Wechseljahr
Blätterkahl
das bunte Kleid
verschwunden
Rankenwand
der saure Wein
gewunden
neben dem Abstellgleis
letzte Holunderbeeren
schwere Früchte mit
vernarbter Haut
bis zum Rand
ein Meer von Ähren
neigen grenzend an den
Schienenstrang
Schnee-Blätter
decken Träume zu
buntes Narrenspiel muss
schweigen
Schellen-, Glockenspiel
hat Ruh‘
Vernissage schon vorbei
letzte Besucher
überqueren noch die
Gleise
schau’n den müden
Faltern zu
Schmetterlingskuss
mit gebrochenen Flügeln
einen Gruß
von der Vergangenheit
und der neue Frühling
ist noch weit
und ich wühlte in den
Taschen
nach verborgenen
Fächern
wo ich Samen fand
und hielt sie liebkosend
in der Hand!
Ilona Haslbauer
Mehr Gedichte von Ilona Haslbauer hier.
***
Ilona Haslbauer (57) wird seit November 2007 in der Forensik des Isar-Amper Klinikums Taufkirchen gegen ihren Willen festgehalten. Ihr Unterstützerkreis (auch hier) ist der Überzeugung, dass Ilona Haslbauer einem Fehlurteil sowie einer Falschbegutachtung unterliegt.
(Meine aufmerksamen LeserInnen werden bemerken, dass ich versehentlich einen Teil dieses Gedichts unter dem Titel „Schienenstrang“ veröffentlicht hatte. Mea culpa.)
Irgendwie bin ich auf eine Antwortmail von Dr. Dose gestossen, die sachlich hierher passt.
Man kann der Email von Dr. Dose sachlich folgen, man versteht was er sagt.
Ob Dr. Dose die Gedichte von Ilona Haslbauer kennt?
Also ich kann sachlich zu den Gedichten eigentlich nichts sagen, gar nichts. Ich kann nur sagen, sie berühren mich und wecken unwirkliche Assoziationen, wie auch diese:
Dr. Dose liest ein Gedicht von Ilona Haslbauer. Er ist erstaunt, irgendwie berührt. Das Telefon klingelt, er hört es nicht. Er sucht weitere Gedichte und wird fündig. Er wählt ein Lieblingsgedicht. Nicht rational, eher emotional. Ausgedruckt erscheint es ihm zu würdelos. Er schreibt es ab, einige Mal in Schönschrift. Dass er das noch kann, erstaunlich. Er faltet das beste Exemplar und versteckt es in seiner Kitteltasche. Immer mal wieder fühlt er das Papier. Herausnehmen braucht er es nicht, er fühlt es und rezitiert auswendig im Kopf. Es beeinflusst ihn in seiner Arbeit, er ist geistig abwesend, wenn es ums Budget oder Ähnliches geht.
Irgendwann steht er vor dem Zimmer von Ilona Haslbauer und klopft. Es passiert ohne Plan, außerhalb der regelmäßigen Visite, der Zettel in seiner Tasche hatte ihn wohl dorthin geführt.
Er tritt ein. Ilona Haslbauer sitzt auf einem Stuhl, ist überrascht und abwehrend. Dr. Dose setzt sich auf einen Hocker, holt das Gedicht hervor und schweigt. Ilona Haslbauer steht auf, sie ist sichtlich nervös. Auch Dr. Dose wird jetzt nervös. Er kann der Versuchung: „Aufspringen, Sicherheitsabstand herstellen und Notruf auslösen“ gerade noch widerstehen. Inzwischen setzt sich Ilona Haslbauer wieder, denn es ist anders als sonst. Dr. Dose fängt an, aus seinem Leben zu erzählen. Er spricht über Dinge, die er längst verdrängt hatte. Sie reden lange. Das Gezeter auf dem Flur entgeht ihnen. Zum Schluss fragt Dr. Dose: „Sind Sie einverstanden, wenn ich Ihnen erstmal die Post bringe?“ Ilona Haslbauer willigt ein. Tage später bringt er die Post. Die Stationsschwester, die immer alles im Blick hat, ruft ihm zu: “ Wenn das Schule macht …“. Er murmelt etwas von Einzelfall. Er klopft und übergibt die Post. Sie reden nicht, nur ein leichtes Nicken, ein Blick, das ist vorerst Alles…
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Herr Lippke,
Ihre Imagination ist einfach stark.
Vermutlich liest Herr Dose hier nicht mit. (Deshalb dürfte er sich wohl nicht melden.) Ich werde aber dafür sorgen, dass er von Ihrem Tagtraum, dem ich mich von Herzen anschließe, erfährt.
kranich05
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Die Imagination ist wirklich stark.
Für mich persönlich ist der Sprung in die Realität nicht so schwer, der emotionale Bereich ist bei manchen Menschen unterentwickelt, z.B. bei den Autisten.
Also, der Doktor, der Arzt, kennt die Gedichte seiner Patienten auswendig. Er kennt aber keine Therapie auswendig, die seiner Patientin helfen könnte. Er ist als ARZT unfähig, (nicht allein er), die Patientin zu heilen. Daher hat er die wunderbare Gelegenheit, noch sehr lange wunderschöne Gedichte zu lesen, die von der Patientin in seiner Klinik geschrieben werden.
Und auch wir können uns dann auf weitere Gedichte freuen.
Unter dem Schlussstrich können wir es wirklich nur versuchen, psychisch kranke Menschen zu heilen, die Erfolge sind sehr dürr..
Gemessen an den Gedichten leisten manche Patienten deutlich mehr als wir
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Zitat:
„Als wir Matthias Dose, den ärztlichen Direktor des Isar-Amper-Klinkums, am 9. Dezember zum ersten Mal mit der aktuellen Aufnahme konfrontieren, bezweifelt er zunächst telefonisch, dass die Aufnahme aus der Forensik in Taufkirchen stammen könne. Das stellt sich allerdings recht rasch als falsch heraus.“
http://www.regensburg-digital.de/hilfeschreie-aus-der-forensik/13122013/
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