BEAMTEN-REMONSTRATION UND BÜRGER-BESCHWERDE

Pragmatisches zum bürgerrechtlichen Handeln im Justizbereich. 

Aspekte einer bürgernahen Justiz.

 Der Begriff „Remonstration“ war mir bisher unbekannt. Im Laufe meiner Beschäftigung mit dem Mollathskandal bin ich aber mit Sachverhalten konfrontiert worden, auf die dieser Begriff genau zutrifft. Ich spreche von dem hessischen Steuerfahnderskandal (hier im opablog) und von den Ereignissen um die Steuerfahnderin Ingrid Meier im Zusammenhang mit einem Diehl-Steuerverfahren (hier im opablog). Beides Ereignisse, deren Verwandtschaft mit dem Mollathskandal auf der Hand liegt, was bisher jedoch kaum dazu führt, alle drei (und weitere) in einer gesellschaftlichen Gesamtperspektive zu  betrachten. (Hier freilich liegt eine interessante aktuelle Wortmeldung vor.) Vor diesem Hintergrund ergreife ich gern die Gelegenheit, einen weiteren Gastbeitrag von Richard Albrecht zu veröffentlichen.

Richard Albrecht ist unabhängiger Sozialwissenschaftler und hier im Internet zu finden:

„Wer in Ratgebern und Handbüchern nachschaut, um zu erfahren, was Remonstration ist, wird keine Einträge finden[1]. In diesem Fall aber in der deutschsprachigen wikipedia[2]:

„Eine Remonstration (von lateinisch remonstrare „wieder zeigen“) ist eine Gegenvorstellung oder eine Einwendung, die ein Beamter gegen eine Weisung erhebt, die er von seinem Vorgesetzten erhalten hat (§ 36 BeamtStG, ehemals § 38 BRRG und § 63 BBG (bis 2009 § 56  BBG).“

Und weiter (aus beamtenrechtlicher Sicht): „Nach den Vorschriften des Beamtenrechts muss der Beamte seine dienstlichen Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen. Hat er Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Weisung, so muss er seinem unmittelbaren Vorgesetzten gegenüber remonstrieren, d. h. gegen die Ausführung der Weisung Einwände erheben. Bestätigt der unmittelbare Vorgesetzte die Anweisung und sind die Bedenken des Beamten nicht ausgeräumt, so muss sich der Beamte an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden. Der Beamte hat hier keinen Ermessensspielraum. Bestätigt auch der nächsthöhere Vorgesetzte (der Vorgesetzte des Vorgesetzten des remonstrierenden Beamten) die Anordnung, so muss der Beamte sie ausführen. Diese Gehorsamspflicht trifft den Beamten allerdings dann nicht, wenn er durch die Befolgung der Weisung eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen würde. Der Beamte kann sich durch dieses Vorgehen vor Disziplinarverfahren schützen, wenn später die Rechtswidrigkeit der Anordnung festgestellt wird. Das gleiche gilt für den Schutz vor Schadensersatzforderungen nach § 839 BGB (Amtshaftung) i.V.m. dem jeweiligen Beamtengesetz (§ 48 BeamtStG, § 75 BBG).“

Zitiert wird zur Remonstration auch die gegenwärtig amtierende Bundesregierung (2011): „Die Remonstration bedarf keiner besonderen Form, kann also mündlich oder schriftlich erfolgen. Die Personalreferate oder eine zentrale Stelle erhalten keine Kenntnis von Remonstrationen und deren Ergebnis auf der Fachebene. Sie dürften auch nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Zur Personalakte gehören nur die Unterlagen, die die Beamten betreffen, soweit sie mit ihrem oder seinem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen (Personalaktendaten). Andere Unterlagen dürfen nicht in die Personalakte aufgenommen werden (§ 106 Absatz 1 Satz 4 und 5 BBG). Remonstrationen richten sich gegen fachliche Entscheidungen, entsprechend wären Vermerke über Remonstrationen in der Personalakte unzulässig. Mündliche Remonstrationen müssen auch im Fachvorgang keinen Niederschlag finden. Entsprechend gibt es keine Angaben zu der Zahl der Remonstrationen.“

Die abschließende wikipedianische Wertung lautet: „Die Remonstrationspflicht ist im Beamtenalltag ein nur selten genutztes Recht, da ein Remonstrant häufig befürchtet, als Querulant abgestempelt zu werden. Trotzdem oder gerade deshalb wird die Remonstration in neueren Beiträgen zur Verwaltungsethik sowie zum Whistleblowing (Aufdeckung von Skandalen) thematisiert.“[3]

Der Bundesgerichtshof erklärte 1986 grundlegend zu rechtswidrigen Verwaltungsakten[4]:

„Insbesondere besteht im Rahmen rechtmäßiger Amtsausübung für die insoweit tätigen Amtsträger in der Regel die Pflicht, als rechtswidrig erkannte oder erkennbare Verwaltungsakte zurückzunehmen.“

Deutlich wird, daß es bei Remonstration im juristischen Zusammenhang auch um die Verhinderung der (möglichen oder wirklichen) „Verfolgung Unschuldiger“ geht. Der entsprechende Paragraph des deutschen Strafgesetzes (§ 344 StGB) lautet:[5]

„(1) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren, abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), berufen ist, absichtlich oder wissentlich einen Unschuldigen oder jemanden, der sonst nach dem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Satz 1 gilt sinngemäß für einen Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist. (2) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) berufen ist, absichtlich oder wissentlich jemanden, der nach dem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Satz 1 gilt sinngemäß für einen Amtsträger, der zur Mitwirkung an 1. einem Bußgeldverfahren oder 2. einem Disziplinarverfahren oder einem ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren berufen ist. Der Versuch ist strafbar.“

Soweit die Sicht von oben nach unten. Im Gegensatz zu dieser kataskopischen Sicht steht die anaskopische als Sicht von unten nach oben. Diese bürgerrechtliche Perspektive überläßt den bekannten Staatsdienerspruch („Beschwerden sind kostenlos, formlos und sinnlos“) gern allen Beamten-, Behörden- und Justizfunktionären und verzichtet nicht grundsätzlich auf das Rechtsmittel gegen Justiz-, Behörden- und Beamtenwillkür, um immer dann, wenn´s objektiv zu dicke kam und subjektiv für wichtig gehalten wird, Remonstration einzufordern: etwa dann, wenn aus Sicht betroffener und/oder geschädigter Bürger/innen vorliegende Beweise, was (zu) oft vorkommt, entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder falsch bewertet wurden.

Ein Fallbeispiel: ein erweislich in der Geschäftsstelle des Frankfurter Landgerichts per Fax am 1.2.2012 um 6:48 Uhr eingegangenes Dokument wurde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Stattdessen beschloß eine Strafkammer des Gerichts drei „Tagessätze“ à jeweils 100 €, also 300 € Geldstrafe plus Gerichtskosten wegen „unentschuldigem“ Nichterscheinen als Zeuge. Gegen diesen Beschluß, so ein mich damals (falsch) beratender Rechtsadvokat, gäbe es  k e i n  Rechtsmittel. So daß ich, falls mein dem Gericht seit 7.2.2012 14:05 Uhr vorliegender Antrag auf Aufhebung des Beschlusses [vom 1.2.2012] abgelehnt würde, alles nach diversen Netzrecherchen und Telefonaten so vorbereitete, daß nächstentags dem Bezirksrevisor  u n d  dem zuständigen Beschwerdesenat des Oberlandesgerichts per Fax (m)ein Antrag auf Devolution vorliegen sollte. Als ich schon vermutete, die Sache hätte sich (wie so manche andere) wegen Nichtbearbeitung gleichsam behördisch „erledigt“ – erhielt ich am letzten Ostersamstag von einem anderen „Vors. Richter am Landgericht“ [den am 7.2.2012 beantragten] Aufhebungs-„Beschluß“ vom 25.3.2013. Auch dieser nahm zwar das dem Gericht [seit 1.2.2012] vorliegende Dokument nicht zur Kenntnis – hob aber den schikanösen Erstbeschluß „der Kammer“ vom 1.2.2012 auf.

Das kleine Fallbeispiel ist individuell. Und gewiß nicht verallgemeinerbar. Aber vielleicht doch als kleines Fallbeispiel anregend. Wichtiger freilich sind überindividuelle oder sogenannte institutionelle Regelungen. Diese sollen wirksam verhindern: daß Dokumente ignoriert werden und/oder verschwinden können; die dafür sorgen, daß Justizangehörige von Kopf bis Fuß sowohl auf Beherrschung elementarer Lese- und Textverstehenskompetenzen als auch der vier Grundrechenarten und ihre alltägliche Anwendung eingestellt sind (dem Tagessatz von 100 € entspricht ein monatliches Nettoeinkommen 3.000 €); die veranlassen, daß sich beschwerende Bürger/innen, die nicht innerhalb von sechs Wochen „beschieden“ werden, automatisch den „Devolutionseffekt“ erfahren, das heißt: ihre „Eingabe“ wird von der nächstübergeordneten Behörde oder der vorgesetzten Dienststelle bearbeitet; daß, wenn diese nicht innerhalb weiterer sechs Wochen entschieden hat, die Beschwerde automatisch anerkannt wird; daß dies alles für Beschwerdeführende gebührenfrei abläuft, daß sie ihre belegbaren Auslagen und Kosten bei allen „erfolgreichen“ Beschwerden sowie ihre beschwerdebezogenen (Arbeits-) Zeiten zu angemessenen Stundensätzen … und daß sie in jedem Fall einen Pauschalbetrag in Höhe von 150 € unbürokratisch erstattet erhalten.


[1] Hermann Avenarius, Kleines Rechtswörterbuch (71992); Ekkehard Götze, Rechtslexikon (²1996); Matthias Hollhusen, Recht im Alltag (2004).

[3] Ebenda; kritisch zu Querulanten(wahn) – inzwischen nach ICD 10 als paranoia querulans eine anerkannte psychiatrische Diagnose – vom Autor: http://ricalb.files.wordpress.com/2010/06/querulanten.pdf

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12 Antworten zu BEAMTEN-REMONSTRATION UND BÜRGER-BESCHWERDE

  1. mkveits schreibt:

    Als Ergänzung zum trefflichen Vorschlag der Remonstration:

    Pfingstsamstag: Millionen Kerzen gegen staatliches Unrecht – Zeit zum Street-Branding: Free G.M. – Bayern – ein Volk sagt: Es reicht

    Der unsägliche, ja: dreiste Auftritt der bayerischen Justizministerin Merk beim sonntäglichen BR-Stammtisch zum Nachteil des Gustl Mollath lässt bei mir die Überlegung reifen:
    Es ist Zeit, vom Digitalen ins Analoge zu kommen.

    Will sagen:
    Es ist Zeit für „immerwährende“ Demonstrationen dezentraler Art, indem alle involvierten Gerichtsgebäude nach guter italienischer Art friedlich „umarmt“ und durch Abertausende Kerzen zum Leuchten gebracht werden. Umarmende Lichterketten in München, Augsburg, Nürnberg, Bayreuth und Regensburg. Beginn Pfingstsamstag (18. Mai 2013) bei einbrechender Dunkelheit. Dauer: ein Umrundung des jeweiligen Gerichtsgebäudes, bei Kerzen „bewehrtem“ Schweigegang mit abschließendem „We Shall Overcome“ und passenden auf die Freilassung von Gustl Mollath gemünzten Texten. Jede dieser Demonstrationen versteht sich als friedliche Kundgabe des bürgerlichen Unverständnisses darüber, dass Gustl Mollath noch immer nicht in Freiheit ist; jede Stadt organisiert ALLES selbst; auf einer Plattform mag übergreifend digital informiert und über die sozialen Netzwerke multipliziert werden.

    Wer fühlt sich berufen, mit der Einrichtung dieser Plattform den ersten Schritt zu tun, durchzustarten? Weiters wären Satelliten-Aufnahmen (und dergl.) der kerzen-umleuchtenden Justizgebäude ein weltweites Zeichen des bürgerschaftlichen Kampfes um die Freiheit Gustl Mollaths, für die Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

    Let´s Walk HAND IN HAND!
    mkv

    Joan Baez, Woodstock, 1969

    Bruce Springsteen

    A song that changed the world

    Infos zur Lichterkette unter
    http://www.lichterkette.de
    http://www.sueddeutsche.de/muenchen/jahre-lichterkette-in-muenchen-kerzen-gegen-rechte-gewalt-1.1543012

    1992 war di Lorenzo (heute: Chefredakteur der ZEIT) Mitorganisator der ersten deutschen Lichterketten gg. Fremdenfeindlichkeit unter dem Motto München – eine Stadt sagt Nein.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_di_Lorenzo

    Beispiel Italien
    06.03.2011 08:14
    Symbolische Umarmung für das Kolosseum
    Mit einer symbolischen Umarmung für das Kolosseum in Rom haben dutzende Italiener gegen Einsparungen im Kulturhaushalt demonstriert.

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  2. Breitenbach schreibt:

    Ach und Weh, der Herr Roth …
    »Es sind im­mer die In­te­res­sen der neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie die […] in prak­ti­sche Po­li­tik um­ge­setzt wer­den, be­zie­hungs­wei­se wer­den sol­len.« Was meint er mit Ideo­lo­gie? Ei­ne ten­den­ziö­se Lü­ge? Nein, denn ei­ne Lü­ge kann nicht in Pra­xis um­ge­setzt werden. Dann aber meint er, qua­si wert­frei, die ent­spre­chen­de Ein­stel­lung; sprich: es sind die neo­li­be­ra­len In­te­res­sen, die in Po­li­tik um­ge­setzt wer­den. Rein­ge­fal­len, ar­mer Le­ser, der du von Herrn Roth ei­ne Ana­ly­se er­war­tet hat­test – es ist doch wie­der das al­te Lied bzw. die gän­gi­ge Ideo­lo­gie …
    »… wobei wir trotz­dem im­mer noch bes­ser auf­ge­stellt sind als die mei­sten eu­ro­pä­ischen de­mo­kra­ti­schen Län­der« – na al­so, wo­rü­ber be­klagt ihr euch über­haupt: die an­dern sind ja auch nicht bes­ser; nein, noch schlim­mer, in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land geht’s noch. Und wir ge­hö­ren zu den de­mo­kra­ti­schen Län­dern, na bit­te. No prob­lem and shut up! (Gibt’s auch un­de­mo­kra­ti­sche eu­ro­pä­ische Län­der?)
    … »Das Rechts­staats­prin­zip ist […] in be­stimm­ten Tei­len Deutsch­lands noch exi­stent […]. In ei­nem Bundes­land, in Sach­sen, scheint es wirk­lich nur noch ein Schat­ten­da­sein zu füh­ren.« Es scheint al­so. Aber spiel­te sich der Nicht-Ein­zel­fall M. et­wa in Sach­sen ab? – Ich den­ke, wir soll­ten dem wün­schens­wer­ten, aber durch­lö­cher­ten, um nicht zu sa­gen: ver­we­sen­den oder so­gar ge­we­se­nen Prin­zip sei­ne Dif­fe­ren­zie­run­gen nach Bun­des­län­dern auf­kün­di­gen. Im­mer­hin heißt es ja: Rechts ­s t a a t!
    … »Die Justiz leidet …« – not­lei­dend ist sie, wie Ban­ken of­fen­bar. Daß Ge­rich­te »über­haupt nicht mehr die not­wen­di­ge Zeit ha­ben«: das ent­schul­digt sie na­tür­lich und er­klärt so ziem­lich al­les … Ja, so ein Rich­ter­le­ben muß wohl hart sein, man kommt kaum noch zu re­gel­mäßi­gen Mahl­zei­ten ge­schwei­ge zum Golf­spie­len oder zum ge­mein­nüt­zi­gen En­ga­ge­ment, et­wa in Pa­tent­rechts­fra­gen oder so, wie es scheint.
    … »Re-Feudalisierung«: da­run­ter ver­steht Herr Roth die feh­len­de Bür­ger­be­tei­li­gung (»Par­ti­zi­pa­tion«) usw. Ich da­ge­gen ver­mis­se we­ni­ger die Be­tei­li­gung der »Bür­ger« als viel­mehr ih­ren P r o ­t e s t ge­gen Rechts­will­kür, oder we­nig­stens ih­re Auf­merk­sam­keit und An­sprech­bar­keit auf die­ses Phä­no­men. Zu Re­feu­da­li­sie­rung fällt mir we­sent­lich an­de­res ein als Herrn Roth: die Bin­dung an die Schol­le oder Hand- und Spann­dien­ste et­wa. Auch das durch­schnitt­li­che Denk­ni­veau im mit­tel­al­ter­li­chen Ori­gi­nal, das »He­xen«»pro­ben« und un­ter Fol­ter er­preß­ten »Ge­ständ­nis­sen« doch sehr ent­ge­gen­kam.
    … »Ethi­scher Ni­hi­lis­mus«, die­ser Vor­wurf könn­te gut aus Pfaf­fen­mund he­rvor­qual­len. Gibt es nicht auch bei uns so et­was wie ei­ne »mo­ral ma­jo­ri­ty« (zu­min­dest alle 4 Jah­re wie­der)?
    … Müß­te man wirk­lich neue Ge­fäng­nis­se bau­en, wenn man Kon­zern­bos­se, Lobby­isten und Po­li­ti­ker we­gen Kor­rup­tion be­lan­gen woll­te? Und baut man die nicht per­ma­nent? Wä­re d a s das Prob­lem?
    … Und »Transparenz«, for­dert die, z. B. via NGOs – besser GOs, nicht auch ver­stärkt der stern­be­ban­ner­te ober­ste Lehns­herr von sei­nen eu­ro­pä­ischen Sa­tra­pen (da­mit ihm nur ja kein über­flüs­si­ger Cent durch die Lap­pen ge­he)?

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  3. richard albrecht schreibt:

    @Breitenbach @Kranich05 @mkveits

    Da möcht ich mal zentristisch vermitteln: Herr Kollege Jürgen Roth hat 1.) als Journalist den Skandal-„Fall Mollath“ mit Stand Mitte Dez. 2012 in seinem neuen Spinnennetzbuch informativ, lesbar und verständlich aufgearbeitet (Seiten ) und hat auch 2.) im Telepolis-Interview heute klar gesagt: „Fall Mollath“ ist kein bayrischer Einzelfall und damit auf harte bundesweite Strukturen verwiesen; 3.) hat Roth in seiner 1:2-These (im ganzdt. Justizapparat gibt´s ´n Drittel gute und ´n Drittel Sch[…]) klar gesagt, was Sache ist: empirisch wird Rechtstaatlichkeit zunehmend fiktiv; 4.) darf ich Roth mal „theoretisch“ fundieren mithilfe der an Freuds „Unbehagen i n der Kultur“ (1930) geschulten Verkehrungsthese: Karneval kann´s nicht mal in Kölle ganzjährig geben. Damit 5.) angesprochen das Problemfeld der Typik: ganzdeutsche Justizpraxis ist eben nicht typischerweise Recht. Sondern typischerweise Unrecht. Insofern „Wie im Fall Mollath“. Oder auch: Mollath als Symptom; und 6.) abschließend, was den Anschein des Rechts(staats) betrifft, Wolfgang Koeppen („Das Treibhaus“. 1953) zitieren, weil´s meiner Erfahrung nach das gegenwärtig-ganzdeutsche Rechtsstaatssydrom treffend beschreibt: „Er sah die Menschen und er sah, daß sie sich an Illusionen festklammerten, an die sie schon lange nicht mehr glaubten.“ –

    Richard Albrecht, 080413, http://eingreifendes-denken.net

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    • Breitenbach schreibt:

      @richard albrecht

      In Ihrer auch an mich ge­rich­te­ten Wort­mel­dung steckt viel Wahr­heit, doch kann ich sie nicht als Ein­wand ge­gen das von mir Ge­sag­te gel­ten las­sen: denn da­bei han­delt es sich aus­schließ­lich um wörtli­che Zi­ta­te so­wie aus die­sen deut­lich wer­den­de Ein­stel­lun­gen des Zi­tier­ten zu dem von ihm dar­ge­stell­ten Ge­sche­hen. Mag je­mand ein­wen­den, die Zi­ta­te sei­en von mir will­kür­lich aus dem Zu­sam­men­hang ge­ris­sen, ant­wor­te ich, erst die­ses »He­raus­reißen« stellt den un­ter­schwel­lig vor­han­de­nen Zu­sam­men­hang an­ge­mes­sen he­raus.

      Es ging mir da­bei gar nicht so sehr um die Per­son des Herrn R. (je­der Mensch hat schließ­lich sei­ne Stär­ken und sei­ne Schwä­chen, doch ist dies nicht der Punkt), auch will ich den Wert sei­ner Ar­beit, die ich kaum ken­ne, durch­aus nicht in Ab­re­de stel­len. Wo­rauf woll­te und – ich blei­be da­bei – will ich dann hi­naus?

      In Wirk­lich­keit geht es um Men­schen­le­ben, das soll­te man nicht un­ter­schät­zen; um ein men­schen­wür­di­ges Da­sein, das für die größ­te Zahl zu­gun­sten ei­ner ver­schwin­dend klei­nen Min­der­heit zu­neh­mend ver­saut wird. Da­rum geht es. Und dann ist es eben dop­pelt ent­täu­schend, wenn ir­gend­je­mand den Fin­ger in ei­ne der zahl­rei­chen Wun­den legt, was über­aus löb­lich ist, und da­bei oh­ne Not, denn da­zu zwingt ihn nie­mand, die Spra­che der Mensch­heits­fein­de über­nimmt oder, um mit Brecht zu spre­chen, die »Skla­ven­spra­che« bei­be­hält. Denn wo­zu dann der gan­ze Auf­wand? Dann kann man’s auch sein las­sen und ver­suchen, von et­was an­de­rem zu le­ben: man de­mo­ra­li­siert auf die­se Wei­se bloß und trans­fe­riert das Hoff­nungs­prin­zip in den un­ge­sun­den Zu­stand fru­stra­ner Er­re­gung. Und ge­nau des­we­gen muß es nicht nur er­laubt sein, son­dern ist es so­gar vor­dring­lich, die Schwach­stel­len ei­nes sich fort­schritt­lich ge­rie­ren­den Au­tors zu be­nen­nen, so­bald es sich da­bei um Grund­sätz­li­ches han­delt.

      Sie selbst, und da­für dan­ke ich Ih­nen aus­drück­lich, wei­sen auf den Schlüs­sel hin, der die em­pi­risch von Fall zu Fall zu be­ob­ach­ten­den Un­ter­schie­de in der Rechts­pfle­ge er­klärt. Die Re­ste an Rechts­staat­lich­keit be­nen­nen Sie me­ta­pho­risch als »Kar­ne­val«, und das trifft es ge­nau. Denn da­mit der schö­ne Schein nicht ver­lo­ren geht, dür­fen be­stimm­te und ver­mut­lich von ei­gens hier­zu an­ge­stell­ten Psy­cho­lo­gen er­rech­ne­te Pro­zent­sät­ze al­ler Ju­stiz­ur­tei­le n i c h t  falsch sein. Dies folgt aus der lern­theo­re­ti­schen Er­kennt­nis, daß die be­ste Ver­stär­kung ei­nes »Ver­hal­tens« – hier: der öf­fent­li­chen Mei­nung, die in ih­ren in­di­vi­du­el­len Trä­gern ja auch als ak­ti­ver Pro­zeß wirk­sam ist und in die­sem Sin­ne »ope­rant kon­di­tio­niert« wer­den kann – in »un­re­gel­mäßig in­ter­mit­tie­ren­der Be­loh­nung« be­steht. Ab und zu – je­den­falls bis zu dem Zeit­punkt, ab dem ei­ne Me­dian­ver­schie­bung die­ser Mei­nung in den Köp­fen hin zu dem er­wünsch­ten neu­en »Ver­hal­ten« zu ver­zeich­nen ist (auf teu­re Ko­stü­mie­rung oder »Kar­ne­val«, um im Bild zu blei­ben, al­so oh­ne Scha­den für das an­ge­streb­te neue Sy­stem ver­zich­tet wer­den kann, weil die Mehr­zahl sich schon mit dem Un­recht ab­fin­det) -, stimmt des­halb ein Ur­teil so­gar in ei­nem Un­rechts­staat und m u ß  dies da­her auch.

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  4. Frieder Kohler, Alemannenstr.11, 79211 Denzlingen schreibt:

    Was der (Polizei-) Beamte in den ersten Unterrichtseinheiten über seine Rechte und Pflichten „hört“, wird fallbezogen durch Straf- und Strafprozeßrecht und (Polizei-)Verwaltungsrecht vertieft: Er muß die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung „verinnerlicht“ haben, muß sich seiner Garantenstelllung (Handeln durch Unterlassen!) stets bewußt sein und hat in der oft schwierigen rechtlichen und taktischen Lage das o.a. Recht/die Pflicht zur Remonstration! Dabei darf die Beratungs- und Unterstützungspflicht seiner Vorgesetzten nicht vergessen werden: Sie erkennen das Problem? Den Mut, die eigene Meinung – trotz zu erwartender Nachteile – vorzutragen, kollidiert
    mit Karrierestreben und Kameraderie, vorauseilender Gehorsam schlägt Rechtstreue! Auch hier finden wir den unmündigen Staatsbürger, ob mit oder ohne Uniform: Der Untertanengeist ist nicht totzukriegen. „Eines Tages holt ein Polizist einen zweiten ab, der dritte steht dabei und sagt, „es wird schon was gewesen sein“ – wie war das wohl bei Gustl Mollath, und was ist aus den Beamten geworden?

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  5. Ja, die Illusionen, die wir schon lange nicht mehr glauben …

    Der Ständestaat, der uns die Hierarchien der Beamten bescherte, die neben Kirchen, Justiz und Staatsverwaltung auch in den alten Firmen weiterwirken, beruhte auf dem verteidigten Gymnasium, das die obere Klasse der Verwaltung hervorbrachte, die Doktortitelsucht ist eines der alten Zeichen.

    Jura hat, neben Medizin und Theologie, die alten lateinischen Umgangsformen, Hierarchie-intern in Latein über Dinge zu reden, die das Volk / der Patient / der Laie nicht verstehen soll.

    Ich lernte die Remonstration bei Schlötterer in „Macht und Mißbrauch, von Stauß bis Seehofer … kennen, und auch die Funktion der Handakten, die (für immer geheim) am Arbeitsplatz bleiben.

    Demokratisch (früher sagte man auch: Republikanisch) müsste eine Justiz erst wieder neu erfunden werden, die ohne Stände-Talar, Bibel und Kreuz nach den Formen sucht, die Gerechtigkeit wieder herstellen können. Die Kelten waren da schon mal weiter, und der Rache- und Straf-Aspekt der CSU ist ein Wiedergänger aus dem 3. Reich, das darauf spezialisiert war.

    In anderen Kulturen wird schon länger nach Ausgleichs-, Mediations- und Versöhnungsprozessen gesucht, bei uns wird nach nord-amerikanischen Konzepten die Gewinnsucht zu Gefängnis und Psychiatrie ausgeweitet.

    Nun hat uns das Parteien-Konzept leider so politisch hoffnungslos gemacht, dass wir uns eine selbst bestimmte demokratische Justiz und Verwaltung gar nicht mehr vorstellen können …

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  6. richard albrecht schreibt:

    Lieber Herr @Breitenbach,

    da kann ich Ihnen im Grunde weder groß widersprechen noch klein in die Parade fahren;-): ich meint/e freilich, als „Sozialwissenschaftsjournalist“ (Lars Clausen) und unter Verweis auf die Buchseiten 207-217 im SPINNENNETZ DER MACHT, Jürgen Roth (2013) als gediegen arbeitender Aufklärungsjournalisten, der den „Fall“ Stand Mitte Dezember 2012 (wie ich meine: fast schon mustergültig) aufgearbeitet hat, bezeichnen zu dürfen: Sie beschimpften Roth. Das empfand/empfinde ich als nicht richtig.

    Zum „Stand der Dinge“ sag ich als jemand, der auch nicht erst seit vorvorgesternmorgen diesen ganzdeutschen Justizapparat als Teil des repressiven „Staatsapparats“ (Louis Althusser) linkswissenschaftlich kritisiert http://www.duckhome.de/tb/plugin/tag/Richard+Albrechts+JustizKritik , nur noch klipp+klar:

    Der Skandal-„Fall Mollath“ nebst den von Dr. K. P. Kirch hier in seinem Blog verdienstvoll dokumentierten und an Peinlichkeit kaum noch zu übertreffenden „Fall“-Äußerungen wichtiger ganzdeutsch-staatsgebundener „Menschenrecht“sorganisationen war und ist k e i n bayrischer Einzelfall. (Insofern halte ich auch gegen jedes populistisch-folkloristisch-antibavarisches Gedödel).

    Der Skandal-„Fall Kollath“ verweist auf harte bundesweite Strukturen im Justiz-, Repressions- und Herrschaftsbereich und zeigt/e, wie aktuell Justizkritik ist und wie wichtig bürgerrechtliche Kritiker sind. Jürgen Roth hat zuletzt im „Telepolis“-Interview in seiner 1:2-These (im ganzdt. Justizapparat gibt´s ´n Drittel gute und zwei Drittel Sch[…]) klar gesagt, was Sache ist („Das Rechtsstaatsprinzip bröckelt gewaltig“ http://www.heise.de/tp/artikel/38/38830/1.html ): Rechtstaatlichkeit wird in Ganzdeutschland empirisch zunehmend fiktiv. Und bloße Ideologie.
    Das seh auch ich ähnlich. Und das hab ich auch „theoretisch“ fundiert mithilfe der an Freuds „Unbehagen i n der Kultur“ (1930) geschulten Verkehrungsthese: Karneval kann´s nicht mal in Kölle ganzjährig geben. Damit ist das Problemfeld der Typik angesprochen: ganzdeutsche Justizpraxis ist nicht typischerweise Recht und Gesetz. Sondern typischerweise Willkür und Unrecht: „Wie im Fall Mollath“ oder „Mollath als Symptom“.

    Was schließlich den Anschein des bürgerlichen Rechts und des ganzdeutschen Rechts(staats) http://duckhome.de/tb/archives/9235-DER-ANSCHEIN-DES-RECHTS.html betrifft, zitier ich gern nochmal aus Wolfgang Koeppen „Das Treibhaus“ (1953), weil dort m.E. das Dilemma der vielen da unten, die von denen da oben seit Jahrzenten mit dieser Rechtsstaatsideologie nachhaltig vollgemüllt werden, m.E. treffend formuliert wurde:

    „Er sah die Menschen und er sah, daß sie sich an Illusionen festklammerten, an die sie schon lange nicht mehr glaubten.“

    Mit freundlichem Gruß
    Richard Albrecht, 13. 04. 2013
    http://eingreifendes-denken.net

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