Aus dem Leben des deutschen Kommunisten Kurt Riemer – Kindheit, Erster Weltkrieg

Ich zitiere aus den autobiografischen Skizzen von Kurt Riemer (1909-2004)*, Seiten 13, 14:

„Meine Mutter war mit mir und meiner Schwester zum Sommerbesuch bei unserer Großmutter in dem kleinen Dorf Neuholland, wenige Kilometer von der Bahnstation Nassenheide im Kreis Oranienburg entfernt. Ganz plötzlich packte meine Mutter unsere Sachen zusammen und fuhr mit uns nach Berlin zurück. Der Grund war die Mobilmachung zum Beginn des Ersten Weltkriegs, Fünfeinhalb Jahre war ich. Es muss der 5. August 1914 gewesen sein, als wir auf dem damaligen Stettiner Bahnhof dem heutigen Nordbahnhof eintrafen. … Es wimmelte von Menschen im Bahnhofsgebäude und auf dem Vorplatz. Eine erregte Stimmung schien alle erfasst zu haben. Auf den Straßen zogen Kolonnen feldgrau gekleideter Soldaten – auch die Pickelhauben, die Helme, hatten graue Überzüge – zum Bahnhof. Blumen steckten in den Läufen der geschulterten Gewehre und an den Uniformen. Nebenher liefen Menschen in allen Altersgruppen und von überall her auch aus den Fenstern wurde begeistert gewinkt. Alle auch die Soldaten machten den Eindruck eines bereits errungenen Sieges. Aber sie zogen ja zum Transport an die Front, auf eine Weg, der bekanntlich alles andere als ein Sieg wurde.

Dass diese Eindrücke so in meiner Erinnerung haften geblieben sind, ist wohl darauf zurückzuführen, dass nun Jahre folgten, die von den Ereignissen des Krieges bestimmt waren. …

Ich erlebte ihn zuerst mit Siegesmeldungen und dem damit verbundenen schulfreien Tag, aber dann mit den zunehmenden Meldungen vom Heldentod der Soldaten, auch aus den Kreisen uns bekannter Familien und mit den Sorgen um den Erhalt der Lebensmittelrationen.
Dann kam die Meldung, dass der Krieg in Russland zu Ende sein soll und eine Revolution stattgefunden habe und dass die Soldaten nicht mehr aufeinander schießen und sich in den Schützengräben besuchten. Stimmen wurden laut, der Krieg sei verloren.

In Erinnerung geblieben ist mir auch meine erste Rohrstockprügel zu Beginn des zweiten Schuljahres. Sie wurde mir von einem vierschrötigen Kerl von Lehrer verabfolgt, der gerade erst aus irgendeinem Grund von der Front zurückgekehrt war und neben Erzählungen deutschheldischer Kriegstaten stockschwingend zwischen den Schülern über die Bänke stieg. Übrigens bekam ich die Prügel nicht wegen eines besonderen Vergehens, sondern weil ich beim Aufsagen eines Kindergedichts „Vom Hasen im Kohl“ im zweiten Vers stecken geblieben war. … Gefördert durch die Schule und durch die anfängliche Siegeshysterie wurde von uns Kindern Krieg gespielt. Anfangs wollte niemand Franzose, Brite oder Russe sein, später ließ das Interesse an solchen Spielen erheblich nach.“

Fortsetzung hier.

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Kurt Riemer hatte ich durch meine Arbeit kennen gelernt.
Von 1967 bis 1990 arbeitete ich in der Erwachsenenbildung. Das heißt konkret: Ich war wissenschaftlicher Mitarbeiter (und stellvertretender Leiter) einer Einrichtung im Industriebereich Schwermaschinen- und Anlagenbau der DDR, in der fachlich hochqualifizierte junge Leute (die bereits erfolgreich untere Leitungsfunktionen ausgeübt hatten) in Halbjahreslehrgängen auf höhere Leitungsfunktionen vorbereitet wurden. Unsere Lehrgangsteilnehmer hatten fast immer eine technische Ausbildung, die bei uns um betriebswirtschaftliches, volkswirtschaftliches, juristisches aber auch psychologisches und soziologisches Wissen erweitert wurde. Ein besonderes Anliegen war es mir, dem marxistischen Philosophen, auch ans Studium unserer Gesellschaftstheorie heranzuführen und zwar nicht mit Materialien aus zweiter oder dritter Hand, sondern an Hand von Originalarbeiten von Marx, Engels und Lenin.

Ein fester (Rahmen-)Bestandteil unseres Programms war ein Ganztagesbesuch der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen. Ich organisierte anfangs verschiedene kompetente Führer aber bald trat der Glücksfall ein, dass für diese Aufgabe der ehemalige „Sachsenhausener“ Kurt Riemer gewonnen werden konnte. Er war jetzt Rentner und konnte sich auch deshalb besonders gut auf unsere Leute einstellen, weil er auch über große Erfahrungen aus Leitungsfunktionen in der DDR-Industrie verfügte.
Über viele Jahre hat er unsere Lehrgänge begleitet.

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Für die neue deutsche demokratische Republik: All das vergangene Gute und Schöne demokratischen Bemühens (Vieles davon ist in Kunstform) sich aneignen, bewahren und lebendig halten!

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