Transparenz vor allem!

Wir leben in einer Zeit großer Widersprüche und Gefahren. Umweltkrisen, Gesundheitsgefahren, Kriegsdrohungen – die Ängste wachsen. Sie werden auch künstlich geschürt. Verschiedene Retter bieten Auswege an. Doch weder ist das Bewusstsein der Massen wach, noch ihr Vertrauen in die eigene Ermächtigung kraftvoll.

Mit der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts begann eine Zeit großer Anstrengungen der Menschheit zu ihrer Befreiung. Es ging um nicht weniger als mit dem „Kapitel 2“ der Weltgeschichte zu beginnen. Eine große Rolle spielten dabei die Lehren und Taten von Marx, Engels und Lenin. Auf der Basis einer „Revolution in der Philosophie“ war schließlich eine Reihe ideologischer Leitlinien erarbeitet worden, und an der Radikalität sie durchzusetzen mangelte es nicht.

Nach 200 Jahren ist diese Phase 1989 mit einer Niederlage zu Ende gegangen. Die Niederlage war so tiefgreifend, dass auch drei Jahrzehnte später noch kein neuer Anfang gemacht ist, wie ich meine. Dass geschlagene Armeen gut lernen, konnte die ehemals kommunistische Weltbewegung bisher nicht bestätigen. Im Gegenteil besteht eher der Eindruck, dass es die Ausbeuterklassen sind, die aus der Erfahrung, vom Weltkommunismus bedrängt worden zu sein, praktikable Schlüsse zur Verewigung ihrer Herrschaft gezogen haben.

In dieser Situation erlebe ich immer wieder ein großes Bedürfnis nach wirksamer Opposition. Auf Initiativen – „Mahnwachen“ „Aufstehen“, „Wir2020“, „Querdenken“, „dieBasis“ – gab es große spontane Resonanz. Es bildeten sich hoffnungsvolle Organisationskeime aber nach kurzer Zeit setzte ein Selbstzerstörungsprozess ein, der alles zunichte machte. Besonders aktuell ist gerade das Beispiel von Corona-Ausschuss und Basispartei.

Selbstzerstörungs- oder „nur“ Lähmungsprozessen, unterliegen alle systemoppositionellen Organisationen und Bewegungen, nicht nur die jungen, unerfahrenen, sondern auch die traditionsreichen. Das betrifft Gewerkschaften und Parteien ebenso, wie Vereine, Bewegungen und sog. NRO, deren Funktion ohnehin meist die von RHO, RegierungsHilfsOrganisationen, ist.

Manches lässt sich vermutlich mit der Zersetzungsarbeit der Geheimdienste sowie der Gehirnwäsche durch die „Blödmaschinen“, wie Seeßlen sagt, erklären. Doch welche Bedingungen setzen wir selbst, die individualistischen Bewohner des neoliberalen Universums?
„Klasseninstinkt“, der gleichsam naturwüchsige klassenmäßige Zusammenhalt auf der Basis der täglich spürbaren Klassenlage, der in der Vergangenheit durchaus wirkmächtig war, ist verschwunden.

Meine These: Wir Menschen heute leben als neoliberale, d. h. individualistische Monaden. Soziale Beziehungen sind systematisch zerstört worden. Sie existieren heute nur noch rudimentär. Es gibt nichts Soziales/Zwischenmenschliches, das die Menschen zueinander bringt und eine stabile Gemeinschaftlichkeit trägt. Die einzige funktionierende Beziehung der Menschen ist die von Geldgebern und Geldempfängern (als Erscheinungs- und Verhüllungsform von Ausbeutungs- und Ohnmachtsverhältnissen).

Eigentlich war es den Kommunisten bewusst, dass völlig neue Sozialbeziehungen geschaffen werden müssen. Sie setzten sich entsprechende Ziele, sprachen vom „neuen kommunistischen Menschen“. In der Praxis aber lief es darauf hinaus, dass Eine Große Ziel unter abgeleiteten Einzelanstrengungen zu begraben. Die „neue soziale Bindung“, eine bewusste und freiwillige, die Lenin entdeckt zu haben glaubte („Die große Initiative“ 1919), kehrte sich um in Stalins „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.

Die Bruchstelle ist dort, wo Bindung und Freiwilligkeit auseinanderfallen. Es geht um Bindung in Freiheit.

Das bedeutet, dass Menschen, die begriffen haben, dass sie als Monaden immer ohnmächtig sind und die sich deshalb für ein gemeinsames Ziel organisatorisch binden wollen, zueinander Verhältnisse und ein Verhalten absoluter Offenheit und Durchsichtigkeit bewusst und freiwillig herstellen müssen – Transparenz.

Freiwillige transparente Bindung zwischen Kampfgefährten ist die erste und wie ich meine einzige kommunistische Qualität, die in unserer kapitalistischen Gesellschaft praktisch möglich ist. Nicht nur möglich, sondern zur Systemüberwindung auch absolut unverzichtbar.

Obwohl es bescheidene bürgerliche Ansätze für mehr Transparenz gibt („Transparency International“, „abgeordnetenwatch“ – RHOs, die nicht ignoriert werden sollten), scheint den Radikalen, die das kapitalistische System wirklich überwinden wollen, die Tragweite des Problems unklar zu sein.

Dazu ein kleiner Denkanstoß: Machen wir uns klar, in welchem Grade wir Systemfeinde den herrschenden und ausbeutenden Mächten gegenüber durchsichtig sind! Denken wir an die kontinuierlich zu leistenden Meldungen und Erklärungen aller Art, an die schier unendliche Masse der Überwachungsdaten, unfreiwillig und freiwillig geliefert, bis hin zu intimen Informationen unseres Genoms, die am Ende noch der Kellner fordert.

Das sind die sichtbaren Zipfel der geheimen Welt unserer totalen Entmächtigung. Diese Dimensionen müssen wir begreifen, wenn wir uns dem offensiv entgegenstellen wollen. Es ist absurd, dass als naive Hanseln zu tun, die nach Monaten feststellen, dass A sich aus der „Kasse des Vertrauens“ bedient hat und B seinen Tee mit den Kumpels von den Geheimdiensten trinkt. Aber selbst wenn es nicht um solche Tiefschläge geht, es sollte doch interessieren, welcher der neuen Führer Vermögens- und Einkommensmillionär ist.

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