MEIN TAGEBUCH 13. Tag: Smolensk-Katyn-Minsk

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19. August 2016

Plan des Tages:Plan 19

Zu Mitternacht des Folgetages:

Katyn ist Vielen nicht bekannt. Die darum wussten, wollten unbedingt Katyn besuchen, das ohnehin an der Strecke Smolensk-Minsk liegt.

In meinem Leben und dann auch im Blog, sowohl im alten als auch im neuen opablog, hat Katyn wiederholt eine Rolle gespielt.

Gleich betreten wir die würdige Gedenkstätte:c2

Sie liegt inmitten des Waldes, der alles sieht und alles beschweigt.

Jetzt ist erneut eine Stunde von Bernd. Er stellt sich gut sichtbar in den Vordergrund und hält Allen ein Buch entgegen:c5Es geht um eine kriminalistisch/forensisch exakte Dokumentation aus dem faschistischen Deutschland der Mordtaten von Katyn. Die Morde wurden von einer mehr oder weniger unabhängigen internationalen Kommission untersucht und eindeutig der russischen Seite zugeschrieben. Diese Anklagen wurden von der Sowjetunion zurückgewiesen und jede Beteiligung geleugnet. Bei späteren Prozessen (Nürnberger Tribunal) wurde das Thema „Katyn“, obwohl zunächst zur Verhandlung vorgesehen, ausgelassen.

Die umstehenden Friedensfahrer realisieren erst nach und nach, dass es sich um offizielles deutsches Material vom Jahr 1943 handelt. Bernd erläutert das in sprudelnder Rede. Und er sagt, dass es ein ähnliches Material über Winniza gebe und – weiter sprudelnd – dass die Akten über Oradour bis 2050 geschlossen seien (Schlußfolgerung also: Dort wird auch etwas verheimlicht.) und um den Heß-Flug gebe es auch keine Offenheit. Bernd, die Dokumentation vorweisend, reiht Fakten oder Behauptungen aneinander, die in diesem Augenblick niemand bestätigen oder widerlegen kann. Seine demonstrativen Äußerungen tendieren in eine Richtung, die jedoch nicht ausgesprochen wird.

Unsere weitere Ehrung der Opfer und die Blumenniederlegung verlaufen ohne weitere, ich nenne es mal so, überraschende Interventionen und in Konzentration auf das, was sichtbar ist.c3

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Mir fällt auf, dass zur Trauer alle Religionen symbolisiert sind – römisch-katholisch, russisch-orthodox, muslimisch, jüdisch.c6Nichtreligiöser Menschen wird hier nicht gedacht. Gab es hier vielleicht keine nichtreligiösen Opfer? Eher unwahrscheinlich, denn  informiert wird auch, dass in Katyn bereits früher als 1940 Opfer des Stalinschen Terrors erschossen wurden.  c9

Mir wird hier klar, dass der „Große Terror“ der Jahre 1936 bis 1938 (der ja selbst Ergebnis eines länger als ein Jahrzehnt währenden Entwicklungsprozesses war (Rogowin)), der Vertrag von 1939 zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland einschließlich geheimem Zusatzprotokoll und die Verbrechen gegenüber dem polnischen Volk, für die als schauerlicher Höhepunkt Katyn steht, eine Einheit bilden.

All das ist von Sozialisten-Kommunisten bisher nicht grundsätzlich-politisch bewertet, geschichtswissenschaftlich aufgearbeitet und historisch-materialistisch analysiert und begriffen worden. Wie können Sozialisten-Kommunisten glauben, ohne solche Aufarbeitung je wieder gesellschaftliche Bedeutung erlangen zu können, nachdem die Tatsachen nicht mehr zu leugnen sind?

(Nebenbemerkung: Nachdem ich dieses Posting in einer ersten provisorischen Form veröffentlicht hatte, erhielt ich umgehend Mails von Empörten mit der Ansage: „Na, soviel Blödsinn über Katyn hab ich lange nicht gelesen. Im Anhang etwas Lektüre zum Thema.“, gefolgt von einschlägigen Links. Mir ist der Eifer sogenannter echter Kommunisten wohlbekannt, mit dem die Unschuld des großen Stalin nachgewiesen werden soll. Auch viele der vorgebrachten Argumente habe ich gesichtet. Mein Bedürfnis, in langwierige Für- und Wider-Debatten einzusteigen, geht gegen Null. Wer sich darauf einlässt, droht in fast unergründlichen Geheimdienstsümpfen zu versinken. (Das ähnelt 9/11.) Wer keine Lust hat, sich solcherart am Nasenring im Kreis führen zu lassen, dem empfehle ich, sich der politischen Logik des Gesamtzusammenhangs zuzuwenden (den ich oben im Fettdruck hervorgehoben habe). Das ist meines Erachtens der Weg der Aufklärung.) 

Bernd hielt während der ganzen Zeremonie sein Dokumentationsmaterial demonstrativ vor seiner Brust. Das fand ich unangemessen. Hier wurde der polnischen (und – weniger prominent) sowjetischer Opfer Stalinscher Verbrechen gedacht. Die Verschleierung oder Leugnung von Verbrechen der Sowjetunion und überhaupt aller gegen den deutschen Faschismus kämpfenden Mächte ist eine andere Ebene. Kein Zweifel, das dieses ebenfalls Unrecht ist, doch es ist ein anderes Unrecht. Unrecht und Verbrechen dürfen in keiner Weise gegeneinander aufgerechnet werden. Jedes hat sein eigenes Maß und muss nach diesem Maß aufgedeckt, verurteilt und gesühnt werden. Ich fürchte, dass der versöhnende Spruch der FriedensfahrerInnen: „Wir wollen all das in Würdigung des gemeinsamen Leids vergessen!“ als Verweigerung der spezifischen Sühne (sogar der spezifischen Benennung) eine spezielle Form des untauglichen Gegeneinander-Aufrechnens sein könnte.

Katyn war ein unverzichtbarer Bestandteil der Fahrt und ein Höhepunkt zum Ende hin. Er bekräftigte die politisch-moralische Unabhängigkeit des ganzen Unternehmens von Staats- und Parteiinteressen. Das ist die erklärte Haltung der TeilnehmerInnen.

Wir sind weiter gefahren nach Minsk, Hauptstadt des Landes Belarus, von dem uns bereits die ersten Landschafts- und Stadteindrücke positiv überraschten.c11

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Viele weitere Bilder zu Katyn hier.

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2 Antworten zu MEIN TAGEBUCH 13. Tag: Smolensk-Katyn-Minsk

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