Nachtgedanken

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Einer scheint unerträglich zu sein – Atzmon. Er ist „der Brunnenvergifter“.

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Das Ideologem des Tages? Der Antisemitismus. Medial und regierungsamtlich kämpft man immer heftiger gegen diesen unsichtbaren Drachen.

Mit zwei Zielen: 1.) Wer in Deutschland seinen Kopf selbständig gebraucht, soll immer ein Warnschild vor sich sehen: „Antisemit!“ 2.) Wer selbständig über Deutschland und deutsche Geschichte nachdenkt, soll immer und grundsätzlich eine Gewissheit haben: „Schuldig!“

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Vielleicht wird über Antisemitismus auch deshalb viel palavert, weil die Zugkraft von „Verschwörungstheoretiker“ und „Querfront“ nachgelassen hat. Doch mehr zählt, dass mit der Deutungshoheit über „Antisemitismus“ das Denken der Lämmer (also in der Breite der Gesellschaft) direkt gesteuert werden kann.

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Bald findet in Berlin eine Konferenz statt („Projekt Kritische Aufklärung“), auf der jüdische Antizionisten die Gleichsetzung von Antizionismus und Israelkritik mit Antisemitismus zurückweisen werden. Schöne Sache.

Mit Schönheitsfehler?

Warum treffen sich jüdische Antizionisten aus aller Welt mitten in Berlin, um sich gegen den Antisemitismusvorwurf zu wehren?

Warum bestimmen nicht (wenn schon Berlin) deutsche Antizionisten, die keine Juden sind, diese Konferenz maßgeblich mit?

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Wäre ich frech wie Oskar Gilad, würde ich fragen: „Brauchen die nicht zum auserwählten Volk Gehörenden einen „kosher-Stempel“ von befugter Seite, um berechtigt zu sein, sich gegen den Antisemitismusvorwurf zu wehren?“

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Gilad Atzmon ist offenbar von dieser Konferenz ausgeschlossen. Zufällig oder nicht erwähnt ein umfangreicher Rubikon-Artikel über antizionistische Juden einen prominenten nicht – Atzmon. Gibt es etwa ein Tabu, dass Atzmon missachtet, das ihn zur Unperson macht?  Anscheinend ja.

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Atzmon behauptet (wenn ich ihn richtig verstehe), dass „die Jüdischkeit“, die Clanorganisation der Juden, ihr Tribalismus den Antisemitismus erst hervorbringt… und dass die Entwicklungsstufe des Imperialismus, die den „Ziocon“ einerseits hervorbrachte und andererseits von ihm gestaltet wurde, darum ringt ein System unumschränkter Weltherrschaft zu werden. Wird da – völlig unhistorisch, „brunnenvergiftend“ – eine Art „jüdische Erbsünde“ postuliert?

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Kann ich – zeitlebens von Marx und Lenin Lernender – der Denkweise des Nichtmarxisten Atzmon unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen oder muss ich sie zurückweisen? Ich meine, dass Atzmons Positionen mit einem konkreten, historischen Materialismus sehr wohl vereinbar sind. Sie sind wohl nicht deckungsgleich. können aber förderlich sein.

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Marxens Feuerbachthesen, in denen es unter anderem heißt, dass das menschliche Wesen in seiner Wirklichkeit das Ensemble der gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dass es eine praktische Frage ist, sind der Kern des Historischen Materialismus. Sich darauf ernsthaft zu besinnen – dazu zwingen die hellsichtigen Provokationen des Gilad Atzmon

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Nicht ideologisches Wortgeklingel bringt uns weiter, nicht schwere Geschütze aufeinander zu richten und in Beton sich einzubunkern. Gebraucht werden gründliche, historisch-materialistische Studien der sozialen, politischen, ökonomischen, ideologischen Entwicklung der Juden wenigstens in den imperialistischen Hauptländern (wenigstens im Zusammenhang der Länder GB/Deutschland/USA/Russland(Sowjetunion)/Israel) und zumindest in den letzten 150 Jahren. Ich kann mir vorstellen, dass auf diesem Weg Schlüsselprobleme der Zukunft der Menschheit fruchtbar bearbeitet werden können. Vielleicht nur so.

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5 Antworten zu Nachtgedanken

  1. Joachim Bode schreibt:

    Lieber Opa, nächstes Mal bitte das „a“ im Zusammenhang mit Auserwähltem Volk groß(!) schreiben. So wie „God’s Own Country“. Das gehört sich einfach so bei Auserwählten…..

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  2. Bernhard Meyer schreibt:

    Mama mia!!! Diese Nachtgedanken und die Fundstücke der vergangenen paar Tage haben’s in sich. Insbesondere an dem Rubikon-Konflikt habe ich zu kauen. Habe ebenfalls über Weihnachten das Buch von Atzmon gelesen und war aber froh über das überaus erhellende Gespräch von Clara S. mit Gilad Atzmon. Manches nicht ganz Verstandene bei der Lektüre des Buchs klärte sich auf. Diese 8 Kapitel sind wunderbar. Großen Dank dafür!

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  3. ebertus schreibt:

    Angemeldet und bestätigt, bin bei der erwähnten Konferenz am 10.02. in Berlin dabei.

    Den „Schönheitsfehler“ sehe ich nur bedingt, vielleicht auch, weil ich Moshe Zuckermann in einer Diskussion schon persönlich erlebt habe, seine Positionen bis hin zum kritischen Kulturverständnis von Adorno schätze und teile.

    Werde dazu mit Sicherheit im Termitenblog noch etwas schreiben.

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  4. kranich05 schreibt:

    Um einmal über den Tellerrand zu blicken:
    Ich verweise auf einen sehr bestimmten Kommentar des Parteibuchs zu den Themen „Holocaust“ und „Scheuklappen der Re-Edukation“, einschließlich Stellungnahme zum aktuellen polnischen Gesetz.

    Armee nimmt Dutzende Dörfer in nordwestsyrischer ISIS-Tasche ein


    Wir müssen im opablog nicht alles neu erfinden. Auch die dort gegebenen Links sind interessant.

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  5. Pingback: Glatteis | opablog

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