Falls es eine neue Friedensbewegung geben sollte, wird es keine Schwarzer/Wagenknechtsche sein

Sarah Wagenknecht hat auf der Kundgebung „Aufstand für Frieden“ am 25. Februar 2023 in Berlin den Start einer „neuen starken Friedensbewegung in Deutschland“ ausgerufen.
Die Petition „Manifest für Frieden“, die sie und Alice Schwarzer sowie 69 Erstunterzeichner am 10. Februar 2023 gestartet haben, wurde bisher knapp 770.000 mal unterschrieben. Schön, jedoch sehe ich keinen Grund, sich an der Zahl zu berauschen.
Dass jeder 100. Deutsche im Laufe eines Monats an seinem PC einmal diese Petition anklickte, ist weit entfernt von einer politisch bedeutsamen Friedenskraft.

Ich meine, dass man sich ehrlich fragen sollte, ob es überhaupt heute in Deutschland ein ernsthaftes, verbreitetes Bedürfnis gibt, für den Frieden aktiv zu werden.
Es gibt zwar (von Baerbock und Strack-Zimmermann abgesehen) kein heftiges Drängen nach Krieg. Kaum einer möchte an die Front eilen. Aber darüber hinaus? Viel Alltag beschäftigt die Menschen. Einen ordentlichen Konsumstatus zu gewährleisten macht Mühe und Arbeit genug. Warum sich auch noch um Weltprobleme kümmern? Sie sind komplex und kaum zu verstehen, man kann sowieso nichts ausrichten, und letztlich darf man den Medien und Politikern vertrauen. Umso mehr, als diese uns gerade glimpflich durch die Corona-Pandemie geleitet haben. (Wer in meiner Darstellung etwas Ironie spürt, täuscht sich nicht.)

Natürlich gibt es, auch ohne Friedens-Massenbewegung, viele wache Menschen und nicht wenige, die sich seit Jahr und Tag für Frieden einsetzen und über Kriegsgefahren aufklären. Viele sind unermüdlich in einer großen Zahl von Friedens- und Demokratievereinen und -initiativen tätig.
Ihre politische Wirkungsmacht aber, gemessen am Stopp der aggressiven NATO-Politik aller BRD-Regierungen und aller Kartellparteien, ist gering. Oft verbleibt das Wirken in einer Nische.
Nicht wenige Aktivitäten der Friedensbewegten haben über die Jahre Routinecharakter angenommen. Offen oder verdeckt Systemtreue haben in der Szene großen Einfluss. Abgrenzungen voneinander, oft wegen Nichtigkeiten, Kontaktschuldvorwürfe, Animositäten sind an der Tagesordnung. Spaltungen sind normal geworden. Werden als Erstes diese Spaltungen von den Verkündern der neuen Friedensbewegung thematisiert bzw. abgebaut? Ich bezweifle es.

Wie sollten die nächsten Schritte in Richtung der neuen Friedensbewegung aussehen; die ALLERNÄCHSTEN? Meine drei Cents:

  1. Schaffung eines Forums der Friedensorganisationen, das ALLEN diesen Organisationen und Aktivisten offen steht. Voraussetzung dafür ist, dass sich ein Koordinierungskreis bildet, in dem die derzeit wichtigsten („namhaften“) Friedens- und Demokratieinitiativen gleichberechtigt mitarbeiten (können). Dieser Arbeitskreis muss beginnen, den Prozess zu organisieren.
  2. Öffentlichkeit/Transparenz der Aktivitäten des Koordinierungskreises und des Forums von der ersten Stunde an. Das heißt: Einrichtung einer entsprechenden Webpräsens. Diese muss jederzeit den Dialog mit den „Besuchern“ gewährleisten.
  3. Erarbeitung einer grundsätzlichen Position zur Frage Krieg/Frieden in der heutigen Welt (westlicher Globalismus versus Multipolarität). Das läuft auf einen langen, vermutlich mehrjährigen Diskussionsprozess hinaus. Ungeachtet dieser Langwierigkeit und Komplexität muss dieser öffentliche Diskussionsprozess angestoßen werden und zwar so, dass er von „normalen Menschen“ nicht nur verstanden wird, sondern sie sich auch selbst beteiligen können.
  4. Versuch, so schnell wie möglich, Tagesforderungen der neuen Friedensbewegung zu formulieren. Diese Tages- bzw. Minimalforderungen dürfen der herrschenden NATO-Kriegspolitik keinen Vorschub leisten (wie bei Schwarzer/Wagenknecht). Minimum ist: Die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten müssen erfüllt werden mit dem Schwerpunkt, dass die systematische Missachtung der Sicherheitsinteressen Russlands beendet wird. Das letztgenannte Minimum wird Russland nie und nimmer zum Gegenstand von Verhandlungen machen.

Ich bin sicher, eine neue Friedensbewegung muss zu diesen Einsichten fähig werden, oder sie wird nicht sein.

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6 Antworten zu Falls es eine neue Friedensbewegung geben sollte, wird es keine Schwarzer/Wagenknechtsche sein

  1. MSC schreibt:

    Zur Kritik an der Wagenknecht/Schwarzer-Petition hat RTDE einen messerscharfen Beitrag von: “Rainer Rupp: Vorsicht vor Fake-Friedensdemos!”

    https://test.rtde.tech/meinung/166023-rainer-rupp-vorsicht-vor-fake/

    Gleichfalls erwähnenswert:

    Rüdiger Rauls: “ ‘Keinen Euro für den Krieg’ – Ansätze einer neuen Friedensbewegung”

    https://test.rtde.tech/meinung/165699-keinen-euro-fuer-den-krieg-ansaetze-einer-neuen-friedensbewegung/

    und noch einmal

    Rainer Rupp: “Konferenz zur Einigung des Widerstandes gegen den US/NATO-Krieg in der Ukraine”

    https://test.rtde.tech/meinung/165399-konferenz-zur-einigung-widerstandes-gegen/

    Allerdings ist Eile geboten. Sollten unsere Berliner Leuchttürme (aka Kabinett) eine Gelegenheit sehen, ihre feuchten Träume Wirklichkeit werden zu lassen, könnte schnell dieses Szenario eintreten:

    “ ‚Einzelne Narren und Schwachköpfe wie Deutschlands Justizminister sagen: Sollte [Putin] einmal kommen, würden wir ihn verhaften.‘

    Der hochrangige Beamte warf Buschmann vor, die Konsequenzen eines solchen Schritts zu missachten. Medwedew zufolge würde eine Verhaftung Putins in Deutschland einen Kriegsfall und eine Kriegserklärung bedeuten.

    ‚In diesem Fall würden unsere Mittel in den Bundestag, ins Kanzleramt und so weiter fliegen.‘ ”

    Selbst die Märchenschau teilt diese Warnung Medwedjews mit, allerdings unter Auslassung des letzten Satzes. Denn, so haben wir von Thomas de Maiziere gelernt: Teile der Wahrheit könnten die Bevölkerung verunsichern …

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    • kranich05 schreibt:

      Die Ausführungen von Rainer Rupp habe ich natürlich auch zur Kenntnis genommen. Sein „!messerscharfer Beitrag“ ist treffend. Ich hoffe es wird deutlich, dass ich grundsätzlich anders herangehe – nämlich offen vom ersten Schritt an! – als die geheimnisvollen Leute, die eine geheimnisvolle Einigungs-Konferenz ankündigen.

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      • MSC schreibt:

        Diese Haltung ist absolut zu respektieren, und meine Absicht ist nicht, Verdikte zu erlassen. Ich verstehe die Links als Anregung, differierende Ansichten aufzunehmen und möglichst konstruktiv zu verarbeiten.

        Dennoch ist Rainer Rupps Kritik an der „Verbeugung vor dem Gesslerhut“ nicht von der Hand zu weisen: „Denn jede Verurteilung des angeblich ‚brutalen russischen Angriffskriegs gegen unschuldige ukrainische Frauen und Kinder‘ aus den Reihen von Friedensdemonstrationen ist Wasser auf die Mühlen der imperialistischen Politik Washingtons, Wasser auf die Mühlen des Krieges gegen Russland, der bis zum letzten ukrainischen Soldaten verlängert werden soll.“

        Das ließ zum Beispiel Oskar Lafontaine im Rededuell mit Roderich Kiesewetter recht schwach aussehen (abgesehen davon, dass er nicht auf Kiesewetters Dreistigkeit vom angeblichen russischen Überfall auf Georgien reagierte; außerdem konnte er nicht die Doppelfunktion der MK-41-Raketenabschussrampen erklären):

        https://www.ardmediathek.de/video/maischberger/roderich-kiesewetter-und-oskar-lafontaine-ueber-china-und-moegliche-friedensverhandlungen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21lbnNjaGVuIGJlaSBtYWlzY2hiZXJnZXIvMzlhZDNhN2YtNDM1MS00NjFiLWE0M2MtMWVlZmJhNzYyYWM2

        Rupps Analyse, dass dieser Krieg „die Konsequenz einer über 20 Jahre dauernden Aneinanderreihung von schweren antirussischen Provokationen und höhnischen Zurückweisungen der nachvollziehbaren Sicherheitsbedürfnisse Russlands [ist], deren Äußerung angesichts der stetigen US/NATO-Expansion im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr als gerechtfertigt war. Zugleich haben die vielen US/NATO-Angriffskriege und Destabilisierungen ganzer Staaten in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass die NATO das Gegenteil einer Friedens- oder Sicherheitsorganisation ist“, bedürfte natürlich einer sorgfältigen rhetorischen Darreichungsform.

        Die Drohung aus dem BRD-Machtapparat, sich einer politischen Verfolgung à la Heiner Bücker auszusetzen, sollte immer mitbedacht werden.

        Lafontaine würde vermutlich nicht mehr allzu viel passieren, aber er scheint auch langsam müde zu werden. Interessanter fände ich, mal z. B. Scott Ritter gegen einen Kiesewetter antreten zu lassen.

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  2. kranich05 schreibt:

    Höchst anregender und qualifizierter Vortrag von Dr. Rothfuß zur Geopolitik:

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  3. Theresa Bruckmann schreibt:

    Kranich05,
    auch über ein Wiedersehen und -hören mit dem Druschba-Fahrer Dr. Rainer Rothfuß habe ich mich gefreut.

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  4. Pingback: Sind die „neuen Friedensbewegten“ dumm? | opablog

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