bisher nicht zugleich als einen Schritt angesehen, damit die einheitliche deutsche Währung zu zerstören. „Das war der erste Schritt zur Spaltung Deutschlands“, heißt es im Text.

    Dass mir das alles lange gar nicht auffiel war, dass ich als im Westen Deutschlands Sozialisierte eine ausgesprochen positive, expandierende Wirtschaft erlebte. Es ging uns gut, die Gewerkschaften erwirkten regelmäßig Lohnerhöhungen über den Inflationsausgleich hinaus. Viele Arbeitsplätze. wir holten Gastarbeiter ins Land.

    Als ich aber irgendwann so um Anfang 1970 die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik der USA und im Gefolge Deutschlands (Chile 1973, Argentinien 1976 z.B.) und auch das erste Unbehagen über diese technologische Entwicklung ohne Rücksicht auf schädliche Auswirkungen anderswo und in unserer Umwelt, (die wie man sagte, keine Rechnung stellt), begann ich auch das Grundgesetz auf diese Probleme hin zu hinterfragen.

    Dann erst stimmte ich zu, dass den Menschenrechten, die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte und ihre Einklagbarkeit, fehlen.

    Dennoch ist das Grundgesetz in seiner Form vor den Verhunzungen der letzten Jahre (dazu zähle ich auch die Aussagen zum Militär in einem Bündnis, Schuldenbremse) eine tragfähige Entscheidungsgrundlage für Rechtsprechung und politisches Handeln.

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