Unter Dampf!

Gespräch in der Sauna

– warum das Aufstehen so schwer fällt und das Aufwecken erst recht

Ich sitze in der Sauna und denke: endlich mal ein ganzer Tag, an dem ich nicht an Aufstehen denken und über Aufstehen nachdenken muss.

Bis zum Mittagessen klappt das. Gegen Nachmittag gehe ich in die Dampfsauna. Niemand ist drin. Ich liebe die Dampfsauna, freue mich, dass ich allein bin. So kann ich mich am besten entspannen.

Die Tür geht auf, herein kommen zwei Frauen im mittleren Alter, eine dunkelblond, die andere braunhaarig. Sie setzen sich vergnügt rechts in die Ecken, wo man per Knopfdruck noch zusätzlich einen heißen Dampfstrahl von oben auf den nackten, vom Dampf schon angeheizten Körper schicken kann. Beide drücken gleichzeitig auf ihre Knöpfe und hüllen sich für Sekunden in undurchsichtigen Wasserdampf. Sie seufzen voller Genuss. Dann höre ich die Dunkelblonde zu ihrer Freundin sagen:

„Mensch doch,ich wünsche mir ein Haus mit so ner Dampfsauna“.

Die andere lacht. Es kling ein wenig böse: „Ich wünsch mir erst mal eine Wohnung ohne Dampf, ich meine, wo es nicht feucht ist. Der Vermieter hat auf unsere Mahnung hin wieder nichts getan!“

Die erste: „Oh, je, du Ärmste! Aber ich muss ja auch raus aus unserer Wohnung. Aber wir finden nichts. Die guten Wohnung sind viel zu teuer, da kommt man ja nicht ran.“

„Stimmt, in der Innenstadt? Sowas kannste heute nicht mehr bezahlen!“

„Ich möchte nur einen kleinen Balkon dabei, mit ein paar Kräutern. Ich würde auch in ein Gartenhaus ziehen. Das wäre mir dann auch egal. Ein Häuschen mit 60 Quadratmetern und einem winzigen Garten! Dann wär ich schon glücklich. Da könnte ich meine Bücher hinstellen. Jetzt sind alle in Kisten. Aber ne schöne kleine Wohnung da draußen außerhalb der Stadt, die kriegt man ja auch nicht. Die sind viel zu teuer“

Die Braune nickt und drückt, vielleicht zur Verdeutlichung ihrer Zustimmung wieder auf die Dampf-Taste.

Ich höre den beiden interessiert zu.

„Störte es Sie, wenn wir uns unterhalten?“. fragt die Dunkelblonde.

„Nein, im Gegenteil: Ich find‘ das sehr interessant“, sage ich.
Sie reden weiter.

„Überhaupt diese Reichen! Die haben so viel Geld, die können sich jede Wohnung in Berlin leisten. Und ihre Kinder kriegen 5000 € Taschengeld und müssen nicht arbeiten. Aber unser einer arbeitet sich kaputt. Und wenn man krank wird, dann ist man draußen Dann ist es aus. Hartz IV und schlimmer.

Die Dunkelhaarige: „Ach, lass denen das doch. Die haben das eben, das Geld.“

„Ich will auch nicht ganz so viel wie die, nun ein bisschen mehr, nur einfach so viel, dass ich wirklich leben kann – und ne vernünftige Wohnung, eine kleine schöne Wohnung!“

Ich sage: „Das ist ja eigentlich überhaupt nicht unverschämt, was sie wollen. Das ist doch was ganz Normales, finden Sie nicht?“

Die Dunkelblonde sieht mich zum ersten Mal an.

„Ja, richtig. Das ist eigentlich gar nichts Besonderes. Aber es steht uns scheinbar nicht mehr zu. Irgendwas ist da nicht mehr in Ordnung heutzutage. Irgendwas stimmt bei uns nicht mehr.“

Ich sage: „Das Schlimme ist ja auch nicht nur, dass die sich alles kaufen können und im Geld schwimmen und so viele in dieser Gesellschaft müssen herumknapsen. Die Reichen und Superreichen, die haben doch auch unheimliche Macht.“

„Ja, die machen einfach was sie wollen. Und wenn sie hier Probleme kriegen, dann gehen sie einfach ins Ausland mit ihrem Vermögen oder mit ihrer Firma.“

Ich nicke und staune. So viel Bewusstsein und Ahnung hätte ich gar nicht von ihr erwartet. Die Braune dagegen sieht ihre Freundin mit gerunzelter Stirn an.

Die Dunkelblonde scheint das nicht zu irritieren.

„Jetzt steht auf dem Fleisch so n Zeichen: rot, gelb oder grün. Na schön. Aber was habe ich davon? Ich kriege doch nur Gelb im Discounter. Was anderes gibts doch da gar nicht. Diese Ampelfarben auf dem Fleisch, das ist doch nur dazu da, damit die Reichen sich das Beste holen können.“

„Ich finde das ist nicht in Ordnung“, sage ich. „Ich finde es ungerecht. So stelle ich mir eigentlich keine gute Gesellschaft vor.“

„Na ja, früher kriegteste eine Wohnung zugeteilt, da war das ganz anders. Jetzt muss man selber losziehen und um ne vernünftige Wohnung betteln. Heute hat man aber überhaupt keine Chance.“

Jetzt sagt die Dunkle wieder etwas: „Da musst du eben über Beziehung was machen.“

„Aber das gibt’s doch gar nicht mehr, das war doch früher. Heute werden wir einfach in die Ecke gestellt, es interessiert sich keiner für uns.“

Ich erzähle von der Hühnerfarm die in der Nähe unseres Dorfes gebaut werden soll: „42 000 Legehennen und ein kleiner Innenhof zum Auslaufen: Bioeier für Berlin sollen das dann sein.“

Die Blonde sagt: „Wenn da Bio draufsteht, das heißt noch lange nicht, dass es auch Bio ist. Die schreiben es einfach drauf, aber in Wirklichkeit ist es ganz anders.“

„Ja“, stimme ich zu. „Die EU-Vorschriften für Bio sind so schwach, da kann man von Bio gar nicht mehr reden.“

„Warum macht denn die Regierung nichts dagegen?“ sagt die Blonde. Die Dunkle zuckt mit den Achseln.

Ich sage nichts, warte.

„Ich glaube, wenn so eine Fabrik droht ins Ausland zu gehen, dann macht doch die Regierung alles, um sie hier zu halten. Die haben die Regierung doch völlig in der Hand“

„Stimmt.“

„Es ist wirklich nicht leicht das Leben heute, ich weiß nicht, wo das endet.“

Sie seufzen beide, auch die Dunkelhaarige.

Dann sagt die Blonde: „Aber es wird schon gut gehen, ich bin da einfach mal optimistisch.“

Ich sage, „Na, da bin ich nicht so sicher, da muss schon was passieren, damit das nicht so weiter geht.“

Sie lacht: „Ach, ich will mich nicht beklagen. Irgendwie geht es ja. Es wird schon werden.“

Die Dunkle steht auf und wendet sich der Tür zu. Sie sieht mich nicht an. Aber in ihren Augen sehe ich, dass sie mich verdächtigt, in der AfD zu sein oder noch Schlimmeres. Sicher bestätigt sie gerade innerlich ihren Beschluss, sich nie laut vor Fremden über solche Sachen zu beschweren, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, rechts zu sein.

Die Dunkelblonde steht jetzt auch auf, um ihrer Freundin zu folgen. Eigentlich wollte sie noch gar nicht gehen. Sie zögert.

Ich sage noch: „Das ist wirklich alles ziemlich mies. Man müsste was dagegen tun.“

„Ach das kann man doch nicht, das bringt doch nichts. Wir sind doch die Schwachen. Auf uns hört doch keiner.“ Sie steht schon an der Tür.

„Wenn sich viele zusammen täten, dann wäre das vielleicht anders. Wenn sich alle zu Wort melden, dann können die uns nicht überhören“, sage ich noch.

„Ach, wie soll das denn gehen? Das geht doch nicht. Und das bringt doch nichts.“ Sie zuckt mit den Achseln.

Sie hat die Tür schon geöffnet. Ich möchte noch mehr sagen, möchte sagen: man müsste halt aufstehen, sich das nicht mehr gefallen lassen… Aber sie geht.

„Tschüss“, rufe ich ihr hinterher. Wenigstens grüßte sie mich noch. Die Tür fällt zu. Vielleicht bleibt ihr unser Gespräch im Kopf, denke ich. Vielleicht denkt sie doch noch mal darüber nach. Vielleicht.

Ich bleibe noch ein wenig sitzen in der feuchten, von Tropfen getrübten Dampfkammer und lausche innerlich dem Gespräch nach. Ich frage mich, wie soll ich solche Leute fürs Aufstehen animieren, sie vielleicht sogar für Aufstehen interessieren? Gelungen ist es mir doch höchstens, ihren Zorn zu unterstützen. Aber mehr ging nicht. Auch sie war zu sehr davon überzeugt, dass man eh nichts machen kann. Und die meisten Menschen misstrauen jedem, der sagt, man müsse sich wehren. Soetwas scheint ihnen höchst verdächtig.

Diese Frau bei Aufstehen, das wäre absolut die Richtige. Aber wie bringt man ihr das bei?

Mrs. Tapir, die ihr Erlebnis aufgeschrieben hat, hat auch noch ein paar

Gedanken danach:

Das hat der Neoliberalismus geschafft wie vor ihm keine andere Ideologie im Kapitalismus: Die Leute sehen zwar, dass was falsch läuft, aber gegen Menschen, die das deutlich aussprechen verteidigen sie das System als sei es ihres.

In alten Zeiten war für viele Proleten und auch Intellektuelle die Perspektive auf einen gemeinsamen, solidarischen Kampf gegen die kapitalistischen Lebensbedingungen und das politische System eine ersehnte Chance. Nur die Gewinner im System glaubten damals daran, dass der Kapitalismus ihnen ihr Glück bringen könnte.

Sie hatten noch Ketten zu verlieren.

Heute scheint es so, dass die wenigsten Menschen meinen, sie hätten Ketten zu verlieren. Offenbar sehen sie ihre Ketten nicht oder halten sie für schicke Fuß- und Armbänder.

Was aber befürchten sie? Was glauben sie zu verlieren, wenn sie „aufstehen“ würden? Viele haben Angst um ihren Arbeitsplatz und oder um den Verlust von Vorteilen. Viele befürchten wohl auch, raus zu fallen aus der Gemeinschaft der trotz allem Zufriedenen. Aber ich denke, sie haben auch Angst um ihre Ruhe, ihren kleinen Wohlstand (und sei er noch so winzig), um den Verlust ihres entlastenden Glaubens daran, dass es schon gut gehen wird, und vor Kritik an ihrer angenehmen Verantwortungslosigkeit der Gesellschaft und den anderen Menschen gegenüber. Ihre Ketten dagegen erkennen sie nicht. Sie haben doch die Freiheit, sich zu kaufen, was sie mögen – wenn das Geld reicht. Sie können zwischen mindestens 25 verschiedenen Herstellern von Cremes und Bodylotion wählen und im Fernseher zappen, bis sie eingeschlafen sind. Sie können reisen, wohin sie wollen. Wenn das Geld reicht. Aber Fliegen ist ja so billig. (Auch Leute mit wenig Geld können sich das leisten. Wenn das nicht ein Beweis dafür ist, dass in unserer Gesellschaft auch an die Armen gedacht wird?)

Sie können sich ihren Beruf frei wählen, falls sie dort eine annehmbare Stelle finden. Sie dürfen sogar kritisch sein, wenn sie es nicht zu weit treiben. 

Sie können alle vier Jahre eine Partei wählen, von deren wirklichen Absichten sie nichts wissen, deren frühere politische Aktionen ihnen nicht so genau bekannt sind. Sie wählen die, deren Werbesprüche für sie am flottesten waren. So wie sie sich für die eine oder andere Kosmetikfirma entscheiden. 

„Mein Michel, was willst du noch mehr?“, sangen schon vor Jahrzehnten die Zupfgeigenhansel.

Das Schlimme für uns ist dabei:

Es nutzt nichts, uns über dieses verkümmerte Bewusstsein der Menschen zu ärgern oder gar zu erheben. Es bringt aber leider auch nichts, uns gegenseitig und denen, die ohnehin schon so denken, zu versichern, dass wir uns wehren möchten.

Meine Dunkelblonde aus der Sauna, die würden wir in Aufstehen brauchen. Solche Leute sind die, deren Bereitschaft, sich zu wehren, wir wecken müssten.

Aber wie bitte geht das?

Der vorstehende Text ist unter dem Titel „Michel, was willst Du noch mehr?“erstmals hier erschienen, auf einer Webseite, die dann mehr Zukunft hat, wenn sich mehr Leute engagieren.

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Eine Antwort zu Unter Dampf!

  1. fidelpoludo schreibt:

    Warum noch keine Kommentare?
    Wohl weil viele solche Erfahrungen bestätigen können. Und ihnen auch keine bessere Antwort zum Problem einfällt als die im Text schon angedachten. Ich strotze vor solchen Erfahrungen und weiß auch keine bessere Antwort oder gar eine Lösung. Immerwieder treffe auch ich auf ein Problembewußtsein, das ich vorher nicht vermutet hätte, um dann feststellen zu müssen, dass keine Perspektive in Betracht kommt, die angegangen werden könnte. Jede praktisch-politische Perspektive scheint in den Verdacht zu geraten, ihr eigenes Süppchen kochen und das hinter gut klingenden Versprechen verbergen zu wollen. Der Topf brodelt vor sich hin, aber er läuft nicht über.

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