Erzählungen zum Kriegsende 1945 in Oranienburg
von
Mathilda Seithe
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Teil 4 – So lernt man sich kennen
Bisher erschienen: Kapitel 1 bis 20
21. Der Russenhasser
„Hei, was soll das denn? Ihr kennt die doch gar nicht. Was soll das mit den Rosen? Die verfickten Russen haben das nicht verdient!“, sprach sie plötzlich jemand von hinten an.
Sie sahen sich um. Außer ihnen und diesem merkwürdigen schwarz gekleideten jungen Mann war niemand mehr auf dem Gelände.
Allen fiel vor Schreck nichts ein. Nur Manuela sagte in scharfen Ton: „Hören Sie auf, hier herumzupöbeln. Sie wissen vermutlich überhaupt nicht, was damals los war.“
Der Mann blinzelte. „Wieso, wieso los war? Die Russen kamen und haben unsere Frauen vergewaltigt. Und haben Leute erschossen, die hochangesehen waren und dran glauben mussten, nur weil den Russen ihre Nasen nicht passten.“
„Ihr Wissen scheint mir ziemlich zusammengereimt. Sie sollten sich vielleicht lieber erst mal schlaumachen, wie es damals war.“
„Scheiße, was soll das. Damals war Hitler dran und die Rechten und das war gut so. Bis eure Russen kamen und alles kaputt gemacht haben. Als würde ihnen Deutschland gehören. Aber Deutschland gehört nur uns, verdammt noch mal!“
„Lassen Sie uns in Ruhe!“, fand jetzt Beate ihre Stimme wieder.
„Warum denn? Ich kann genauso gut hier sein wie Sie oder wie die verlogenen Arschlöcher vorhin.“
Manuela zückte ihr Handy.
„Wenn Sie jetzt nicht hier verschwinden und uns in Ruhe lassen, rufe ich die Polizei an. Es wird nicht lange dauern. Sie waren ja eben noch hier!“
Er ging tatsächlich. Er sah sich noch ein paarmal um, um irgendwelche Parolen in ihre Richtung zu werfen, dann war er um die nächste Ecke verschwunden.
„Dass die Nazis hier herum laufen, habe ich mir ja fast schon gedacht“, meinte Beate nach den ersten Schrecksekunden, „aber dass sie die Frechheit haben hier, an diesem Ort, ihren Russenhass vor anderen Leuten auszubreiten, hätte ich nicht erwartet.“
„Gut, dass der wieder abgehauen ist“, seufzte jetzt Karola.
„Gut, dass du so super auf ihn eingeredet hast, Manuela!. Ich weiß nicht, ob wir anderen es geschafft hätten, ihn loszuwerden.“
Die vier Frauen sahen sich erleichtert an.
„Wisst ihr was?“, meldete sich da Angelina, „Ihr kommt jetzt erst mal mit zu uns. Wir setzen uns in unserer Pizzeria noch ein bisschen zusammen. Wir kennen uns bisher ja kaum. Aber ich glaube, wir haben so ziemlich die gleichen Anliegen, oder?“
Es waren nur ein paar Schritte.
22. Epilog
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