stupid german men (4)

Die Teile 1 bis 3 von „stupid german man“.

Ab Ende 2012 entwickelte sich die Mollathunterstützung zu einer öffentlichen Bewegung, vor allem im Internet. Vier Faktoren verstärkten sich dabei wechselseitig – die gustl-for-help-Webseite, einige Blogs, Report Mainz und Süddeutsche Zeitung (+ wenige andere Medien), diverse von RA Strate ins Internet gestellte Dokumente und – als Faktor auf der anderen Seite – die provozierende Sturheit diverser bayerischer Justizorgane.

Die Unterstützerbewegung bildete sich in Vielfalt heraus. Die wechselseitige Anregung der Interessierten stand im Vordergrund. Eine Hauptaktivität war zunächst, gründlich in den Fall Mollath einzudringen und dabei auch seine finanzindustrielle und politische „Umgebung“ unter die Lupe zu nehmen. Es war vor allem Selbstinformation, Selbstqualifikation, und das geschah in einem lebendigen, bei aller Vielfalt einheitlichen Prozess. (Ein einheitlicher Prozess ohne rechten und linken Flügel. Gelegentliche rechtspopulistische Wortmeldungen prallten ebenso ab, wie seltene linksradikale Äußerungen ohne Einfluss blieben.)

Es kam die Zeit, forciert durch empörende, das Recht missbrauchende Entscheidungen bayerischer Justizorgane, in der das, was  man als solidarischen Gedankenaustausch bezeichnen konnte, weniger befriedigte. Der Widerstand verfestigte sich, es gab Momente von Erbitterung. Die Frage „Was können wir tun?“ wurde gestellt. Das war etwa Mai 2013. Ab da ging ein Riss, zunächst kaum wahrnehmbar, durch die Szene: Die Einen wollten zusätzlich sichtbare Aktionen; bald kam man auf Kundgebungen oder Mahnwachen. Die Anderen wollten sich beschränken auf präzise juristisch aufklärende Argumentation und Aktionen der Verteidigung. Sie fürchteten, dass die „Mobilisierung der Straße“ die erhofften Selbstheilungskräfte der Justiz blockieren würde.

Entlang dieses Risses erfolgte wenig später die Spaltung der Unterstützerbewegung.

Soviel ich sehe, gab es zwar nur zwei etwas größere Aktionen auf der Straße; doch es gab in kurzer Zeit und von keiner Zentrale gesteuert erstaunlich viele kleine Aktionen in der Öffentlichkeit (bis hin zu 1-Mann-Aktivitäten). Etwas größer war die Mahnwache in Berlin Anfang Juli 2013 mit etwa 100 Teilnehmern und dem Auftritt von Nina Hagen und am bedeutendsten die Kundgebung in Nürnberg Ende Juli 2013 mit mindestens 500 Teilnehmern und kompetenten Rednern der Unterstützerbewegung. Die Gefühle danach waren etwas zwiespältig. Wohl alle OrganisatorInnen spürten Enttäuschung, dass die Teilnehmerzahlen nicht zwei- oder dreimal so groß waren. Aber zugleich war man/frau stolz, für die gute Sache mehr getan zu haben als es Internetkommentare sein können. Und: man/frau wusste jetzt „wie es geht“ und würde dieses Mobilisierungsmittel nicht mehr aus der Hand legen. (Die Videodokumentationen waren ohnehin gelungen und erreichten bald Tausende.)

Es waren die allerersten Schritte einer „Bewegung von unten“, einer Bewegung außerhalb der staatlichen und nichtstaatlichen Kontrolle, zugleich von großer Offenheit und fern extremistischer Verwicklungen; das seltene Ereignis eines demokratischen Aufbruchs aus der Mitte mit einem ganzen Strauß demokratischer Ziele, sowohl mit Präzisierungs- als auch Radikalisierungspotential.

Ich möchte diese Augenblicke nicht überschätzen. So glaube ich nicht, dass in den Etagen der Macht die Wachhabenden zu Zittern anfingen. Sie sind erfahren und vorausschauend und professionell (und sensibel?) genug, um zu wissen, welche Methoden sie wann anwenden müssen. Zufällig wurde Gustl Mollath wenige Tage später aus der Forensik des Dr. Leipziger ‚rausgeschmissen und obendrein gab das Bundesverfassungsgericht Butter zum Spargel. Das schmeckte erst einmal!

Wie weiter? Wirklich Jeder und Jede wusste, dass es nicht um Mollath allein geht. Das hatte er auch selbst gesagt. Würde eine gewachsene Unterstützerbewegung, jetzt optimistischer denn je, sich prüfen, die Ziele weiter stecken bzw. neue Ziele ins Visier nehmen? Würde man sich mit dem System anlegen? Mit dem „psycho-justitiellen Unrechtssystem“ oder wie immer dieses System bestimmt werden würde?

Eine erste, unausgegorene, sozusagen „stotternde“ Antwort darauf, kam auf das Konto von Fritz Letsch. Die zweite, die „ultimative“ Antwort gab Herr Dr. Strate. Er entdeckte und zeigte an: „Betrug!“.

Ich erwarte, dass das Betrugsverfahren ausgehen wird, wie das Hornberger Schießen. In Bezug auf die Mollathunterstützer hingegen, erwies sich Strates Inszenierung keineswegs als Luftnummer. Die Atmosphäre in der Szene wurde nachhaltig vergiftet, wichtige Akteure zogen sich zurück und  – not least – Strate wurde zum einzigen Verteidiger und Maß der Dinge.

Es mag verwundern, dass Strate so schnellen Erfolg hatte. Eine Rolle spielte, denke ich, dass sich in der Mollathunterstützerszene, über den erwähnten Riss hinaus, etliche weitere „Sollbruchstellen“ seit langem herausgebildet hatten, dass niemand Strate offenen Widerstand entgegensetzte und vor allem, dass Mollath selbst Strates Kurs weitgehend unterstützte.

Welche konkreten Motive Dr. Strate im Einzelnen hatte? Darüber mag spekulieren, wer will. Ich habe mir erlaubt, auf öffentlich zugängliche aber eher nicht allgemein gegenwärtige Informationen über Strate hinzuweisen. Konkret ging es darum, dass er für einschlägig bekannte Milliardäre, die Superreichen Piech und Maschmeyer, teils wenig transparent, teils unschön agiert hat. Mich trafen danach etliche Reaktionen eines wütenden, geradezu hysterischen Antikommunismus, höchst erhellende Vorgänge.

Seit der Krise, die noch nicht völlig beigelegt ist, hat sich die Mollathunterstützung deutlich gewandelt. Als korrekt gilt es, den erreichten Erkenntnisstand mit „Staatsversagen“ auszudrücken. Ebenso korrekt ist es, dass bundesrepublikanische Justizsystem als im Wesentlichen ohne Fehl und Tadel zu schätzen, grundsätzlichen Reformbedarf entschieden zu bestreiten und Mängel ausschließlich im Verhalten einzelner Menschen, die nun einmal fehlbar sind, zu verorten. Die Kritik konzentriert sich auf Mißstände in der Forensik und des Zusammenwirkens von Justiz und Forensik. Weniger geht es um Mißstände in der Justiz. Weitere Problembereiche die den Mollathskandal prägten (Politik, Finanzindustrie, Medien) bleiben weitgehend außen vor. Kanalisierter Protest.

Beachtenswert dabei ist, wie Mollath selbst sich im Kräftespiel bewegt. Einerseits ist er im mittelständisch-liberalen Denken befangen und trägt die dominierende Linie aktiv mit, andererseits dringt es als ehrliche Haut und derjenige, der Unsägliches erleben oder mit ansehen musste, auf schonungslose Aufklärung. So kommt es z. B., dass er zwar gemeinsam mit Leutheusser-Schnarrenberger auf dem Podium sitzt, zugleich aber beide keine gemeinsame Sprache finden.

Bei der Betrachtung des „dicken Baumes“ Mollathskandals 2013 unterbleibt oft der Blick auf „den ganzen Wald“ der gesellschaftlichen Rolle, der gesellschaftlichen Einbettung des Geschehens. Mit der Bundestagswahl und der bayerischen Landtagswahl gab es ja durchaus Ereignisse, auf die der Skandal Auswirkungen hätte haben können, zumal sich die Parteien durchaus wahltaktisch verhielten. Umso schwerer scheint mir die Tatsache zu wiegen, dass der „Fall Mollath“ anscheinend keinerlei Auswirkungen auf das Stimmverhalten der BürgerInnen hatte. Wie konnte das geschehen? Der Versuch, sich über „stupid german men“ klarer zu werden, verlangt auch, den Medien noch einmal  Aufmerksamkeit zuzuwenden.

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35 Antworten zu stupid german men (4)

  1. Andreas Wittmann schreibt:

    Ja!
    Wo bleiben die „Medien“?
    Neben dem mit Auszeichnung für Ottos Lapp beendeten Skandälchen und den Unsäglichen Dezemberartikeln hatte die Berichterstattung ja zunächst auch viel erreicht. Blieb aber dann an einer Demarkationslinie stehen…
    Schade.

    Andi

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  2. Mike schreibt:

    Hallo, kleiner sachdienlicher Hinweis: „Betrug“ ist nach Strafgesetzbuch „Offizialdelikt“, soll nach Strafprozeßordnung „von Amts wegen“ staatsanwaltschaftlich verfolgt werde, es bedarf weder eines Straf a n t r a g s des Betrogenen noch einer Straf a n z e i g e von dritter Seite.

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    • Winfried Sobottka schreibt:

      Nach StPO <b<muss beim Verdacht auf Vorliegen eines Offizialdeliktes sogar ermittelt werden. Deshalb wird in Fällen, in denen die StA nicht anklagen will, ja auch das Vorhandensein eines Anfangsverdachtes bestritten, wenn man ihr Hinweise auf ein Offizialdelikt auf den Tisch legt (siehe Mollath).

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  3. tokchii schreibt:

    Interessant zum Thema Medien finde ich im Zusammenhang mit dem Mollathskandal, dass zunächst sowohl die Medien als auch deren Rezipienten die Sichtweise Mollaths aufgriffen und ernstnahmen. Zwar gab es auch in den Kommentarbereichen zu den jeweiligen Artikeln einige Stimmen, die die Gefährlichkeit psychisch Kranker betonten, doch setzte sich als ‚öffentliche Meinung‘ durch, dass tatsächlich einiges Unrecht geschehen ist und man den Ausführungen Mollaths Aufmerksamkeit hätte schenken müssen, bevor man sie als Spinnerkram abtat, was sich nun auch in der tatsächlichen juristischen Behandlung des Falls wiederspiegelt.
    Mitte diesen Jahres, als (zumindest trifft diese Zeitangabe auf mich zu ) die Mollathgeschichte mehr oder weniger immer noch in dem durch die von Andi oben erwähnte Medienkamagne verursachten Stillstand verhaftet war, häuften sich dann Meldungen über die Zustände und Vorkommnisse in der Haasenburg.
    Obwohl strukturell und thematisch recht ähnlich, stieß diese Geschichte jedoch auf wenig Interesse bei den ‚Mollathianern‘, ja nicht einmal Gustl selbst nahm dazu Stellung, seit er entlassen wurde. Dabei sind eben auch dort Untergebrachte qua Unterbringung zu rechtlosen Wesen degradiert worden, deren Stimmen, so sie gegen die Unterbringung erhoben wurden, von keinem Verantwortlichen gehört wurden. Dabei, wie Blaumeise unter „Ohne Lobby“ beschreibt, erinnern die jetzt durch den Untersuchungsbericht der unabhängigen Kommission bekannt gewordenen Zustände, die Erziehungsmethoden, tatsächlich eher an das, was allgemein als Vorstellung von KZs aus der NS-Zeit in den Köpfen verankert ist, denn daran, was man sich unter Jugendhilfe vorstellt.
    Wenngleich die rechtliche Grundlage der Unterbringung Mollaths und der Unterbringung der Jugendlichen in einer (teilweise) geschlossenen Einrichtung jeweils eine andere ist, so ist doch das Merkmal Unterbringung beiden gemein. Und es wird jeweils deutlich, dass hier eine – wie durch diese beiden, aber auch zahlreiche andren Fälle – völlig unbegründete, Gutgläubigkeit an die lauteren Motive derjenigen, die solche ‚Behandlung‘ durchführen, in unserer Gesellschaft vorherrscht, während gleichzeitig eine wiederum völlig unbegründete Skepsis gegenüber den Empfängern solcher “Hilfeleistung“ evident ist, die zu deren absoluter Entrechtung führt.
    Dennoch bin ich überrascht, dass eben die „Mollathunterstützer“ diese Geschiche nicht aufgegriffen haben, obwohl sie so überdeutlich demonstriert, was Herr Mollath an der Behandlung in seiner Form der gescholssenenen Unterbringung anprangert.

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    • kranich05 schreibt:

      Im opablog wurde die Haasenburg zur Kenntnis genommen (https://opablog.net/?s=Haasenburg). Auch Ulvi Kulac und Ilona Haslbauer werden zur Kenntnis genommen. Auf gustl-for-help gab und gibt es die Rubrik „Weitere Fälle“.
      Keiner kann sich an jeder Solidaritätsbewegung für jeden einzelnen Fall aktiv beteiligen. Das übersteigt die Kräfte. Es müßten mehrere, viele Solidaritätskreise entstehen. Diese Anfänge sind z. T. gemacht. Diese verschiedenen Kreise müßten gemeinsame Probleme analysieren und gemeinsame Ziele formulieren und diese gemeinsam vertreten. Der Schritt zur Verallgemeinerung und darauf aufbauend zum abgestimmten Handeln ist enorm schwer. Denn jetzt kommt man/frau nicht umhin über die Parteinahme gegen Unrecht „aus dem Bauch heraus“ hinaus, nun den Boden der Kritik des Systemunrechts zu betreten.

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      • ab und zu hier schreibt:

        Die Psychiatrie ist Ländersache, d. h. es gibt große Unterschiede quer durch die Republik, es müsste eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner stattfinden, damit sich alle bei solch einer Initiative wiederfinden.
        Eine gemeinsame Plattform wäre auf jeden Fall gut.
        Wo bleiben eigentlich die Angehörigen psychisch Kranker?
        Die müssten doch hier einiges an Initiativen aufzubieten haben?

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  4. tokchii schreibt:

    Auch Medienberichterstattung, Medienwirkung und Verarbeitung dieser Berichterstattung, deren Einordnung in gesellschaftliche Zusammenhänge und die Rolle neuer Medien in diesem Zusammenspiel sind höchst interessante Themen.
    Allerdings würde es den Rahmen eines Kommentarbereichs sprengen, hier tiefer darauf einzugehen. Vielleicht sollte ich meinen WordPressaccount dazu nutzen, selbst zum Thema zu bloggen….

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    • kranich05 schreibt:

      „selbst zum Thema zu bloggen“ – Darauf wäre ich sehr gespannt. Wie ist die Adresse? Das Thema „Medien im Mollathskandal“ ist einer der interessantesten Teilbereiche und zugleich einer der am wenigsten beleuchteten. Im 5. Teil meiner Reihe „stupid….“ wird es darum gehen; jedoch bin ich nur zu einigen Schlaglichtern, keinesfalls aber zu einer halbwegs gründlichen Analyse in der Lage.

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  5. tokchii schreibt:

    Kaum veröffentlicht, schon von Frau Wolff auf ihrem Blog zerrissen….

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    • kranich05 schreibt:

      Frau W. hat anscheinend noch nicht bemerkt, dass Weihnachtsfriede IMMER trügerisch ist. 🙂
      Doch keine Sorge: „gelegentlich“ (Hilfe!) zwingt ihn herbei. 😉

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    • Blaumeise schreibt:

      @ tokcchii
      Sie sind ein/e Wanderer/in zwischen den Welten.
      Mir als Inhaberin eines Opfer- Abos mit feministischem Hintergrund und mit oberbayerischer Herkunft, ist mir der Zutritt zu dieser anderen Welt nicht möglich.

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  6. Erich Stephany (Menschenrechtler) schreibt:

    Am Fall Mollath zeichnet sich ein gesellschaftlicher Umbruch ab!

    Der Fall Mollath war tatsächlich ein s e l t e n e s Ereignis des Aufbruchs mit demokratischen Zielen.Opa glaubt nicht, dass in den Etagen der Macht ein Zittern zu bemerken war.
    Es war vielleicht kein Zittern, jedoch eine Verunsicherung, Beunruhigung in allen Gesellschaftsschichten.Ein junger Richter sah vor dem Nürnberger Justizpalast das Demo-Plakat „Empört Euch“ und brachte es auf den
    Nenner „A u W e i a“ und ging zu seiner Arbeit! Einfache Menschen gaben zu verstehen, dass jeder, die eigenen Kinder unter unglücklichen Umständen in die Psychiatrie oder
    Forensik kommen können. Ein Unterstützer und auch Mitorganisator bei der Großkundgebung brachte es auf den Punkt:
    Die Mehrheit der Bevölkerung, zumindest in Bayern realisiert, dass Herrn Mollath vom Staat ein unerhörtes Unrecht angetan wurde. Diese Meinung wird auch von wertkonservativen
    Kreisen und auch von Wählern der CSU geteilt. Dr. Schlötterer (CSU-Mitglied und früherer oberster Steuerfahnder) spricht nicht von Staatsversagen, sondern öffentlich von einem Verbrechen.
    Die Nürnberger Grosskundgebung mit tatsächlich ca. 1000 Teilnehmern fand kurz nach Ablehnung der beiden Wiederaufnahmeanträge statt. Ein paar Tage nach der Demo hat das Oberlandesgericht die Wiederaufnahme doch noch zu gelassen. Zwei namhafte Redner und auch Journalisten gehen davon aus, dass der öffentliche Protest, der gesellschaftliche Druck und insbes. die Großdemo durchaus zur Freilassung von Gustl Mollath beigetragen haben k a n n und m.E. haben dürfte.Vor der Landtagswahl in Bayern war nicht bzw. sehr schwer voraussehbar, wie sich der Fall Mollath auf die bayerischen Wahlen auswirken würden.
    Auch wenn die CSU wiederum die absolute Mehrheit erreicht hat, kann nicht die Aussage getroffen werden, dass alles beim Alten geblieben ist. 1962 ereigneten sich in München die „Schwabinger Krawalle“ und es
    dauerte bis 1968 bis sich der Protest und Widerstand in der außerparlamentarischen Opposition formierte.
    Im Fall Mollath manifestierte sich der desillusionierende Widerspruch zwischen dem demokratischen, rechtstaatlichen, humanen Anspruch der Justiz, Psychiatrie, Forensik und Politik und der teilweise sehr ernüchternden gesellschaftlichen, sozialen Wirklichkeit.Gleichzeitig kam eine für Deutschland einmalige Solidaritätsbewegung zustande.

    Für Gustl Mollath ist aktuell v o r r a n g i g , dass das Wiederaufnahmeverfahren- erst im Juli 2014- zu seiner Rehabilitierung und hoffentlich auch zur Entschädigung führen wird.
    Dies ist die Aufgabe seines Rechtsanwaltes, Dr. Strate. Dr. Strate geht „realpolitisch“ davon aus, dass sich die Verhältnisse in der Justiz nicht verändern lassen.
    ‚Tatsächlich wird ein Aufbruch – auch wenn begrenzt und noch nicht öffentlich – lebendig und konkret fortgesetzt. Es wurden Initiativen gebildet gegen Justizwillkür. Gustl Mollath selbst fordert in einer Initiative
    „Kontrolle der Macht“. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass die erstarrten gesellschaftlichen Verhältnisse w e l t w e i t nicht mehr aufrechterhalten werden können und die Widersprüche in der Gesellschaft in einem Maße offensichtlich werden, dass es nicht mehr möglich ist, berechtigten Protest zu kanalisieren. Wir sind mitten in einem gesellschaftlichen Paradigma: Das lineare hierarchische Herrschaftssystem wird durch eine
    vernetztes Informationssystem und durch Transparenz in Frage gestellt. Tabus und Geheimnisse werden nicht mehr respektiert und können nicht mehr aufrechterhalten werden. Diese Entwicklung kann zu mehr Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität führen.Dieser Umbruch wird jedoch mit Konflikten, Machtkämpfen und Auseinandersetzungen verbunden sein.
    Den Fall Mollath mehr oder weniger n u r auf ein juristisches Unrecht, ein Staatsversagen, individuelles Versagen zurückzuführen ist ein beschränktes, systemimmanentes Denken und deshalb gesellschaftspolitisch
    unkritisch und unpolitisch.

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Wer die Umbruchphase in der DDR 1988-1990 miterlebte, weiß wie die Rettungsversuche der entmachteten Mächtigen ablaufen. Nicht ungefährlich. Der Schandfleck der Verlogenheit und Unfähigkeit lässt sich jetzt aber nicht mehr wegwischen. Im Übrigen nicht auf Bayern beschränkt. Konsequenzen und Veränderungen „drohen“ unweigerlich. Es ist eine Frage der Zeit, fraglich nur von wieviel Zeit. Fraglich ist auch, was danach kommt. Genau darauf können wir aber Einfluss nehmen. Die Durchsetzung des Rechtsstaats und einer sozialen Gesellschaft bricht nicht die offizielle Agenda und stellt trotzdem eine Revolution dar.

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      • kranich05 schreibt:

        Sie formulieren interessant, „reizend“:
        „weiß wie die Rettungsversuche der entmachteten Mächtigen ablaufen“ – Das bezweifel ich, dass diese Erfahrung gültig ist. Die Selbstrettungsaktionen der Mächtigen heute werden von ganz anderem Kaliber sein.
        „Der Schandfleck der Verlogenheit und Unfähigkeit lässt sich jetzt aber nicht mehr wegwischen“ – Kein Schandfleck, der nicht weggewischt wird.
        „Konsequenzen und Veränderungen “drohen” unweigerlich.“ Unweigerlich „drohen“ mögen sie ja, aber unweigerlich kommen bestimmt nicht.
        „Es ist eine Frage der Zeit“ – Nein, eine der Kraft, des Mutes, des Wissens usw. „Die Zeit“ tut gar nix, auch lange Zeit nicht.
        „Die Durchsetzung des Rechtsstaats und einer sozialen Gesellschaft bricht nicht die offizielle Agenda und stellt trotzdem eine Revolution dar“ – An diesem Satz allerdings habe ich nichts zu meckern. Er entspricht genau meiner Meinung. 🙂

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        • Lutz Lippke schreibt:

          Lieber kranich05, ich gebe zu, ein wenig mit hohlen Gebärden die Zukunft herbeige“droht“ zu haben. Sie haben natürlich Recht, vor allem Kraft, Mut und Wissen brauchen wir. Vielleicht auch noch mehr Zeit als mir lieb ist.
          Bezüglich der Zwangsläufigkeit bleiben wir wohl vorläufig im Dissenz. Ich weiß auch warum. Sie sehen eher historisch gefestigte Systemstrukturen. Ich unterstelle den meisten Akteuren kein absichtsvolles, systematisches Tun, sondern gehe von Unfähigkeit, Anpassung und schlechter Kindheit aus. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Ohne die tägliche Hinnahme der tätigen Menschen würden diese Strukturen jedenfalls nicht einen einzigen Tag überleben, denn sie sind nicht zur Eigenleistung und Selbstversorgung fähig.

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        • Albert A. schreibt:

          Der mächtigste „Bruder“, die Sowjetunion, hat den Mächtigen in der DDR ihre Unterstützung verweigert. Also waren die Mächtigen in der DDR auf fremde Unterstützung angewiesen, ähnlich wie die Bettler…

          Wenn opa/kranich die Hoffnungen anderer Menschen prinzipiell anzweifelt, dann wird er irgendwann in einer ziemlich hoffnungsloser Situation sitzen.

          Ich weiß, weder Karl Marx noch W. I. Lenin haben sich mit der Bedeutung der Hoffnung auseinander gesetzt. Hoffnung bringt Mut, sie bringt auch so einiges in Bewegung. Es muss nicht immer Leid und Hoffnungslosigkeit hinter den Veränderungen stecken.

          Und wenn opa/kranich mit den leichten Veränderungen immer noch unzufrieden sein sollte, weil sie ihm nicht genug revolutionär vorkommen, na ja…

          Die Menschen beschäftigen sich halt mit anderen Problemen, als unbedingt opa/kranich zufrieden stellen zu wollen. Sie suchen nach eigener Zufriedenheit. Und die Reichen und Mächtigen sind uns bei der Selbstzufriedenheit weit voraus.

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  7. D7. schreibt:

    @Herr Stephanie: „Den Fall Mollath mehr oder weniger n u r auf juristisches Unrecht, Staatsversagen, individuelles Versagen zurückzuführen ist beschränktes, systemimmanentes Denken und deshalb gesellschaftspolitisch unkritisch und unpolitisch.“ Klare Aussage. Die sich in diversen Blogs am Beispiel des im Skandalfall Gust Mollalth bestätigt. Nur – was folgt daraus praktisch?

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  8. D7. schreibt:

    @Lippke u.a. Vor möglicher Kritik als Nachfrage: Die „Durchsetzung des Rechtsstaats … stellt … eine Revolution dar.“ Ist das ernstgemeint?

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    • Lutz Lippke schreibt:

      D7: „Ist das ernstgemeint?“.
      Ja! Die wirkliche Durchsetzung des Rechtsstaats und einer sozialen Gesellschaft hätte revolutionäre Ausmaße. Schon allein ein Rechtsstaat mit gleichberechtigten Zugang für Alle, würde Vieles auf den Kopf oder eigentlich besser auf die Füsse stellen. Allein die wirkliche Geltung von Art. 1 des GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar….“ und deren Folgerungen für Gesetze und das allgemeine Handeln hätte unglaublich befreiende Wirkungen. Allerdings stellen die Regeln ja nur Absprachen bzw. Verhaltenskorridore dar, die ggf. notdürftig durch Sanktionen gesichert werden. Die eigentliche Herausforderung liegt in der notwendigen Einsicht der Allgemeinheit, dass diese Regeln auch praktisch für Alle vorteilhaft und lebbar sind. Lieber D7, Kritik ist nicht nur möglich, sondern unbedingt erwünscht.

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      • kranich05 schreibt:

        @ Lutz Lippke, @ D7, aber auch @ Albert A.
        zur Frage Revolution (aber auch Hoffnung – hängt irgendwie zusammen) fühlte ich mich durchaus auch angesprochen, wollte aber Lutz Lippke, der den Begriff zuerst einbrachte beim Antworten den Vortritt lassen.
        „Kritik ist nicht nur möglich, sondern unbedingt erwünscht.“ – ganz meine Auffassung. Das neue Jahr sollte uns genug Gelegenheit geben, darüber Meinungen auszutauschen (auch wenn ich zwischen 2. und 4.Januar eventuell nicht im Internet bin).
        Allen einen guten Rutsch!

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  9. D7. schreibt:

    @Lippke, Kranich, Albert A. u.a.
    Kurzkritik
    Die begründungsarme politische Behauptung, die Durchsetzung des bürgerlichen Rechts(s)taates im gegenwärtigen Ganzdeutschland stellte „eine Revolution“ dar, läßt sich gutmarxistisch nicht einmal vom alten Friedrich Engels (1888: http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_259.htm ) und seiner wohlbegründeten These, daß die deutsche Arbeiterbewegung viele „liegengelassenen“ demokratischen Forderungen der (Bourgeoisie genannten) bürgerlichen Klasse mit vertreten müsse (wie etwa die bis heute nicht vollzogene Trennung von Staat und Kirche), ableiten.
    Die „eine Revolution“-Behauptung mag als kritisches Streiflicht auf die korrupte Verkommenheit des bürgerlichen Recht(sstaat)s durchgehen und insofern politischen Onanisten ausreichen. Wichtiger aber ist m.E. zur „Revolution“sbehauptung: sie ist a) bar jeder gesellschaftsanalytischen Substanz; b) „eine Revolution“ ist kein einmaliges (ab)sonderliches Ereignis, sondern Revolution ist ein ständiger Prozess; c) die Aussage bezieht sich auf einen Teilbereich (hier Justiz) eines gesellschaftlichen „Subsystems“ (hier Recht), liegt methodisch nur auf der Ebene der Einzelheit und ist grundfalsch (das nannte der alte Engels „eklektische Bettelsuppe“) und hat d) nicht mal die durchaus nachvollziehbare, kritischen Denker(inne)n von Sigmund Freud über Hannah Arendt bis zu Heinrich Popitz und H. M. Enzensberger noch geläufige (und grad auf den bürgerlichen Rechtsstaat anwendbare) Einsicht zum Verhältnis von „Normalität“ und „Abweichung“ bzw. Regel und Ausnahme verstanden: „Die Regel kann nur um den Preis ihrer fortwährenden Verletzung aufrechterhalten werden.“ (Enzensberger).
    So gesehen, ist das Gerede von „einer Revolution“ nicht nur für gedanklich platt und für publizistisch überflüssig. Sondern auch für politisch gefährlich.

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    • Albert A. schreibt:

      D7. schreibt:
      „b) „eine Revolution“ ist kein einmaliges (ab)sonderliches Ereignis, sondern Revolution ist ein ständiger Prozess;“
      Schon als ich mich in der Schule während der Aufklärung über die Revolution langweilte, fiel mir ein, dass die Revolution mit Erdbeben vergleichbar ist. (Wir hatten kurz davor Geologie-Unterricht)
      Dank der Evolution(Entwicklung) in der Erdkruste entstehen Spannungen, die dann zu den Erdbeben führen. Wenigstens das, womit sich Marx, Engels und Lenin als „Revolution“ beschäftigten, konnte ich für mich sehr gut mit dem Erdbeben vergleichen. Die Logik führte mich dann automatisch zu der Annahme, dass ohne die Entwicklung in der Erdkruste/Gesellschaft kein Erdbeben/keine Revolution zustande käme.

      Später machte mich bei diesem Gedanken etwas unzufrieden, dass die „Revolution“ wohl wirklich nur ein Erdbeben ist, bei dem sich verschiedene Spannungen entladen, die Situation hat sich dabei zwar OBERFLÄCHLICH verändert, doch zu dem erträumten „idealen“ Zustand nach der „Revolution“ ist es noch meilenweit…

      Die Verwirklichung unserer Träume von einer besseren Gesellschaft, vom besseren Zusammenleben, in dem z.B. alle Mitmenschen einfach darauf hören, was ich ihnen sage und dann geht es uns allen besser, eine solche Verwirklichung unserer Träume (also auch der Träume anderer Mitmenschen, falls sie davon träumen, endlich auf mich hören zu dürfen) erfordert nach der erfolgreichen „Revolution“ noch eine weitere Entwicklung! Der Zustand der relativen gesellschaftlichen Vollkommenheit entsteht nicht automatisch durch die „Revolution“.

      Das könnte auch heißen, dass eine „Revolution“ – ein gewaltiger gesellschaftlicher Umbruch, gar nicht notwendig ist, damit sich endlich eine Gesellschaft entwickeln kann, die auf mich hört. Die „Revolution“ ist nur dann notwendig, wenn die Reichen und Mächtigen, unterstützt durch den Papst und seine Kirche, die geknechtete Gesellschaft mit allen Mitteln daran hindern, auf mich zu hören.

      Die „Revolution“ ist nach klassischer Sichtweise also nur die Zerstörung der UNFREIHEIT, weil die Unfreiheit alle Menschen daran hindert, auf mich zu hören. Wie sich aber die Gesellschaft nach der „Revolution“/dem Umbruch weiter entwickelt, ob sie irgendwann wirklich so weise sein wird, um auf mich zu hören, darauf hat die „Revolution“ keinen Einfluss und ich leider nur sehr geringen, weil mir die Macht und das Geld dazu fehlt.

      Die Revolution kann also nur durch die Zerstörung alter Zustände einen eher undefinierten Zustand der Freiheit herbeiführen, aus dem sich so einiges entwickeln kann. Was sich da aber entwickelt, bleibt eher unvorhersehbar.

      Im völkischen Sprachgebrauch wird bereits von „Revolution“ gesprochen, wenn allein in „Teilbereichen“ der Gesellschaft etwas deutlich verändert hat. Und das mit Recht. Es gibt nicht nur große Erdbeben sondern auch kleine…

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    • Joachim Bode schreibt:

      Versuchen Sie (das gilt für alle!) mal die Herstellung des Rechtsstaates bei der Justiz. Sie werden Ihr „Blaues Wunder“ erleben!
      Ist Mollath schon vergessen? Da liegt noch Vieles auf der Pfanne – die brütenden OLGe Bamberg und München lassen grüßen, das LG Regensburg rüstet zum nächsten Gefecht.
      Und Arnold? Und Rupp? Und Ulvi? Und Wörz? Das sind nur einige, ganz wenige, die erschrecken und auch Mut machen.
      Es gibt aber noch unzählige andere, die vor sich hin schlummern.
      Und dann die von außen weitgehend unsichtbaren Verhältnisse im personellen Justizapparat! Wie war das mit Augias und Sisyphos?

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      • Albert A. schreibt:

        Schlagzeile der „ZEIT“:
        „Der Fall des freien Journalisten Hubert Denk zeigt: In Deutschland gerät die Pressefreiheit unter Druck.“

        Und die Pressefreiheit gerät durch die Justiz und befreundete Institutionen unter Druck.
        http://www.zeit.de/2013/52/deutschland-pressefreiheit-freie-journalisten?utm_content=bufferf7024&utm_source=buffer&utm_medium=facebook&utm_campaign=Buffer

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        • Joachim Bode schreibt:

          „Das Auge des Gesetzes sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse“ sagte Ernst Bloch.

          Der von Albert. A. zitierte Fall liefert einen der zahllosen Nachweise, wo die Staatsanwaltschaft das Auge darstellt.

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      • Lutz Lippke schreibt:

        Ich hoffe bezüglich Rechtsstaat (ein Anfang) auf bisher wenig genutzte Möglichkeiten:
        1. Sammeln und Auswerten der typischen Merkmale von Vorgehensweisen dieser Anwaltschaften und Gerichte, Nutzung für Rechtedurchsetzung im Einzelfall und zur Bewertung der Stellen/Personen
        2. Identifizieren von rechtlichen Grundlagen und Verbindungen in Politik/Justiz/Medien, die Missbrauch ermöglichen und fördern
        3. Ergebnisse aus 1. und 2. kommunizieren, Politik/Justiz/Medien zu verbindlichen Reaktionen zwingen
        4. Prozess der Auseinandersetzung in der Gesellschaft fördern

        Bisher lebt die Justiz noch erträglich von der Zwangsalimentation, der strukturellen Verschwiegenheit, dem Unabhängigkeits- und Deutungsbonus und geringen Haftungsrisiken. Es wird zwar auch intern gejammert, aber ein wirklicher Druck zur Veränderung besteht nicht. Das macht es unzufriedenen Insidern schwer, Veränderungen von innen her durchzusetzen. Eine durch Klagen (im Sinne von Bekanntmachen) aufmerksamere Öffentlichkeit, die öffentliche Analyse der Merkmale zu 1. durch Wissende (auch und gerade Erbsenzähler) führt zu 2.
        Dank der Kontrolle durch Multiplikatoren (z.B. auch hier) kann sichergestellt werden, dass nicht nur Scheinanalysen erfolgen oder der Prozess einschläft, sondern 3. wirklich erreicht wird. Wird dieses Ziel erreicht, bröckelt der Zusammenhalt dieser Strukturen und offenbart sich immer mehr selbst. Die Kenntnis der überkommenen Strukturen und deren Ursachen, sowie die Erfahrungen aus den jetzigen Auseinandersetzungen ermöglicht den Aktiven im Prozess zu 4. die Methoden und Wege mitzugestalten.

        Ich nehme den möglichen Einwand, „das ist früher auch immer gescheitert“, mal vorweg. Was ist anders als früher?
        Andeutungsweise und ohne Rangfolge:
        a) Die Informations- und Vergleichsmöglichkeiten (z.B. Internet) sind deutlich besser. Die individuellen Fähigkeiten der Bürger, diese Informationsfluten zu filtern und zu nutzen, sind gestiegen. Die Kompetenz der Mächtigen diese Medien zu kontrollieren sind noch schwach ausgebildet und basieren derzeit auf eher steinzeitlicher Strategie gepaart mit modernsten Methoden der Massenüberwachung.
        b) Die Abhängigkeit der Eliten vom eigenen Volk ist nicht mehr wirtschaftlich / finanziell, die Gewinne werden ja in aller Welt eingefahren. Aber die Mächtigen brauchen eine „Homebase“ zur Selbstvergewisserung und -darstellung mit gesicherten Dienstleistungen. Der gesellschaftliche Deal „Gib mir Arbeit und Wohlstand, dann geb ich dir Treue und Folgsamkeit“ wird nicht mehr zwischen Großverbänden beider Seiten verhandelt, sondern in vielen kleinen Einheiten, teilweise durch die Individuen selbst. Unter diesen Bedingungen übergreifende Scheinkonstruktionen der Demokratie und des Rechtsstaats zu verkaufen ist ebenso schwierig bis unmöglich wie die „Alle hören auf mich“-Traummonarchie von Albert A.

        Sicher wird die Zukunft nicht so traumhaft wie Albert A., ich und Andere es sich vorstellen könnten. Aber genauso wie früher, hat das Veränderungswillige nicht aufgehalten. Revolution, Reform, Korrektur?
        Mir iss egal. Für Systemtheorie bin ich zu unwissend, höre aber gerne zu.

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  10. Michael Balser schreibt:

    Divide et impera : teile und herrsche.
    Heißt teile die Unterstützer-Gemeinde und herrsche über den Unterstützten.

    Das ist ganz im Sinne der Justiz, um weiter über Mollath als Opfer zu herrschen.

    Wer tut der Justiz den Gefallen ?

    Die Unterstützer scheinbar zur Selbst-Profilierung.

    Aus einigen Kommentaren spricht depressive deprimierte Resignation :
    Die Änderung mehr oder weniger entarteter, heißt aus dem Bürger-Freiheit-Grundrecht-Ruder laufender u.a. Rechtsstaat-Verhältnisse erscheint so aussichtslos wie die Wiedervereinigung
    vor der Wende.
    Wenn man nicht zur geballten Solidarität-Front fähig ist, sondern die Solidarität sich
    in Sektierer-Grüppchen verzettelt.
    Da brachten die Polen mit Soldarnosz und jetzt die Ukrainer mehr in Wallung.
    Tunnelblick nur den Fall Mollath sehen will – was noch nicht mal Mollath selbst tut –
    sieht vor lauter „knorrigem“ (Zitat RA Strate) Mollath-Baum den justiz-psychiatrie-systemischen finsteren Wald in Deutschland nicht.

    Es sind gerade die Paragrafen-Fuchser hier in Verbindung mit den Psychiatrie-Füchsen, die sich im Tunnelblick auf Erbsenzählerei und augurenhaftes Deuten der „Wahrheit“ aus der Gemenge-Lage von geworfenen Hühnerknochen beschränken.
    Genau darin – dem Tunnelblick in Erbsenzählerei ohne Überblick – liegt die systemische
    und personelle Schwäche des Justiz-Systems, dem nicht nur Mollath zum Opfer gefallen ist.

    Wer als Fall-Analyst, Unterstützer, Kritiker sich auf den Einzelfall und die Erbsen-Zählerei
    des einzelnen Versagens der Richter-Gemengelage beschränkt und das Dirigenten-
    System für den Richter-Chorgeist übersieht, der passt sich als Zahnrad ins System-Getriebe
    ein.
    Nach der Freilassung des als Steuerhinterzieher verurteilten russischen Oligarchen
    Chodorkowskij zweifelt die deutsche Presse und Polit-Kaste umso mehr am
    Putin-Rechtssystem.

    Nach der eher zufälligen Freilassung der Steuerhinterziehungs-Whistleblowers(Verräters) Mollath
    wird gejubelt „Hurra, unser Rechtssystem funktioniert ja noch.

    Das ist schizophrenes deutsches rechtliches Denken !

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  11. D7. schreibt:

    @ J. Bode
    Konkret: Diverse praktische „blaue Wunder“ sind hier auch aus den Justizen von Bad.-Württ., Rheinl.-Pfalz und NRW erinnerlich. Auch der 1975 in Tuntenhausen begonnene – und vermutlich blauste – Justizwunder-„Fall“ des seit etwa fünfzehn Jahren nach Südafrika ausgewanderten Josef M., der der damaligen bayrischen Justizministerin, Frau Staatsministerin Dr.iur. Beate M., seit Juni 2003 vorlag, ist nicht vergessen. Sondern gehört zu jener Vergangenheit, die nicht vergeht, weil sie nicht tot, sondern nicht mal vergangen ist. Allerdings erscheint es müßig, die Hexe beim Teufel zu verklagen … Mit freundlichem Gruß, D7.

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    • Albert A. schreibt:

      „Die Hexe beim Teufel zu verklagen….“
      Auch dem Herrn Mollath erschien diese Vorstellung wohl müßig. Trotzdem hat er geklagt und vieles mehr. Und das Jahre lang. Viele Menschen meinen, Klagen hilft nichts, man müsse was tun. Wenn man aber nichts anderes tun kann, als zu klagen, dann sollte man damit nicht aufhören.

      Weil:
      “b) „eine Revolution“ ist kein einmaliges (ab)sonderliches Ereignis, sondern Revolution ist ein ständiger Prozess;”

      Wenn wir mit dem Klagen aufhören, dann hört der ständige revolutionäre Prozess auf. Es kommt zum Stillstand.

      Das könnte bedeuten, dass die Revolution auch ein mühsamer bis müßiger Prozess ist. Und wer sich dadurch gelangweilt fühlt, der kann ruhig nach Mallorca fahren. Das machen ja viele…

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    • Joachim Bode schreibt:

      @ D7.:
      Den von Ihnen erwähnten „vermutlich blausten“ Fall kenne ich nicht… (u. finde ich nicht).
      Helfen Sie?
      Merk ist ab Okt. 2003 Justizministerin (gewesen).

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  12. Lutz Lippke schreibt:

    Ich finde die Diskussion sehr anregend. Das Jahr fängt gut an.
    Mir ist gerade auch wieder aufgefallen, dass „revolutionäre Gefühle“ wie auch „Frühlingsgefühle“ gerade dann aufkommen, wenn es besonders kalt, düster und aussichtlos aussieht. Es ist wie beim Marathonläufer, der bei km X am physischen Limit ist und in einen Rausch verfällt, der ihm ungeahnte Kräfte verleiht. Ob diese Kräfte einfach aus seinem Inneren kommen oder als Lohn für den Glauben an göttliche Macht zufließt, ist eigentlich egal. Beide Erklärungen sind ein probates Modell, um diese Kräfte abzurufen. Vielleicht können die Modelle nebeneinander existieren, wettstreiten und sich gegenseitig befruchten. Es sind wohl diese „esoterischen“ Momente, die für Beben sorgen. Sie werden in den Revolutionstheorien vielleicht etwas vernachlässigt, sie sind auch als Selbstüberhebung diskreditiert und nicht dauerabrufbar. Der Vollrausch funktioniert nicht. Nach der Euphorie kommt wieder Alltag und mühselige Ebene.

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