Überlegungen zum Faschismus heute (letzte Textfassung 24.10.2019)

Die Worte „Faschismus“ und „Antifaschismus“ werden heute viel verwendet, oft mit großer Emotion und moralischem Anspruch. Kurzformen, wie „Antifa“ oder „Nazi“, sind im politischen Streit, auch dem handfesten auf der Straße, allgegenwärtig. Mir ist oftmals unklar, was genau gemeint ist. Ich meine, dass es an begrifflicher Klarheit fehlt.

Oft, so glaube ich, wird „Faschismus“ mit „Hitlerfaschismus“ gleichgesetzt und dieser ebenso umstandslos mit „Holocaust“. Eine solche Begriffsverkettung ist zwar, zumal in Deutschland, naheliegend, sie kann aber den Blick auf die historischen Tatsachen verengen und zugleich die Offenheit für das Begreifen neuer, gegenwärtiger aber veränderter Erscheinungen und Prozesse faschistischen Charakters behindern.

Ich sehe die Gefahr eines Kampfes (in bester Absicht) gegen einzelne Faschismusphänomene, bei gleichzeitigem Nichterkennen der tatsächlich vorhandenen aber teilweise verdeckten faschistischen Gefahren aus den Zentren gegenwärtiger Politik. Deshalb halte ich es für überaus bedeutsam, allgemeine, wesentliche und übergreifende Momente des Faschismus bzw. des Faschistischen zu fixieren und sie für die heutige politische Orientierung und Auseinandersetzung nutzbar zu machen.

In diesem Sinne erlaube ich mir, ohne Spezialist für Faschismusforschung zu sein, einige Beobachtungen, Überlegungen und Thesen zu formulieren und knüpfe dabei an frühere, etwa hier oder hier zu findende, Ausführungen an.

  1. Faschismus hat Klassencharakter. Er wird von der herrschenden Kapitalistenklasse getragen. Diese fundamentale Erkenntnis ist untrennbar verbunden mit der historischen Dimitroffschen Faschismusdefinition von 1933 und 1935. Genau genommen verweist diese Definition nicht auf die Kapitalistenklasse schlechthin, sondern auf ihre extremste, reaktionärste, entschlossenste und skrupelloseste Fraktion. Heute ist das die transatlantisch-zionistisch-globalistische Macht.
  2. Punkt 1. sagt nicht, dass es eine per se faschistische Klasse gibt oder dass Kapitalisten mit Faschisten gleichzusetzen wären. Mit dem Ziel des Maximalprofits zu handeln, ist nicht per se faschistisch, auch nicht unter den Bedingungen des strikten Neoliberalismus. Insoweit teile ich es nicht, wenn Anja Böttcher hier von „neoliberalem Faschismus“ spricht und zumindest nahelegt, dass die neoliberale „Negativverwertung“ bereits Faschismus sei. Tatsächlich aber, die Zusammenhänge zwischen bestimmten Verwertungsregimen und faschistischer Politikorientierung sollten gründlicher analysiert werden.
  3. Faschismus ist grundsätzlich keine Kategorie des kapitalistischen Verwertungsprozesses, sondern primär eine politische Erscheinung und Entscheidung. Ihr liegt zu Grunde die reale oder imaginierte existentielle Bedrohung der Produktion von Maximalprofit. Faschismus ist eine Antwort der alarmierten Kapitalisten bzw. einer Fraktion der Kapitalisten. Die Bedrohung kann in der „kommunistischen Machtübernahme“ gesehen werden aber auch im „Klima“, im „Aussterben“, vielleicht gar im Angriff von „Außerirdischen“. Dabei ist zu unterscheiden zwischen vorgeschobenen Bedrohungen (Klima?) und tatsächlichen Existenzproblemen (Zerstörung der Naturbedingungen). Faschismus und Angst und Angstproduktion sind unzertrennlich.
  4. Faschismus begegnet der fundamentalen Bedrohung mit Angriff. Er ist expansiv. Das verlangt eine fundamentale und allerfassende („umstürzende“) Veränderung der Gesellschaft. Der Faschismus verlangt die totale Formierung der Gesellschaft zur Durchsetzung der ihn tragenden Interessen.
  5. Dabei setzt er Gewalt ein. Diese kann von physischer Brutalität bis zu subtilen („gewaltfreien“) Formen der Nötigung reichen. So kann der Faschismus avantgardistisch, ja rrrevolutionär erscheinen, sein Umsturzwille richtet sich aber NIEMALS gegen das kapitalistische Privateigentum als politökonomische Grundlage der Gesellschaft.
  6. Der Faschismus richtet sich gegen die Volkssouveränität, beseitigt jede Form der Demokratie, noch die beschränkteste bürgerliche und verlangt die Ausrichtung des Denkens und Handelns aller Menschen am Willen des allein führenden Zentrums. Das kann in traditioneller Weise „Der Führer“ sein, das können aber auch „Weise“, „Aufgewachte“, „Erleuchtete“ sein; auch Komiker, Sportler, Debile, Stars und „Influencer“ jeder Art – allesamt Maskierungen anonym bleibender Macht- und Steuerungsgruppierungen (subjektloses Zentrum).
  7. Der Faschismus kämpft um eine Massenbasis. Gradmesser seiner Erfolge dabei ist, wie weit es ihm gelingt Menschengruppen zum aktiven Handeln gegen ihre eigene Interessen zu bewegen (Die Ausgebeuteten verlangen Steuererhöhungen. Die Machtlosen verlangen den Notstand.) Neu scheint mir für die Jetztzeit (Smartphonzeit), dass reale Massenbasis zunehmend durch eine virtuelle, wesentlich propagandistisch-fiktive „Massenbasis“ ersetzt wird.
  8. Gesetzmäßigkeiten der Verankerung des Faschismus in Massen der Bevölkerung sind:
  • Überzeugung von der eigenen Überlegenheit („Exzeptionalität“, „Auserwähltheit“)
  • Überzeugung von der Minderwertigkeit bis völligen Unwertigkeit anderer Menschen
  • Feindschaft gegen Aufklärung und jede Form humanistischer Bildung
  • Hochschätzung von Formen des Irrationalismus bis hin zu Wundern
  • Hochschätzung des schönen Scheins bis hin zum Überwältigtsein von Ästhetik/“barbarischer Schönheit“.

9. Faschismus stellt sich als Aufbruch dar. Er hofiert und idealisiert Gesundheit, Kraft und Jugend. 

10. Faschismus schätzt den instrumentellen Verstand hoch ein, die Art von (technischer) Intelligenz, die hilft, gesetzte Ziele effizient zu erreichen.

11. Faschismus an der Macht wird durch das Vorhandensein und Zusammenwirken mehr oder weniger aller hier aufgezeigten Dimensionen charakterisiert. Einmal an der Macht kann er einen stabilen (im Sinne von lang anhaltenden) Gesellschaftszustand generieren („treu bis in den Untergang“).

12. Im Faschismus nicht an der Macht wirken die aufgezeigten Tendenzen mehr oder weniger stark. Ich habe den Eindruck, dass die gegenwärtig agierenden (repräsentativ-demokratischen) Mächtigen die vorhandenen faschistischen Tendenzen und Momente instrumentalisieren und bis zu einem gewissen Grade in ihrem Interesse steuern. Beispiel Steinmeier, der einerseits direkt mit Faschisten der Ukraine kooperiert andererseits Schirmherr der Veranstaltungen der humanistischen Aktivisten ist (#Wir sind mehr) und dritterseits dem Grönemeyerschen „Wir diktieren der Gesellschaft…“ applaudiert.

13. Faschismus kann besiegt werden.

Die letztlich alles entscheidende Macht, die den Hitlerfaschismus besiegt hat, war die Sowjetunion. Wie dieser Sieg möglich war und welche Folgen er hatte, ist zu studieren, um es zu verstehen und immer tiefer zu verstehen.

Viel Mühe aber lohnende für jeden Antifaschisten!

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5 Antworten zu Überlegungen zum Faschismus heute (letzte Textfassung 24.10.2019)

  1. fidelpoludo schreibt:

    „Der Faschismus richtet sich gegen die Volkssouveränität, beseitigt jede Form der Demokratie, noch die beschränkteste bürgerliche und verlangt die Ausrichtung des Denkens und Handelns aller Menschen am Willen des allein führenden Zentrums. Das kann „der Führer“ sein, das können „Weise“, „Aufgewachte“, „Erleuchtete“ sein; auch Komiker, Sportler, Debile, Stars jeder Art.“

    Also meiner Meinung nach gehören „der Führer“, „Weise“, „Aufgewachte“, „Erleuchtete“, „Komiker, Sportler, Debile, Stars jeder Art“ – wie die Dinge aktuell liegen – nicht mehr zum „führenden Zentrum“, was nicht heißt, dass sie keine wichtige Rolle als Funktionseliten zu spielen hätten. Wobei unbedingt die Rolle der Wallstreet, der FED und des gesamten Zentralbankenkartells (und seiner „Fiat Money“-Geld/Schulden-Theorie-&-Praxis) in dem Zusammenhang erwähnt werden muß. Die Rede vom „führenden Zentrum“ sollte ergänzt werden durch die Rede vom „Deep State“, eine Art die faschistische Weltherrschaft anbahnendes, auf vielfältigen Ebenen bereits die Herrschaft ausübendes „Schattenkabinett“, das nur darauf wartet und darauf setzt, aus dem Schatten heraustreten zu können – selbstverständlich im Namen von Freiheit und Frieden, wodurch ihnen blüht, sich als Erlöser und Retter der Menschheit und der Welt darstellen zu können.
    Die wichtigste Zentrale des „Deep State“ lag bisher in den USA, in einer eigenartigen Verbindung von „Neocon-Zionist.Collusion“, die sich zusammensetzt aus „Big Tec“, Mainstream-Medien, „Big Business“ und „Industrial-Military-Complex“. Sie liegt dort immer noch, sieht sich aber dort weit mehr bedroht und gefährdet als etwa in der EU. Ihre bedrohte Lage scheinen sie in einem gewissen Maße durch verstärkten Einsatz in Europa kompensieren zu wollen.

    Zur Schilderung der bedrohten Situation des „Deep State“ in den Vereinigten Staaten empfehle ich den hervorragenden Text „The Putin-Nazis Are Coming (Again)!“ (von C.J. Hopkins • October 21, 2019; auf der Website des „Holocaustleugners, Hitlerapologeten und absolut entfesselten Antisemiten“, des „dreckigen Nazis“ Ron Unz (Anja Böttcher).
    http://www.unz.com/chopkins/the-putin-nazis-are-coming-again/
    Ich erlaube mir meine eigene Zusammenfassung als Vorschlag über das von mir mit Hervorhebungen versehene Zitat zu stellen, das ich der Übersetzung von „Linke Zeitung“ hier entnommen habe:
    https://linkezeitung.de/2019/10/24/die-putin-nazis-kommen-schon-wieder/
    Goebbelsches Klavier-Geklimper im Irrenhaus der New York Times & Co.:
    „Die Putin-Nazis kommen! (Schon wieder)“

    „Wie ich schon in meinen vorherigen Aufsatz anmerkte, 2020 wird ein Irrenhaus, und es geht nicht nur darum, wer die Wahl gewinnt. Nein, es geht hauptsächlich darum, die „populistische“ Gegenreaktion gegen die Vorherrschaft des globalen Kapitalismus und seine fröhliche, grinsende und konformistische Ideologie zu zerschlagen. Um das zu erreichen, muss das neoliberale Establishment nicht nur Trump delegitimieren und tödlich stigmatisieren, sondern auch Menschen wie Gabbard, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn … und jede andere populäre politische Person (links, rechts, es macht keinen Unterschied), die von dieser Ideologie abweicht.

    Im Fall von Trump ist es dessen Neo-Nationalismus. Bei Sanders und Corbyn ist es der Sozialismus (oder zumindest eine Art von Sozialdemokratie). Im Fall von Gabbard ist es ihre Opposition gegen die andauernden Bemühungen der Konzernherrschaft, den Nahen Osten (und den Rest des Planeten) neu zu ordnen und zu privatisieren, und dass sie dazu das US-Militär benutzen.

    Stellt euch diese Frage: Was haben Trump, Sanders, Corbyn und Gabbard gemeinsam? Nein, es nicht ihr Putin-Nazismus… es ist die Herausforderung, die sie für den globalen Kapitalismus darstellen. Jeder von ihnen ist auf seine Art ein Symbol des wachsenden populistischen Widerstands gegen die Privatisierung und Globalisierung von allem. Und aus diesem Grund müssen sie delegitimiert, stigmatisiert und unablässig als „russische Agenten“, „Antisemiten“, „Verräter“, weiße Rassisten“, „Faschisten“, „Kommunisten“ oder irgendeine andere von „Extremisten“ verleumdet werden.“

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    • kranich05 schreibt:

      Ich stimme Dir zu und hatte auch schon unabhängig von Deinem Kommentar die Passagen von Führer und Zentrum präzisiert und erweitert.

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    • fidelpoludo schreibt:

      Eine ergänzende, globaler ausgerichtete Perspektive können wir – Theresa Bruckmann sei Dank für ihren Hinweis – dem Text Thierry Meyssans „Die neue Welt erscheint vor uns“ entnehmen, der einerseits den Untergang des Finanzkapitalismus kommen sieht und andererseits die positive Rolle Putin-Russlands bei einer neuen Ausrichtung einer zu ihren wahren Verantwortlichkeiten zurückkehrenden UN-Politik unterstreicht:
      https://www.voltairenet.org/article208017.html

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