Freiheit und Organisation – Kindheit und frühe Jugend/JP und FDJ

Bald nach meiner Christenlehre-Erfahrung (Siehe: „Freiheit und Organisation“) wurde in der Schule für die „Jungen Pioniere“ geworben. Das war wohl in der vierten Klasse. Es würde interessante Pioniernachmittage geben, Ferienspiele, vielleicht sogar Ferienlager.
Mutter zögerte ihre Zustimmung zu geben aber nachdem fast alle Schulkameraden bei den Pionieren waren (und meine sechs Jahre ältere Schwester begeisterte FDJ-lerin) durfte ich auch.

Meine Mitgliedschaft bei den „JP“ und später auch in der FDJ bis etwa zum 15. Lebensjahr (also bis Ende 1955) nehme ich als konfliktarm wahr. In der Erinnerung scheint es mir, dass diese Organisationen zwar einen gewissen Orientierungs- und Handlungsrahmen vorgaben, dass dieser aber recht weit und wenig verbindlich war. Mit einigen Organisationsgepflogenheiten kam ich zwar in Berührung und erwarb entsprechende Kompetenzen. Doch grundsätzlich durchlief ich einen Entwicklungsprozess, von dem ich den Eindruck habe, dass ich ihn ziemlich selbständig gestalten konnte, indem ich mich nach eigener Lust und Laune mit Angeboten und Ereignissen auseinandersetzte.

Vereinfacht gesagt: Ich erlebte persönliche Freiheit, was erstaunen mag, geht es doch um die (stalinistischen) Jahre 1950 bis 1955. Die für mich entscheidende und vordergründige Rolle spielten in dieser Zeit nicht Organisationen sondern persönliche Erlebnisse und Begegnungen. Diese seien aufgelistet:

1949 – eine mehrwöchige Ferienreise mit Vater und Mutter durch Westdeutschland. (Dieses Erlebnis führte mit dazu, dass ich in allen folgenden Jahrzehnten immer eine Vorstellung von einem „ganzen Deutschland“ behielt.)
Seit 1949 – die immer wieder spürbare (nie ganz klar artikulierte) Abneigung meines Vaters gegen den Einfluss, den alte Nazis in Westdeutschland behielten.
Seit 1949 – ich bin ein Bücherwurm. Bald habe ich die gesamte Kinderabteilung der Stadtbibliothek Stadtilm ausgelesen.
Seit etwa 1949/1950 – das Wissen darüber, dass mein Onkel Arthur (eigentlich war es mein Großonkel, der Onkel meines Vaters) Häftling im KZ Buchenwald gewesen war. Mir wurde schon damals manches Konkrete bekannt, was in mir (auch kindlich-wilde) antifaschistische Phantasien beflügelte.
Seit etwa 1950 – die Aufgeschlossenheit von Vater und Mutter für sowjetische Literatur. Gorki, aber auch: „Es blinkt ein einsam Segel“ von Katajew und „Die Uhr“.
Ab 1951 – Beeinflussung durch aber auch viel Reibung mit der „großen Schwester“, der „150%igen“ FDJlerin (Leserin der „Jungen Welt“ – Berichte von der Friedensfahrt!)
Seit etwa 1952 – der (eher linke) Sozialdemokratismus meines Vaters, der ihn NIE darauf verzichten ließ, auch Westsender zu verfolgen (was ich konsequent nachmachte).
Ebenfalls seit 1952 – die „Karriere“ unseres Vaters, dem in Rostock die Leitung einer Reihe bedeutender Bauvorhaben übertragen wurde.
Ab 1952 – die Begegnung unserer Familie mit Peter E. (einschließlich meiner kindlichen literarischen Versuche, die seine Gnade fanden).
1. 7. 1953 – der Tod unserer Mutter mit 46 Jahren. Verzweiflung leben lernen.
Seit 1953 – zunehmendes Interesse für Musik, Theater, Bildende Kunst, Literatur (Klavierspiel Grieg, Schubert „Winterreise“, Mussorgski, Naumburger Meister, Villon)
1954 – erste Zigarette, erste Liebesleiden
1955 – meine mehrwöchige Ferienreise mit dem Fahrrad nach Thüringen und zu den Verwandten nach Coburg, schöne Erlebnisse, doch auch kritischer Blick.
Ab 1955 – sich Behaupten und Bestätigen in und mittels der „HSG Wissenschaft“, Sektion Judo.

Und eine Nachbemerkung:
Als ich mir die ersten Gedanken machte über meine Reihe „Freiheit und Organisation“, setzte meine Erinnerung eigentlich erst 1958 an. Was davor war, erschien mir als weißer Fleck. Der primäre Impuls für diese Reihe ist es wohl, das Spannungsverhältnis beider Seiten – persönliche Freiheit und gesellschaftliche Organisationsformen – auszuloten.
Der nächste Schritt war, zu begreifen, dass es auch vor 1958 Organisationen für mich gab. Und wahrscheinlich ist es sogar falsch, sie nur als eine Art „Leerform“, einen „leeren Rahmen“ zu betrachten. Zumindest waren da Autoritäten vorgegeben und Hierarchien vorhanden. Es gab wohl auch damals bereits Wechselwirkungen des äußerlich Vorgegebenen mit dem kleinen dazugekommenen „Ich“. Vielleicht erscheinen sie nur aus der langen, einebnenden Perspektive als weniger gewichtig.

Wie dem auch sei:
Bestimmt war es eine Zeit, in der sich die eine Seite – das Ich, dass Subjekt (der individuelle Träger der Freiheit?) – recht schnell in einem rel. geschützten Raum entwickelte, um erst nach dem Erreichen einer bestimmten Entwicklungsstufe, der (vorgegebenen) Organisation selbständig aktiv gegenüberzutreten.

Mehr „Freiheit und Organisation“.

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