Demo für die Freiheit am 1.8.2020 in Berlin. Bericht eines Freidenkers:

Hallo,

hier kurzer Augenzeugenbericht für die gestrige Querdenken-Großdemonstration in Berlin. Habe allerdings die Versammlung kurz nach 19 Uhr verlassen (wollte noch nach Hause und war erschöpft). Was danach kam, muß ich auch aus den Medien entnehmen. Am besten scheint im Moment http://blauerbote.com zu sein. Das sind zuverlässige Informationen. RT deutsch scheint im Strandbad gewesen zu sein. Aber Rußland will die Leute ja auch impfen …

-nach Autobahnstau und S-Bahn-Odyssee endlich 12.15 an S Friedrichstraße an (Gestellung war 10.30 Unter den Linden): Draußen wälzt sich eine riesige Demonstration die Friedrichstraße entlang: mit Regenbogen-PACE-Fahnen, auch ein paar Dt.-Fahnen und -Farben u. a., sehr bunt und laut. Sind das unsere Leute? (vgl. Atlantifa-Gegendemonstrationsaufruf von vor wenigen Tagen) Ja!!!

-Ich stehe an Friedrichstraße und schaue, ob ich Bekannte sehe. Stehe zufällig hinter Fernsehleuten (ohne Nasen). Bodo Schiffmann kommt an! Spricht die Fernsehleute an und gibt ein kurzes Interview. Bekommt Applaus und Dankesrufe von den Umstehenden.

-Gegendemonstranten: Insgesamt vielleicht 100. Kaum Faschisten, eher verirrte Seelen. Polizei hat keine Arbeit. (Den einzigen „schwarzen Block“ gibt die Polizei ab.) An mehreren Stellen stehen einzelne bis höchstens mal wenige Dutzend Rufer. Mehrfach Plakat „Rassismus ist keine Alternative“ („Wozu?“, möchte man fragen, aber vor allem: Was hat das mit unserer Demonstration zu tun?) Ein paar Frauen: „Omas gegen rechts“?! Einmal ein paar Leute auf der anderen Straßenseite und ohne Polizeischutz mit Israelfahne und „Gegen jeden Antisemitismus“. Wir im Vorbeigehen oft: „Nazis raus!“ Ansonsten auch: „Leute laßt das Gaffen sein … “

– Einer steht allein in einer Nebenstraße und hält sich seine Pappe vor die Brust: „(irgendwas) ihr Trottel“. Ich denke: Immerhin ist er so mutig und stellt sich hier hin. Ich denke auch: Offensichtlich WUßTE er, daß wir keine Faschisten sind, sonst hätte er sich das nicht getraut! – Polizeiaufgebot an der Strecke scheint sehr gering zu sein. Offsichtlich weiß die Polizei, daß wir friedlich sind. – Sehr viele schöne Eindrücke (leider viel zu wenig fotografiert): einer mit einer roten Nase (das richtige Symbol!), Leute mit Al-Folie-umwickelten Hüten, „Ansteckend ist nur mein Lachen“, Trommler, verschiedene Kostüme (z. B. Batman, Spiderman), viele Tafeln usw. Eine dunkelhäutige Frau mit ebensolchem Mann und kleinem Kind und der großen Tafel vor dem Bauch: „Black lives matter? Corona-Hysterie = Hunger-Pandemie in Afrika“.

– Leute von überall her (an Kleidung oder Tafeln erkennbar): viele „Querdenken xxx“ (nicht nur Stuttgart), auch andere Organisationen und Gruppen. – Eine Fernsehgruppe (tw. mit Nasen; nicht gesehen, von welcher Einheit) interviewt jemanden im Zug. Wir im Vorbeigehen laut: „Lügenpresse, Lügenpresse!“. „Die haben keinen leichten Stand“, sagt einer belustigt. – Zwischendurch Mitteilung eines Organisators: Zug ist 5 km lang

– Ich laufe von fast dem Ende des Zuges bis fast zur Spitze. Schnelles Laufen erforderlich, brauche auch fast den gesamten Weg. Vorn ein Lkw mit Lautsprechern, Anfeuerungsrufe. Immer Sprechchöre: „Frieden – Freiheit, Freiheit – Frieden“. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut! Der Stuttgarter Hauptorganisator sagt, sie hätten mit ganz wenigen Leuten angefangen, nun so viele. Auch von ganz vorn Durchsagen der Polizei, daß Nasenpflicht und Abstandsgebot gelte. – Ich (weit vorn), etwa 14.45 auf „Straße des 17. 6.“ zwischen Bühne und Siegessäule an. (Die meisten Demonstranten bleiben zwischen Bühne und Brandenburger Tor. Werden von der Bühne oft aufgefordert, durchzutreten auf die Siegessäulenseite. – Kundgebung offiziell etwa 15.27 eröffnet. Es seien 1,3 Millionen! (Das wären immerhin mehr als 1,5% der BRD-Bevölkerung.) Überschwengliche Bekundungen von der Bühne. Es können aber nur wenige der angekündigten Reden gehalten werden. Schade, wäre interessant geworden. Michael Ballweg, der Gründer von Querdenken 711 spricht. Es spricht auch Thorsten Schulte: Hält Buch von Vernon Walters (US-Botschafter in BRD 1989) hoch: Der schrieb schon Monate vor dem Herbst 1989, daß die dt. Einheit in Kürze bevorstehe. Erste Montagsdemonstration 1989 in Leipzig zeitgleich mit …(?) (also definitiv eine Geheimdienstsache).

– Um 15.55 wird uns mitgeteilt: Spiegel habe schon um 12.15 gemeldet, daß die Kundgebung von der Polizei aufgelöst worden sei, Focus um 14.… Die Polizei erklärt die Kundgebung um 16.52 für beendet. Vorher mehrfach Durchsagen von der Polizei (über die Veranstaltungslautsprecher), wo sie das ankündigen. Grund: Nasengebot werde mißachtet, und Versammlungsleiter habe keine Möglichkeit, das durchzusetzen. Veranstalter lassen vorher immer wieder die Auflagen verlesen (um ihrer Verpflichtung nachzukommen): Nasenpflicht! – Viele sind mit Bussen angereist. Chef vom Busunternehmen spricht und dankt für die Unterstützung. Busse fahren 22.00 Uhr, daran ändere sich auch nichts. Zeit nutzen, Berlin sei immer eine Reise wert.

– Hubschrauber kreist die ganze Zeit und stört mit seinem Lärm. Aber trotzdem alles zu verstehen.

– An der Bühne wird offenbar intensiv verhandelt. Veranstalter haben drei Rechtsanwälte dabei und verweisen auf die Verhältnismäßigkeit. Außerdem werden die Polizisten angesprochen: Sie seien auch Familienväter und -mütter, seien auch betroffen. Sie werden zu Befehlsverweigerung aufgerufen. Den Rednern merkt man den Streß an.

– Hier und auch vorher im Demonstrationszug immer wieder Dank an die Polizei mit Applaus. – Die Demonstranten werden noch aufgerufen, dazubleiben, sich hinzusetzen und sich ggf. wegtragen zu lassen. Bzw. sich in den angrenzenden Tiergarten zu bewegen. Das sei kein Versammlungsort mehr, da komme die Polizei nicht hin. Es sei ja nicht nötig, daß alle die Leute auf der Bühne sähen. – Polizei sagt mehrmals (mind. dreimal) durch, daß die Versammlung 16.52 beendet worden sei und die Versammlungsteilnehmer daher verpflichtet seien, den Versammlungsort zu verlassen. Dann: Man solle in Richtung Zehlendorf abgehen. – Einzelne Polizeigruppen (Züge oder so) gehen irgendwann geschlossen Richtung Bühne. Demonstranten rufen ihnen zu: „Ihr habt doch auch Familien!“.

– Ein Polizist sagt (gehört, als sie vorbeigehen): „Wir machen es wie in Leipzig, gehen auf die Bühne … “ – Warten. Es passiert wenig. Kaum einer geht. Ich nehme mir vor, 18.00 Uhr zu gehen (wegen Erschöpfung durch das viele Stehen und, weil ich ja noch nach Hause will). Kurz vor 18.00 Uhr fängt die Polizei langsam an, die Leute mit Ansprachen in meiner Umgebung zu vertreiben. Alles bleibt friedlich. Mich spricht einer 17.59 an. Ich gehe bis zum nächten Durchgang, dann in den Tiergarten ab und auf dem parallelen Weg zurück in Richtung Bühne. Viele sind auch da. – Auch hier geschieht eigentlich nichts. Es wird gesungen, getrommelt, einer ruft mit Lautsprecher zum Durchhalten auf („Wir haben das gemeinsam begonnen, jetzt bringen wir das auch gemeinsam zu Ende!“).

– Nach und nach verlassen Leute den Versammlungsort in Richtung Stadt. Große Menschenmenge verbleibt. Polizei ist friedlich. – Im Tiergarten immer wieder Radfahrer, auch Passanten mit Nasen! Bei 28°C im Schatten!

– Meine Deutung: Polizei im Zwiespalt zwischen Vorgaben von oben und eigenem Gewissen. (Demonstranten absolut friedlich freundlich. Verhältnismäßigkeit. Sicher viel Sympathie mit Demonstranten bzw. deren Anliegen.) Lösung: Offizielle Auflösung, aber dann mit sehr wenig Aktion auf Zeit spielen.

– Bunte, freundliche, friedliche Demonstration! So viele so sympathische Leute habe ich noch nie erlebt. Überall angeregte Gespräche und Diskussionen. Wenn die eine Republik gründen würden, würde ich sofort dahin übersiedeln.

– Falls das alles oder auch nur zum erheblichen Teil Faschisten gewesen sein sollten, möchte ich auch einer sein und meine restlichen Tage nur noch mit Faschisten verbringen. Fazit: Großartige Sache! Großartige Leistung der Organisatoren. Wer nicht da war, hat was verpaßt. Bin auf die Auswertung durch die Medien gespannt. Freidenkergenossen habe ich leider nicht gefunden. Ist aber auch nicht so leicht bei über einer Million …

Grüße von Wolfram Fischer

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Eine Antwort zu Demo für die Freiheit am 1.8.2020 in Berlin. Bericht eines Freidenkers:

  1. fidelpoludo schreibt:

    Danke für die Bekanntmachung mit diesem lebendigen Bericht. Wenn auch nur aus weiter Ferne und durch weitere Berichte und Bilder informiert, möchte ich mich Wolfram Fischers Schlußworten anschließen:

    Bunte, freundliche, friedliche Demonstration! So viele so sympathische Leute habe ich noch nie erlebt. Überall angeregte Gespräche und Diskussionen. Wenn die eine Republik gründen würden, würde ich sofort dahin übersiedeln.
    Falls das alles oder auch nur zum erheblichen Teil Faschisten gewesen sein sollten, möchte ich auch einer sein und meine restlichen Tage nur noch mit Faschisten verbringen. Fazit: Großartige Sache! Großartige Leistung der Organisatoren.

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