Heinrich Vogeler und der Widerstand heute

Von Theresa Bruckmann aufgeschrieben:

Für Heinrich Vogeler, geb. 12.12.1872 in Bremen, Künstler, Designer, Architekt und Innenarchitekt, war Leben & Kunst eine Einheit, so wie bei Joseph Beuys (1921 in Krefeld geboren).

Für beide großen Künstler war Leben und Kunst Ausdruck ihrer gesamten Lebensäußerungen. Dabei stand ihre Kunst ganz selbstverständlich im Dienst für den Menschen und die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Ihre Pädagogik und ihr politisches Engagement bildete einen ganz natürlichen selbstverständlichen Prozess hin zum Ziel eines freien Menschen, der sich entfalten, und selbstbestimmt leben und streben kann.

Beide meldeten sich als Kriegsfreiwillige: Vogeler 1914 zur Wehrmacht, Joseph Beuys 1941 zum Kriegsdienst.

Aus „Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg“ von Bernd Küster, 2004: „Heinrich Vogeler ging hinaus: war im Osten und Südosten… Während er von den Schrecken und Abscheulichkeiten des Krieges erzählte; wenn er von seinen Eindrücken und Erlebnissen hinter der Front und in der Etappe sprach, schüttelte ihn der Ekel. Das aber waren nur jeweils Augenblicke. Was ihn erfüllte, was wie ein fetzender Pflug die harmonischen Linien seiner Persönlichkeit zerriß, alles Seiende und Bestandenhabende in ihm vernichtend, war: dieses schauerliche Elend, Krieg genannt, muß ein Ende haben. Nicht nur für die Deutschen, nein, für die Menschheit … Äußerlich war alles ein pflichtumgrenztes Mitmachen im Erfüllen kriegsgegebener Aufgaben; innerlich alles Auflehnung, Wende, Neugeburt. Als der feindschaftsschwangere Friede von Brest-Litowsk geschehen war, brach die Tat aus.“ (S.82)

Die Tat des Moralisten Vogeler als Antwort auf das Elend des Krieges war ein Märchen, und er schrieb es, noch bevor in Brest-Litowsk etwas entschieden war. Er wählte diese Kunstform … Sein Text ist durch die Verlagerung in die Fiktion unpersönlich, gleich wohl direkt, aber frei von Ironie, frei von politischer Aggression, und in seiner Forderung nach Durchsetzung christlicher Ethik radikal… Er schrieb (so urteilte er zwanzig Jahre später) und „entlastete sein Gemüt von dem ganzen Dreck und Elend, von dem verlogenen Schein der letzten grausigen Jahre.“ Eine nie gefühlte Freiheit kam über ihn. Weiter Bernd Küster: „Kurz zuvor hatte er an Curt Stoermer, mit dem er vier Jahre zuvor freiwillig in den Krieg gegangen war, ein Schreiben gerichtet, das Passagen des Kaiserbriefes vorwegnahm: „Aber in mir wirken steigend derartig schwerwiegende Dinge, die sich in vollen Gegensatz zu der blutigen, verlogenen Umwelt setzen, so daß über kurz oder lang eine völlige Auseinandersetzung auf Leben und Tot (!) erfolgen muß…. du siehst selber wie in Brest der gute Herr Hoffmann in seiner eitlen Dummheit alle Quellen der Zukunft verstopft … die Soldaten müssen ihn auf dem Bauch tragen, in Orden und Ehrenzeichen und wenn er selbst kommt und sich auf seine zehn Gebote beruft, will’s keiner gewesen sein! Das läßt der sich nicht gefallen. Los! Helfen wir ihm den Weg bereiten. Ziehen wir die lügengetränkte Lügenmaskerade aus, und seien wir Mensch, nur Mensch, so kann uns keiner.“ (Küster, S.83)

Sein „Märchen vom lieben Gott“, wie er es dann an Kaiser Wilhelm II adressiert, ist weniger direkt. Darin lässt er den lieben Gott in Gestalt eines alten Mannes am Heiligabend 1917 auf dem Potsdamer Platz in Berlin Flugblätter verteilen… Höhepunkt des Briefes: „Gott aber ging zum Kaiser: Du bist Sklave des Scheins …“ lässt er Gott sagen. Vogeler war im Kriegsdienst und gerade auf Heimaturlaub. Dass er mit dem Erschießungstod rechnet, setzt er an den Anfang des Briefes und wünscht sich auch noch: der Kaiser möge nicht die Feigheit besitzen, ihn nur in eine Irrenanstalt zu stecken.

Weiter Küster S. 84f: „Damit sein Märchen real werde und Adressaten finde, sandte er den „Brief eines Unteroffiziers an den Kaiser im Januar 1918, als Protest gegen den Frieden von Brest-Litowsk“ über seinen Major an Wilhelm II. nach Charleville. Eine Kopie von beidem erhielt die Oberste Heeresleitung. Vogeler ging in seinem Vabanquespiel bis zum äußersten und wollte „den Kelch bis zur Neige leeren….Es geht um die Ehre meines Vaterlandes, es geht um Gott, es geht um mich. – Gebt diesen Brief an das Oberkommando weiter, vielleicht ist noch was zu retten – nicht für mich – für den Kaiser, für das Volk! Habt nicht die Feigheit mich in Irrenhaus zu sperren.“ „

Er kam aber dann tatsächlich für 63 Tage in eine Bremer Irrenanstalt. Dank seiner prominenten Stellung und verschiedener Fürsprecher wurde er nicht liquidiert.

Nach dem Absenden des Briefes fühlte sich Vogeler (zitiert nach Küster): „losgelöst von allem grenzenlos, aber ohne ein Gefühl der Vereinsamung, ohne ein Gefühl von Sentimentalität…. So euphorisch wie die Nacht des Märchens vergingen die folgenden Tage. Vogeler, vom Mut der Verzweiflung ergriffen, schrieb einen zweiten Brief an Ludendorff, um mit einer zweiten Unglaublichkeit zu enden. „Exzellenz, ziehen Sie Ihre roten Hosen aus und setzen Sie sich da vorne ein paar Tage in den Dreck – nur dann werden Sie erfahren, was der Frontsoldat denkt.“ Das sandte er nach eigenen Angaben an die Oberste Heeresleitung mit einer Abschrift des „Märchens vom lieben Gott“ und fühlte sich unerhört frei, wie ein Tänzer, „der seine gelösten Glieder einer bisher nie gehörten Musik hingibt! Das Leben war so schön! Und der Tod? Ich fand den Unterschied nicht mehr.!

Wenige Tage nach Versendung des >Kaiserbriefes wurde Vogeler im eigenen Hause von zwei Vertretern des Heeres aufgesucht und verhaftet, allerdings nicht, ohne sie hereinzubitten, sie zu bewirten und ihnen den Wortlaut des Märchens vorzulesen. „So jetzt wißt ihr warum ihr hier seid.“ Still hatten die beiden Feldgrauen zugehört.““

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Voglers Märchen (hier im Blog) hatte schon Manfred Gantenberg zur Vision eines gewaltlosen Aufstands inspiriert (hier im Blog). Und Opa fragt sich: Was geschähe, würden hunderte, tausende Menschen heute gewaltlosen zivilen Widerstand leisten. Sie würden, weil es ihnen um den Frieden geht, Regeln des Staates brechen, Anordnungen des Staates missachten! Oder sie würden sich nicht trauen?

Im Jahr 2015 hat Ralph Boes am Brandenburger Tor weithin sichtbar Widerstand geleistet. Jetzt gibt es einen Schatz von Erfahrungen. Und es gibt ungebrochenen Mut zu neuen Taten. Darüber spricht Ralph Boes am Freitag 15. Januar 2016 19.30 Uhr im Robert Havemann Saal im Haus der Demokratie in Berlin.

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Eine Antwort zu Heinrich Vogeler und der Widerstand heute

  1. Christa May schreibt:

    tja – dann sollten wir am 15. mal überlegen, WIE wir die „tausende Menschen“ zusammenkriegen…..:-)

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