Soziale Netzwerke (Jetztzeit 9)

Bereiche der Gesellschaft, ja die ganze Gesellschaft als Netzwerk zu bezeichnen, ist zu einer wahren Mode gew0rden oder ein „Hype“, wie man heute sagt. Jetzt kann man schon zu Schulungen gehen (ich meine natürlich „workshops“), um „netzwerken“ zu lernen.

Fragen nach den gesellschaftlichen Verhältnissen sind ja wahrlich nicht neu und ebensowenig sind es die Fragen nach dem Verhalten von menschlichen Individuen oder anderen gesellschaftlichen Entitäten. Also nur Schaum, alter Wein in neuen Schläuchen? Ich glaube nicht.

Der Aufstieg eines „Netzwerkdenkens“ scheint mir nicht zu trennen von der Digitalisierung des Sozialen, einer Entwicklung, die bis zu seiner totalen Informationstechnisierung gehen dürfte. Die moderne Informationstechnologie hat die präzise mathematische Modellierung des Sozialen möglich gemacht und der Kapitalismus unserer Tage (NSA, Facebook) schafft und organisiert, beobachtet und klaut gerade die entsprechenden Datenströme.

Anwendung modernen Netzwerkwissens als herrschaftsunterstützendes Werkzeug ist weit fortgeschritten. Eine hübsche und für Interessierte nützliche Demonstration ist hier zu finden (auf „People“ klicken). Grundlegende Ausführungen zum gesamten Problemkreis liefert Krysmanskis „Hirten und Wölfe“, hier in der Auflage 2013, hier die freie Online-Version der Auflage 2004. Krysmanski nennt sein Werk ein „Arbeitsbuch mit Bausteinen für ein größeres Projekt“. Er propagiert den Weg des amerikanischen Power Structure Research (in der deutschen Soziologie konsequent totgeschwiegen) von der sich lernen läßt, „wie kollektive investigative Forschung von unten – grassroots research – in Gang kommen kann“. Für mich Anfänger ein Grundlagenwerk mit unersetzlichen Informationen (ein beeindruckendes Beispiel hier), Hinweisen und Weiterführungen. 

Auch aus Wien kommen aufregende Diskussionen über die Netzwerke der Macht und der Gegenmacht bis hin zu theoretisch begründeten, praxisnahen Verallgemeinerungen, wie sie in Katzmairs/Mahrers „Die Formel der Macht“ zu finden sind (ecowin, Salzburg 2011, auf die Schnelle habe ich leider nur einen Amazon-Link zur Hand).

Netzwerkwissen ist ein mächtiges Herrschaftsinstrument. Muß es aber nicht bleiben. Die Beherrschten können sich, genau wie sie es mit dem Buchdruck, dem Telefon, dem Internet getan haben, auch dieses Mittel aneignen und es für sich verwenden. Und es ist schön, daß ein markanter Pionier und in gewissem Sinne Vorläufer analytischer Netzwerkarbeit, Mark Lombardi, genau dieses systemkritische Potential im Blick hatte.

Bei aller Euphorie, ein Selbstläufer ist Netzwerkforschung nicht.

Mit der Beschreibung des Netzwerkes fängt es an. Das setzt seine Abgrenzung voraus, Abgrenzung hinsichtlich regionaler, zeitlicher und vor allem inhaltlich-qualitativer Aspekte. Ein weiterer umfangreicher Schritt ist die Datenerfassung. Es folgen die Schritte der grafischen Darstellung und mathematisch fundierten Analyse, vorausgesetzt also die Beherrschung entsprechender Software (die heute erfreulicherweise kostenlos verfügbar ist, z. B. Pajek). All das setzt Menschen voraus, die das Ganze machen, weil sie es brauchen – vielleicht Studentengruppen, Forschungsseminare.

Warum nicht Mollathunterstützer? „Gestandene“ Mollathunterstützer haben hunderte Personen und Institutionen und ihre Beziehungen im Blick. Ebensoviele sind ihnen vielleicht im Laufe der Zeit wieder aus dem Blick geraten. Zusammenhänge, die es in dem Netz „Mollath“ gibt, sind ihnen vielleicht gar nicht bewußt geworden – weil die Netzinformatiuonen vielleicht nicht im rechten Moment im rechten Kopf zusammenkamen oder auch, weil nicht systematisch genug Lücken im Netz analysiert/geschlossen wurden. Ein Netzwerk des Mollathskandals oder Mollathprozesses zu erarbeiten, natürlich online, erscheint mir überfällig. Wer macht mit?

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16 Antworten zu Soziale Netzwerke (Jetztzeit 9)

  1. b.schmid-oertel schreibt:

    Ja gerne *!*
    Das wird bestimmt spannend…

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  2. Rudi Ment schreibt:

    Mollath ist frei und was ist sonst passiert? Nichts! Niemand der Verantwortlichen hat irgendeine Folge für sein unmenschliches rechtswidriges Verhalten zu ertragen – das ist schrecklich frustrierend! Die können alle einfach so weiter machen! Und der Fall Mollath wiederholt sich wohl grad in diesem Moment hundertfach, weil tatsächlich gar nichts geändert wurde an diesen Netzwerken der korrupten Seilschaften in Medizin, Justiz, Politik und Wirtschaft…

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    • Dian schreibt:

      Es gab vor Herrn Mollaths Freilassung Optimisten oder Idealisten die meinten in seinem Namen berechtigt zu fordern, das sich erst einmal „was“ ändern müsse, dann käme für Herrn Mollath seine Freilassung. Ich könnte verstehen und es passte zu meinem Bild von Herrn Mollath, dass er es so herum wünschte: dafür lohnten sich über siebeneinhalb Jahre mannigfacher Entrechtung, wenn denn z. B. der Zwangspsychiatrie etwa in Bayern oder auch ganz Deutschland wirklich der Boden entzogen worden wäre. Leider steht allein dazu noch ein längerer Kampf bevor – mit Herrn Mollath in „Freiheit“. Ich freue mich immer noch über den Gewinn seiner Entlassung.

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  3. Reinhold Schell schreibt:

    @ Obigen – Wohl Alles zusammengepuzzelte Schwarmintelligenz. Macht es doch einfach wie die Magnet Schell-Fisch Angler an der Donau.

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  4. Reinhold Schell schreibt:

    @kranich 05 hat 10 Punkte wo bleibt Beate N

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  5. terrafortuna schreibt:

    Ich mache auf jeden Fall mit :O)

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  6. b.schmid-oertel schreibt:

    Wer hätte das gedacht, dass Tebartz van Elst in Bayern – Passau – Professor war ?

    http://idw-online.de/pages/de/news87364

    …und wie der Doktortitel zustande kam, könnte auch interessant sein, denn „rechnen“ sollte man dafür doch können…?!…

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