Mein Vater, der Russe und ich.

Es muss 1948 oder 49 gewesen sein. Ich war acht Jahre alt. Mein Vater betrieb damals ein kleines Bauunternehmen. Er war geschäftlich viel mit dem Pkw, einem alten DKW (der später noch jahrelang in der DDR als IFA F 8 gebaut wurde) im Thüringer Wald unterwegs, vor allem im Raum Ilmenau, unserer Heimatregion.

Wenn es irgend möglich war, begleitete ich ihn bei diesen Fahrten. Besonders interessant für mich war es in der Nähe von Ohrdruf, wo die Sowjetarmee einen Standort und Übungsplatz hatte und ich immer nach Panzern und Geschützen Ausschau hielt.

Wenn wir die Waldstraßen entlangfuhren, auf denen oft einzeln oder in kleinen Gruppen russische Soldaten zu Fuß unterwegs waren, hielt, wenn sie winkten, Vati oft an, um jemand mitzunehmen. Er erklärte mir: „Ist besser, zur Sicherheit, man weiss nie, wofür es gut ist.“ Deshalb auch nahm er am liebsten Offiziere mit.

Einmal überholten wir vor einer Kurve (Ich weiß tatsächlich heute noch, dass es eine Linkskurve war!) einen einzelnen Soldaten, der seine MPi lose umgehängt trug. Der Soldat winkte, Vati fuhr, entgegen meiner Erwartung, weiter. Der Soldat griff mit drohendem Ausdruck nach seiner MPi und zog sie hoch. Vati fuhr ungerührt weiter und hielt dann ein ganzes Stück hinter der Kurve.

Der Soldat kam uns nachgerannt und stieg dankend ein. Vati, der einige Brocken russisch konnte, zeigte auf die MPI und sagte etwas in der Art: „Nichts da, mit diesem Ding. Krieg ist aus.“ Der Soldat entschuldigte sich. Vati legte nach, dass er doch in der Kurve nicht hätte halten dürfen… Dem Soldaten wurde wohl sein Unverstand bewusst, er entschuldigte sich wiederholt und war wohl ziemlich beschämt.
Nach den wenigen Kilometern Fahrt schied man freundlich voneinander.

Soweit ich mich erinnere, sagte ich Vati dann, dass ich mich das nicht getraut hätte. Er meinte aber, dass müsse doch langsam normal sein.
Es war meine erste bewusste, persönliche Begegnung mit einem Russen.

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Eine Antwort zu Mein Vater, der Russe und ich.

  1. Theresa Bruckmann schreibt:

    Kranich, Autos sind für mich nur mehr oder weniger zuverlässig funktionierende
    Fortbewegungsmittel. Es gibt aber Konstruktionen, die sind schön, so z.B.
    Borgwards Isabella. So was fällt dann sogar mir auf!
    Also dieses DDR-Modell, das hat was, eine schöne Handarbeit, nach einem
    Bausatz vielleicht? Auf jeden Fall was fürs Auge.

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