Angriff auf die Kinder- und Jugendhilfe (II)

Der neoliberale Angriff der CDU/SPD-Regierung auf die Kinder- und Jugendhilfe wird seit Wochen und Monaten immer nachdrücklicher und profilierter vorgetragen. Zuletzt mit einer „Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen /Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch am 23.8.2016“.

Wie im gestrigen Posting „Angriff auf die Kinder- und Jugendhilfe (I)“ dokumentiert, wurde jetzt die Ebene der Referentenentwürfe verlassen und die Gesetzesänderungen werden zügig in den parlamentarischen Geschäftsgang überführt. Jetzt regt sich auch zunehmend Widerstand. Er bleibt jedoch nach wie vor zu schwach und zu partiell und findet nicht die öffentliche Aufmerksamkeit, die geboten wäre.

Es geht um die Hilfe für Kinder und Jugendliche, für ALLE Kinder und Jugendliche, also gerade auch um diejenigen, die der besonderen Unterstützung durch den SOZIALSTAAT bedürfen. Der soziale Rechtsstaat BRD, gemäß Grundgesetz, steht im Gegensatz zur Opferung von Lebens-Chancen leistungsschwächerer Menschen nach den Dogmen des Neoliberalismus.

Die Problematik ist schwerwiegend und brisant genug, um auch hier im Blog Raum einzunehmen und auch grundsätzliche professionelle Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Die folgende Stellungnahme setzt aus meiner Sicht entscheidende Schwerpunkte, weshalb ich sie hier vollständig (gegliedert in voraussichtlich zwei Fortsetzungen) übernehme:

stellungnahme-seite-1

„Viele der geplanten Veränderungen werden in der Jugendhilfe bereits praktiziert und wurden in den letzten Jahren von Politik und Verwaltung massiv forciert – bis hin zu illegalen Verfahrensweisen und Entscheidungen. Heute zeigt sich, dass sich der politische Wille in diesen fatalen Praxisentwicklungen längst formiert hat und nun mit der Novellierung offensichtlich legalisiert werden soll.

Der Schwerpunkt der Stellungnahme liegt auf den Kapiteln 1 und 2 des Gesetzentwurfes. In die Stellungnahme gehen also nur die §§ 1 bis 41 ein. Diese betreffen insbesondere den direkten Inhalt der einzelnen „Leistungen“.

Uns ist bewusst, dass danach noch umfangreiche und hochproblematische Veränderungen folgen, insbesondere zum Verhältnis freie Träger und öffentliche Träger, zu denen wir bisher noch nicht Stellung beziehen.

Zur Zeitplanung der Umsetzung:

Im ersten Schritt (2017) finden bereits massiv eingreifende Veränderungen statt:….

Der zweite Schritt ist in 2022 fällig und baut auf 2017 auf…. 

Bedeutung der Zeitschritte: Höchst problematische Änderungen erfolgen bereits unmittelbar in 2017.

Gesamteinschätzung:

Der Gesetzesentwurf und vor allem seine Begründung strotzen vor großen, undefinierten Begriffsblasen. Zum Beispiel:

 Immer wieder ist die Rede von „stark“: „Starke Kinder“, „starke Kinderrechte“, „starke Kinder- und Jugendhilfe“. Was steckt hinter dieser Begriffsblase?

 Ständig wird mit dem Begriff „Bedarfsgerechtigkeit“ operiert. Dieses Wort erweckt die Illusion, dass es in der kommenden Kinder- und Jugendhilfe gerechter zugehen soll. Wie will man das begründen?

 Es wird behauptet, dass eine „starke, sozialeffiziente Kinder- und Jugendhilfe“ den Bedarfen und der erforderlichen Vielfalt in Zukunft gerecht wird. Woher nimmt man die Argumente für diese Annahme?

 Der Begriff „soziale Effizienz“ wird immer wieder benutzt und wie eine Beschwörungsformel verwendet. Was die Autoren damit meinen, bleibt im Dunkeln.

 Begriffe wie „Wahrnehmbar“ im Rahmen des § 36 bleiben nebulös. Der im ganzen Entwurf immer wieder verwandte Begriff „möglichst“ scheint eine Dehnungsfunktion zur beliebigen, legalen Ausformung einer ökonomisiert gewendeten Kinder- und Jugendhilfe zu sein.

Nicht alles wird verändert: Einzelne Paragraphen von 2017 und auch 2022 entsprechen wörtlich dem KJHG, andere nicht. Auch wird bis zum § 27 die inhaltliche Bedeutung der einzelnen Paragraphen beibehalten. Danach allerdings entsteht eine verwirrende Verschiebung und inhaltliche Neubesetzung der einzelnen Paragraphen. Man fragt sich, warum nicht ein neu strukturiertes Gesetz entworfen worden ist. Der Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass das bestehende Gesetz im Wesentlichen erhalten bleiben soll, lenkt von der Tatsache ab, dass wesentliche Veränderungen, Neubewertungen und auch formale Umstrukturierungen vorgesehen sind. Außerdem verwirrt dieses Vorgehen den Leser des Entwurfs sowie der Begründung des Entwurfs in hohem Maße.

An mehreren Stellen wird sichtbar, dass spezielle Diskussionslinien, die sich seit Existenz des KJHG in der Praxis entwickelt haben, in die Novellierungsüberlegungen im positiven Sinne eingegangen sind (z.B. die Beratung von Kindern ohne Wissen ihrer Eltern).

Dennoch ergeben die geplanten Veränderungen eine radikale und höchst problematische Umorientierung:

Von dem, was Kinder- und Jugendhilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und auch noch nach dem geltenden SGB VIII war und ist, bleibt nach einer möglichen Umsetzung dieses Entwurfs nicht mehr viel übrig.

Verändert haben sich nicht nur die Struktur, die Terminologie und die Sicht auf zentrale Positionen wie die Rolle der Eltern, den Rechtsanspruch auf ambulante Individualhilfen u. Ä. Geändert haben sich ganz wesentlich auch der Geist der und die Haltung in der Jugendhilfe.

Aus fachlicher und ethischer Sicht ist dieser Gesetzesentwurf (wie er uns in der Fassung vom 23.8.2016 vorliegt) in seiner Gänze abzulehnen.

Übersicht über die kritisch bewerteten Themen des Entwurfes

1. Verschärfung und Verhärtung neoliberaler Vorstellungen und Vorgehensweisen in der Kinder- und Jugendhilfe.

 Konsequente Abwendung von der „Hilfe“ hin zur „Leistung“

 Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auf Employability

 Einseitige Macht- und Steuerungsgewalt der öffentlichen Jugendhilfe

 Benutzung der Begriffsblase „soziale Effizienz“

 Viele der Tendenzen und neuen Aspekte des Gesetzentwurfes dienen der Kosteneinsparung

2. Aushebelung der ambulanten Individualhilfen

 Konsequente Abwendung von der „Hilfe“ hin zur „Leistung“

 Leistungen nach § 27 werden nicht trennscharf und eindeutig definiert

3. Problematische Veränderungen für junge Volljährige

 Erschwerung für Neueinsteiger

 Reduzierung der Zielsetzung auf Verselbständigung

 Abhängigkeit der Gewährung von einer positiven Prognose

 Die Formulierung in § 41 (Übergangsmanagement) legt – entgegen der faktischen Aussage einer Nicht-Begrenzung – das Ende der Jugendhilfeleistungen mit Vollendung des 18. Lebensjahres nahe

4. Zusammenlegung der Hilfen zur Erziehung mit Leistungen für alle behinderten Kinder und Jugendlichen – eine Karikatur der Inklusion

 Die Große Lösung ist noch lange keine Inklusion

 Zusammenlegung der zwei Leistungssysteme ist problematisch

 Verstärkung der Medizinisierung und der Pathologisierung der Kinder- und Jugendhilfe

 Die vorliegenden Pläne lassen eine unzureichende Berücksichtigung der finanziellen Folgen der „Großen Lösung“ befürchten.

5. Der Rechtsanspruch liegt ausschließlich bei den Minderjährigen

 Der Rechtsanspruch auf Leistungen nach § 27 liegt nun mehr bei den Kindern und Jugendlichen

 Das Gesetz gibt den Grundgedanken des KJHG auf, dass die beste Hilfe zur Entwicklung eine Hilfe sei, die bei den Eltern ankommt

 Die Gewährung von Leistungen nach § 27 ist nicht mehr abhängig von einer „mangelnden Erziehungsgewährleistung“, sondern von der Lebenssituation des Kindes oder des Jugendlichen

 Die Mitwirkung ist als zentrale Aufgabe aus der Leistungsplanung verschwunden

 Ombudsstellen sind nicht unabhängig und außerdem Kann-Leistungen

6. Marginalisierung der Bedeutung der Familienerziehung

 Bedeutung der Familie und der Elternschaft für die Entwicklung wird heruntergespielt  Reduktion der erforderlichen Unterstützung für die Entwicklung Minderjähriger auf „Förderung“

 Fragwürdige Leistungen für Eltern zur Stärkung der Erziehungskompetenz

7. kindzentrierte Leistungen vor familienzentrierten Leistungen

 Zurückdrängen familienzentrierter Arbeit

 „Sozialpädagogische Begleitung nach § 30c als „Verschnitt“ von Erziehungsbeistandschaft und sozialpädagogischer Familienhilfe

8. Abschaffung des sozialpädagogischen Denkens durch die Verallgemeinerung von Vorgehensweisen aus der Behindertenarbeit

 „Begleiten“ zielt nicht mehr auf Veränderung

 Entfernung der sozialpädagogischen Alltagsorientierung aus dem Leistungsangebot  Sozialpädagogisches Handeln scheint zu teuer

9. Warum wird diese Novellierung eigentlich für nötig gehalten?

Einschätzung und Stellungnahme:

Der vorliegende Entwurf stellt eine systematische Verdrängung sozialpädagogischer Handlungs- und Denkansätze aus der Kinder- und Jugendhilfe dar.

Im Folgenden wird kritisch auf die zentralen Veränderungen (bis § 41) eingegangen, die der Entwurfstext gegenüber dem geltenden Recht beinhaltet. Dabei gehen wir hier nicht paragraphweise vor, sondern fassen die Veränderungen thematisch zusammen und subsumierten zusammengehörige Kritikpunkte unter entsprechende Überschriften. Das hat zur Folge, dass einige Aspekte mehrfach aufgegriffen werden müssen.

Zu den Veränderungen ab 2017

1) Verschärfung und Verhärtung neoliberaler Vorstellungen und Vorgehensweisen in der Kinder- und Jugendhilfe.

Die Regierung plant offensichtlich eine Fortsetzung und Verschärfung der Neuen Steuerung im Sinne einer neoliberalen Konzeption der Kinder- und Jugendhilfe. Aus den problematischen Folgen der Neuen Steuerung und der finanzgesteuerten Herangehensweise an die Kinder- und Jugendhilfe werden daher keine Konsequenzen gezogen. Vielmehr geht es bei der Planung um eine deutliche Fortsetzung der neoliberalen Umstülpung des Sozialen. Die geplanten Novellierungen des SGB VIII setzen den seit mehr als 20 Jahren bestehenden Prozess der Vermarktlichung und damit einhergehend der Verabschiedung von den humanistischen Werten des alten KJHG fort.

Einzelne Aspekte:

1. Konsequente Abwendung von der „Hilfe“ hin zur „Leistung“

Durch die Verschiebung des Begriffes „Hilfe“ hin zu „Leistung“ zeigt sich die Absicht, die bisherige humanistische Haltung, nämlich die Hinwendung zum Betroffenen, durch die neoliberale Haltung der neutralen Dienstleistung zu ersetzen. Formal wird diese Verschiebung in den meisten Fällen zwar erst 2022 vollzogen. Vom Verständnis her liegt sie aber den Veränderungen, die schon 2017 geplant sind, bereits unverkennbar zugrunde. Die drastische Distanzierung vom Hilfebegriff ist die Verabschiedung von einem „sozialpädagogischen Gesetz“ zu Gunsten eines „neoliberalen Leistungsgesetzes“. Die Kinder- und Jugendhilfe wird damit an die anderen Sozialgesetze angepasst, die schon länger dem Geist der Agenda 2010 folgen.

Der alte Vorwurf, „Hilfe“ fördere den Hierarchieunterschied zwischen Helfer und Klient und die Behauptung, „Hilfe“ mache den Klienten zu einem passiven Objekt bzw. Empfänger von Leistungen, gehen beide von einem Hilfebegriff im Sinne der Wohltätigkeit aus. In der Sozialpädagogik geht es nicht um Wohltätigkeit, sehr wohl aber um die „Hilfe zur eigenständigen Veränderung“, also um eine Hilfe, die Menschen dazu befähigt, sich und ihr Umfeld zu beeinflussen und zu verändern, so, wie dies im § 1 des KJHG unmissverständlich formuliert ist. Das ist etwas völlig anderes, als die unterstellte Wohltätigkeitshilfe. Der Leistungsbegriff beinhaltet, dass man für die Leistung eine Gegenleistung zu erbringen hat. In unserem Fall ist das die „Mitwirkungspflicht“, die mindestens im geäußerten Willen besteht, die angebotene und von der öffentlichen Jugendhilfe festgelegte Leistung anzunehmen. Wer diesen Willen nicht zeigt oder zeigen kann, wird von der Leistung ausgeschlossen. Die Bezeichnung „Leistung“ unterstellt außerdem, dass es sich hier um etwas Objektives, etwas Berechenbares, Quantifizierbares und Portionierbares handelt, während „Hilfe“ einen zwischenmenschlichen Prozess meint, der weder genau kalkulierbar noch im eigentlichen Sinne steuerbar ist. Die vorrangige Rolle von Dokumentation und festgelegten Planungsschritten der Leistungsplanung bestimmt den gesamten Prozess und macht ihn zu einem technokratischen Verfahren, wie dies lange schon die Praxis im Sinne der „Neuen Steuerung“ dominiert. Außerdem werden standardisierte Analyse- und IT-Verfahren gesetzlich festgeschrieben, die die Gefahr in sich bergen, abseits jeder Fachlichkeit und fachlichen Durchdringung des Falles, Leistungen nach Schema F zu gewähren bzw. nicht zu gewähren. „Damit treten bürokratische Verfahren an die Stelle von Interaktion und Verstehensprozessen“ (Wiesner, 2016)

2. Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auf Employability

Ziel und Zweck der Leistungen der neuen Kinder- und Jugendhilfe ist in erster Linie die Förderung der Kinder- und Jugendlichen im Sinne von Bildung. Sie wird als entscheidender Motor gesehen für Entwicklung und Teilhabe. Tatsächlich ist das Fördern kognitiver und sozialer Kompetenzen nur ein Aspekt im ganzheitlichen Verständnis sozialpädagogischen Denken und Handeln. Erforderlich sind für eine umfassende Entwicklung noch viele andere Faktoren und Bedingungen: Bedürfnisse nach Zuneigung, emotionaler Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl, das Schutzbedürfnis, das Bedürfnis, sich zu identifizieren, sich am Modell zu orientieren und vieles mehr werden überhaupt nicht gesehen, obwohl sie für die Entwicklung und damit für das Wohl der Kinder unverzichtbar sind. Diese Bedürfnisse werden nicht berücksichtigt (s. Pt. 6).

Die Einengung auf die Förderung in diesem Sinne zeigt sich zum Bespiel auch im neuen § 28: Für junge Volljährige geht es nicht mehr um die Entwicklung ihrer Persönlichkeit generell, sondern nur noch darum, dass sie sich verselbständigen und dafür entsprechende Kompetenzen entwickeln (s. Pt. 3).

Das Verständnis von Inklusion, dass sich im vorliegenden Entwurf erkennen lässt, geht ebenfalls in aller erster Linie davon aus, dass auch die behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen für den Arbeitsmarkt sinnvoll verwertet werden können (s. Pt. 4).

3. Einseitige Macht- und Steuerungsgewalt der öffentlichen Jugendhilfe

Die dem öffentlichen Träger eingeräumten „Spielräume“ im Rahmen der Hilfeauswahl (§36a) verändern die Institution Jugendamt zu einer autoritären Institution. Betroffene, außenstehende Fachexperten, Gerichte und vermutlich erst Recht die MitarbeiterInnen oder gar die KlientInnen haben keine Chance, auf Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe Einfluss zu nehmen. Auch bei Feststellung eines Bedarfes nach § 27 kann die öffentliche Jugendhilfe die Leistungen nach §27 umgehen, wenn sie selbst feststellt, dass andere Angebote im Vorfeld, niedrigschwellige Angebote und infrastrukturelle Maßnahmen ausreichen, um dem Bedarf gerecht zu werden.

Die Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe werden aus Sicht der Begründung des Entwurfs als unangreifbar gesehen und sollen auch von Gerichten nicht infrage gestellt werden können.

Die Betroffenen werden in der Leistungsplanung zu verpflichteten Zuschauern degradiert. Sie und ihre Sorgeberechtigten haben keinerlei wirklichen Einfluss auf die Leistungsplanung. Mitwirkung beschränkt sich auf eine formale Beteiligung, die möglichst für die KlientInnen auch „wahrnehmbar“ sein soll. Der Klient soll also wissen, was über ihn beschlossen wird. Die Vorstellung von Kooperation und Koproduktion, bzw. von einer Aushandlung (die im KJHG selbst angelegt, aber nicht ausgesprochen war) ist damit obsolet. Klienten sind nicht mehr aktive Subjekte, sondern wieder, wie vor Zeiten des KJHG, Objekte der Leistung, auch wenn in der Gesetzesbegründung genau das Gegenteil behauptet wird.

Die Problemsicht der Betroffenen ist nicht Gegenstand der Dokumentation in der Leistungsplanung. Erfasst werden ausschließlich Hinweise zum Umgang mit dem Wunsch- und Wahlrecht und die Art ihrer Einbeziehung.

Die freien Träger werden von der Hilfeplanung regelhaft ausgeschlossen und bestenfalls als Dritte- ähnlich wie die Betroffenen – einbezogen. Damit wird der weiterhin bestehende Paragraph 4 ad absurdum geführt. Das Leistungsdreieck wird aufgekündigt. Hiermit werden auch die bisher illegaler Weise praktizierte Vergabe nach Vergaberecht und die Möglichkeiten der Budgetierung legalisiert.

4. Benutzung der Begriffsblase „soziale Effizienz“

Der häufig verwendete Begriff „soziale Effizienz“ wird in der Begründung an einer Stelle definiert als „positive Wirkung auf den Einsatz der eingesetzten Mittel“. Es wird aber indirekt durch diese Begriffskombination unterstellt, dass Effizienzdenken immer auch gleichzeitig zu einer Verbesserung der sozialen Problemlage führe. Durch den Begriff „soziale Effizienz“ wird versucht, die grundsätzliche Widersprüchlichkeit des betriebswirtschaftlichen Denkens zum Bereich des Sozialen zu verschleiern. Die Kategorie „soziale Effizienz“ dient damit der ökonomischen Deutungshoheit und damit zur Festigung von Kontrolle und Macht.

5. Viele der Tendenzen und neuen Aspekte des Gesetzentwurfes dienen der Kosteneinsparung

Ein klares Ziel vieler Veränderungen ist die kurzfristige Kosteneinsparung bzw. die Deckelung der Kosten. Zum Beispiel

 die Schaffung des sogenannten „Spielraumes“ der öffentlichen Jugendhilfe bei der Hilfeauswahl (§36a) (s. PT. 2),

 die Auflage, Leistungen nach §27 durch Leistungen im Vorfeld und Infrastrukturmaßnahmen zu ersetzen (s. Pt. 1.3),

 Ganz offen wird verfügt, dass das Geld, das im Haushalt bisher für die Hilfen zur Erziehung bereitgestellt war, über die Schiene des § 36a für den Ausbau von Infrastruktur und niedrigschwelligen Angeboten ausgeben werden darf. Hierzu muss gesagt werden: Die Schaffung einer lebenswerten Infrastruktur und die Bereitstellung niedrigschwelliger Angebote gehören zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 1 Abs. 4. Hier geht es um die Garantenpflicht der Kinder- und Jugendhilfe für ein gutes Aufwachsen der Minderjährigen. Diese Aufgaben sind enorm wichtig, und gerade sie sind in der letzten Zeit sträflich vernachlässigt worden. Dass für ihre Wiederherstellung und Verbesserung aber das Geld genutzt werden kann, dass für einen anderen Zweck, nämlich die Leistungen nach § 27 bereitsteht, ist nicht nur unzulässig, sondern unsinnig.  Die Erschwerung des Neueinstiegs in die Hilfe für junge Volljährige (s. Pt. 3).

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4 Antworten zu Angriff auf die Kinder- und Jugendhilfe (II)

  1. Lutz Lippke schreibt:

    Der neoliberale Angriff stellt sich mir nicht so offensichtlich dar. Natürlich können Sparmaßnahmen und Eingriffe in bisher gewährte und notwendige Sozialleistungen in schöne Worte verpackt oder auch wohlfeile Absichten in der Praxis vollkommen konterkariert werden. Umso intransparenter die bisherige Realität ist, desto schwieriger ist auch eine Bewertung und tragfähige Weiterentwicklung. Das eine Novelle erforderlich ist, wird von den Beteiligten gar nicht bestritten. Vielleicht sollte man daher zunächst den Status Quo und Änderungsbedarf kritisch beleuchten und dann das Vorhaben daran sachlich und konkret messen, bevor eine pauschale Bewertung greift. Dazu ergeben sich für mich aus der Stellungnahme des BKJ bereits einige Fragen.

    1. Welche bereits jetzt praktizierten illegalen Verfahrensweisen und Entscheidungen sollen durch die Novelle legalisiert werden? Wer verantwortet diese und wer hat und hatte konkrete Nachteile daraus?
    2. Mit welchen Vorschlägen könnte die Kritik an Begriffsblasen in die Verbesserung der Novelle umgemünzt werden?
    3. Welche Hilfen werden durch die Definition als Leistungsanspruch des Kindes konkret entfallen oder schlechter? Für wen?
    4. Welche konkreten Nachteile enthält § 28 der Novelle „Leistungen zur Verselbstständigung des jungen Volljährigen“ für Jugendliche bis 21 Jahre? Welche verbindlichen Regelungen gab es bisher?
    5. Durch welche konkreten Änderungen wird aus § 36a „Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung“ die Herrschaft des Jugendamtes im § 36a „Leistungsauswahl“ der Novelle? Welche bestehenden Beschwerderechte werden konkret ausgehebelt?
    6. Welche Kritikpunkte an der Novelle betreffen Nachteile
    a) für das Kind
    b) für den Sorgeberechtigten
    c) für den Nichtsorgeberechtigten
    d) für sonstige Angehörige
    e) für den Leistungserbringer?

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