MEIN TAGEBUCH 14. Tag: Minsk-Warschau

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20. August 2016

Plan des Tages:plan20

Nachtrag zum gestrigen Tagebuch:

Am 20.8. erschien die folgende Pressemitteilung zur Friedensfahrt 2016 von Rainer Rothfuß: 

Friedensfahrer gedenken der polnischen Opfer des Stalin-Terrors in Katyn“

Am 19. August besuchten die über 200 Teilnehmer der Friedensfahrt Berlin – Moskau die Gedenkstätte Katyn in der westrussischen Region Smolensk. Damit setzen sie ein Zeichen der Völkerfreundschaft mit Polen, das ein wichtiges Glied in der Kette gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Ost und West darstellt.

In Katyn, 20 Kilometer westlich von Smolensk, wurden auf Befehl Stalins 4.400 polnische Offiziere als wehrlose Kriegsgefangene hingerichtet. Insgesamt kamen bei ähnlichen Massakern an der militärischen, intellektuellen und auch geistlichen Elite Polens 22.000 bis 25.000 Menschen ums Leben. Durch den Besuch der Gedenkstätte im Wald des traurigen Geschehens von 1940 wollten die Friedensfahrer ein deutliches Zeichen setzen, dass Kriegsverbrechen nicht nur aufseiten einer Nation verübt werden können, sondern mit der Unmenschlichkeit des politischen Instruments „Krieg“ per se erklärbar werden.

Stellvertretend für die 235 Teilnehmer der Friedensfahrt mahnte Initiator Rainer Rothfuß: „Krieg entmenschlicht immer. Daher sind auch militärische Drohgebärden, wie sie derzeit von der NATO kommen, schon der falsche Ansatz um Frieden zu sichern. Eine plötzliche Eskalation kann nie ausgeschlossen werden. Die Folgen wären wieder verheerend, das persönliche Leid unermesslich!“

Die Organisatoren der Friedensfahrt erhoffen sich durch die Geste des Gedenkens polnischer Opfer von Kriegsverbrechen der Sowjetunion durch die Niederlegung von 200 Nelken an der Gedenkstätte Katyn Verständnis für ihr Anliegen, einen unteilbaren und keine Nationen ausschließenden Frieden in einem nach Osten erweiterten, großen „Haus Europa“ zu erzielen. Für die polnische Bevölkerung ist dieses Signal von besonderer Bedeutung, da historisch bedingt eine gewisse Skepsis gegenüber den benachbarten Machtzentren Deutschland und Russland vorherrscht und daher nur glaubwürdiger Respekt vor dem Friedensinteresse Polens Grundlage einer tragfähigen gesamteuropäischen und Russland einschließenden Sicherheitsarchitektur sein kann.

Die Teilnehmer der Friedensfahrt danken den polnischen Grenzbehörden für die Priorisierung bei der Grenzabfertigung von Weißrussland nach Polen durch Öffnung des Diplomatenübergangs für die 70 Fahrzeuge des Konvois. Die Abwicklung der Formalitäten wurde als sehr freundlich und zuvorkommend empfunden.

Um die polnische Öffentlichkeit mit der verbindenden Botschaft der Friedensfahrt Berlin – Moskau zu erreichen, wurde die vorliegende Pressemitteilung an diverse polnische Medien versendet.“

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Wir sind durch Belarus gefahren, Ziel Minsk:d1

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Rast an einer Tankstelle:d15

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Nur wenige „Ereignisse“ waren geplant. Meine Eindrücke aber (und meinen Mitreisenden ging es ähnlich) waren umso erstaunlicher und einprägsamer. Und zwar deshalb, weil sie so wenig meinen Erwartungen entsprachen. Ich hatte von dem Land nur blasse Vorstellungen. Ich erwartete Einförmigkeit oder gar Ärmlichkeit im Materiellen und auch im Kulturellen.

Auffällig waren vom ersten bis zum letzten Blick über das weite Land Ordnung, Sauberkeit und Landwirtschaftskultur auf großen Flächen. Die Straßen, die wir befuhren, waren gut, der Verkehr eher gering. In Minsk durchweg breite Prospekte, sehr viele große Neubauten, die interessante Anblicke bieten, keineswegs einförmig. Die Menschen sind gutgekleidet, reihenweise attraktive Frauen (nach Aussagen jüngerer männlicher Friedensfahrtteilnehmer ;-)). Werbung für Kulturveranstaltungen, wenig Reklame, die Wahlwerbung ist (wie auch in Russland) wohltuend zurückhaltend, im Vergleich zu Russland deutlich mehr Fahrräder.

Die U-Bahnfahrt kostet umgerechnet 0,55€, der Ganztagsbesuch einer Therme 15 Rubel, entspricht 7,50 €.d2

Ein reichhaltiges Menü im Bistro kostet 6 bis 8 € und schmeckt sehr gut. Alle Früchte, Tomaten, Gurken aber auch Brot, Milch, Sahne, der Salzlakenkäse, den ich probierte, schmecken (genau wie in Russland) besser als bei uns, schmecken wie bei uns Bioprodukte. Das Einkommensniveau ist niedrig, zum Verständnis jedoch muss wirklich dieses niedrigere Preisniveau berücksichtigt werden.

Ich (aber wir alle, die hier sind) haben ein ausgeprägtes Empfinden von Normalität, Entspanntheit und Sicherheit. Als ich in der Abendstunde, gegen 21 Uhr, von der Gaststätte zum Hotel schlendere, durch einen öffentlichen Park, sehe ich mehrmals Frauen, die unbekümmert allein den Abend genießen (nein, keine Puppen, die auf Anmache warten).

Die Geschäfte sind voller Waren, jetzt, Freitag gegen 21 Uhr, wenig Kunden. Eine 1,5 Liter-Flasche Kwas begleitet mich nach Hause.d10

An der zentralen U-Bahnstation auch um diese Zeit noch, Anbieterinnen von Blumen, Kartoffeln und Obst, in Kleinstmengen (tütenweise). Ich habe keinen einzigen Bettler gesehen. Mir fällt künstlerischer Schmuck an den Säulen in einem U-Bahnhof auf. Gefällt mir:d9

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Ein ungleiches Pärchen:

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Unser Busfahrer, der Deutschrusse Walter, ist des Lobes voll über Lukaschenko. Der habe nicht die „kopflose Zerstörung des sozialistischen Erbes“ zugelassen, wie in Russland, sondern einen „modernisierten Sozialismus mit kontrollierter Marktwirtschaft“ eingeführt. Dem Augenschein nach hat er Recht.

Die Abschlusslaudatio auf Walter:d11

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Während der ganzen Fahrt in diesen Tagen blicken wir auf weites grünes Land. In Polen und Belarus ist es fast immer unterm Pflug, in den baltischen Ländern und in Russland gab es viele unberührte Flächen. Ich vergegenwärtige mir, dass überall hier die faschistische Wehrmacht ihre Stiefel hinsetzen musste. Welch ein Wahnsinn! Der deutsche Bauer vernachlässigte seine Erde, um dem russischen Bauern seine Erde streitig zu machen. Natürlich weiß ich, dass nicht Bauern zum Krieg getrieben haben. Aber ist in Wahrheit nicht auch für Viele, die sich zu den „Eliten“ zählen, der Krieg ein Verlustgeschäft? Warum kommt es trotzdem zum Krieg? Wer trifft die Entscheidungen zur Herstellung dieses Ungeheuers? Ist es die üble Ideologie, eine Art Wahnbewusstsein, das eine (Wahn-)Wirklichkeit schafft, die dann „objektiv“ für Krieg spricht? Der Mensch ideologiegetrieben, ein Narr in seinem Klassengefängnis? Oder ein Hasardspieler? Oder ist dauernder Frieden einfach unerträglich langweilig?

Bernd gibt mir den Nazi-Dokumentationsband „Winniza“ von 1944 mit der Emphase der Aufklärung eines weiteren „Katyn“. Doch das gibt „Winniza“ nicht her. Es fehlt die völker- und kriegsrechtliche Dimension von „Katyn“. Die Nazis hatten ein Massengrab von Opfern des Stalinschen Terrors aus den Jahren 1937/38 gefunden und dokumentierten und veröffentlichten die Ergebnisse, um die Antihitlerkoalition zu spalten. Fakten, die in Goebbels‘ Propagandamaschine eingebunden wurden, Wahrheit zur Hure gemacht.

 

Etliche weitere Bilder zu Belarus, Minsk hier.

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4 Antworten zu MEIN TAGEBUCH 14. Tag: Minsk-Warschau

  1. ruth2003 schreibt:

    Nur zur Info, Kommentar kann dann wieder gelöscht werden!
    Auf Facebook gibts böses Blut bzgl. des Sterligow-Besuchs. Das sollte evt. mal mit den Organisatoren besprochen werden.
    https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=1211173152238228&id=100000366648439&p=0&refid=52
    Aufmerksam geworden bin ich, da auf der FB-Seite von eingeschenkt-TV eine Anfrage dazu kam, wie die Teilnehmer der Friedensfahrt dazu stehen. Ziemlich üble Sache…

    Liebe Grüße!
    Ruth

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    • ruth2003 schreibt:

      P.S. Vllt. sollten sich auch einige der ganz Eifrigen beim Busfahrer entschuldigen. Der muß ja einen ganz schlimmen Eindruck von den Teilnehmern einer FRIEDENSFAHRT! bekommen haben.
      http://de.rusbiznews.com/news/n565.html

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    • kranich05 schreibt:

      Liebe Ruth,
      danke für Deine Hinweise. Warum sollte ich sie löschen?
      Ich darf behaupten, dass ich am Geschehen einigermaßen nah dran bin und dass ich zweitens, mir die Mühe mache (Es ist in diesem harten Zeitregime hier, tatsächlich etwas Mühe.), den Außenstehenden (soweit sie Lesen wollen) ein möglichst differenziertes und genaues Bild zu vermitteln (gewiß ein persönliches). Mehr ist nicht drin.
      Und selbst wenn mensch auch mal in Fatzebuck-Weisheiten ein Körnchen Vernunft finden mag…
      Mag sich da auslassen, wer will.
      Jeder und Jede hat die Freiheit, sich solide zu informieren. Und auch die Verantwortung.

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  2. Pingback: Friedensfahrt 2016 – in geschichtlich vermintem Gelände | opablog

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