In Erwägung, dass der Fragesteller sich dem 80. Lebensjahr nähert, scheint die Frage überfällig zu sein. Allerdings frage ich nicht zum ersten Mal.
In jüngerer Zeit ist mir die Frage „Wie wollen wir leben?“ mehrfach begegnet. Die deutschen Freidenker haben sie auf ihrem Verbandstag im Juni 2016 demonstrativ gestellt, und auch in Diskussionen der Alternativmedien (umtriebig Willi Übelherr) taucht sie immer wieder einmal auf.
Mir war diese Fragestellung sympathisch, und der (nicht nur) Küchenphilosoph in mir wollte sich darauf einlassen. Doch ich spürte bald, dass die Beschäftigung mit diesem „Angebot“ eigentümlich rhetorisch und blutleer bleibt. Mein Verdacht: Eigentlich wollen Diejenigen, die so fragen, vor allem ihre Gewissheiten verkünden wie die Anderen leben sollen, damit endlich die gesellschaftliche Harmonie ausbricht.
Die Freidenker förderten mit ihrer Konferenz zur Oktoberrevolution im September 2017 (unter lebhaften Beteuerungen ihrer Diskussionskultur) den strikt verschämten Stalinisierungskurs, wie er derzeit en vogue ist, und Willi Übelherr verwendet die eigentlich erfreulich offene Fragestellung gern, um seine (nichtstalinistischen) Stahlbeton-Dogmatismen felsenfesten Überzeugungen in Stellung zu bringen.
„Nee“, stellte ich ärgerlich fest: „Es ist die ganz alte (und so gut wie unüberwindliche) Masche der Linken „der proletarischen Bewegung die Prinzipien zu verkünden, nach denen sie sich modeln möge“. (Sogar das kleine neue Portal „Rubikon“ macht es nicht unter der Behauptung „Rubikon — Magazin für die kritische Masse“.) Nicht mit mir. Und wenn ich mich schon auf die beiden Alten beziehe, dann bitte auf ihren Grundsatz, das die Theorie „ad hominem“ demonstrieren möge.
Wenn ich Opablogger „ad hominem“ schreibe, dann meine ich zuerst und primär, MICH, das Individuum Opablogger, im bürgerlichen Leben „KPK“, wie aus dem Impressum zu entnehmen ist. Ich weiss, so anzufangen ist für viele, die sich Marxisten nennen, ein Sakrileg. Ich tue es im vollen Bewusstsein einiger meinungsstreiterfüllter Jahrzehnte und ohne die Feuerbachthesen zu vergessen.
Für’s erste möchte ich eine Antwort von provozierender Einseitigkeit geben:
Ich möchte genauso leben, wie ich lebe.
Wie also?
- Ich möchte monatlich 1000 € auf mein Konto. Kriege ich.
- Wenn ich Hunger/Durst habe, nehme ich, was mir gefällt und esse/trinke.
- Desgleichen, wenn ich nur Appetit oder Lust auf xyz habe.
- Wenn ich friere, ziehe ich mich wärmer an oder heize meinen Ofen (bekanntlich mein Stolz = „Selbstverwirklichung“) oder gehe in die Sauna. (Heute gehe ich in die Sonne oder, wenn sie fehlt, werkel ich im Garten.)
- Wenn ich müde bin, lege ich mich auf mein wunderbares Bett zum Ausruhen oder Schlafen.
- Wenn ich nicht schlafen kann, lese ich ein wenig oder denke ein wenig; lass es einfach gehen.
- Wenn ich einen Tagesruhepunkt suche, nehme ich wahr (nicht immer), dass Mrs. Tapir einen Tagesruhepunkt sucht, und so treffen wir uns. (Desgleichen wenn wir einen Tagesstreitpunkt suchen.)
- Wenn ich krank bin, schone ich mich, gehe zum Arzt oder ins Krankenhaus usw. und werde wieder gesund.
- Wenn mir langweilig ist, spaziere ich im Internet oder mache mir im Garten zu schaffen oder übe neuerdings Akkordeon.
- Wenn ich reisen will, schaue ich auf meinen Kontostand und reise oder lass‘ es bleiben.
- Wenn ich ein kleines mildes Vergnügen haben will, fasse ich Inca oder Blaubär ins Fell.
- wenn ich Lust auf ein Presse-Gesamtkunstwerk habe (ein- bis zweimal im Jahr), kaufe ich mir „Bild“.
- Wenn ich Freude haben will, singe ich mit der Shantycrew.
- Wehe das bezweifelt jemand!
- Wenn ich glauben will, glaube ich. Aber nie an einen Gott.
- Wenn ich traurig sein will, denke ich an manche meiner Dummheiten, an Unwiderbringlichkeiten.
- Wenn ich Überdruss verspüre, suche ich nach einem Helferlein. Oft ist es ein Buch, ein Stück Musik, eine Kabarettszene, ein Kognac, Rum oder Rakia.
- Wenn ich Plastik vermeiden will, vermeide ich Plastik. Oder ich kann es nicht.
- Wenn mein Geld irgendwo anfängt zu stinken, schaufel ich es um. Manchmal spende ich.
Das ist eine ganze Liste der provozierenden Einseitigkeit geworden. Sie wäre fortzusetzen. Doch schon jetzt zeigt sie auf, dass Vieles zu bewahren ist. Nichts von dem Aufgelisteten möchte riskieren. Bin wohl ein Konservativer.
Die erklärte Einseitigkeit ist natürlich nicht das Ganze.
Auch Ingeborg Maus wurde achtzig, allerdings schon letzten Oktober. Einen Blog betreibt sie nicht. Aber sie fasst ihre Demokratie- und Rechtstheorie-Forschung von mehreren Jahrzehnten in Büchern zusammen, die (wie ich meine) hochaktuell und relevant sind. Ich würde gern mehr von ihr erfahren. Auch Persönliches. Die Chance ist wohl gering.
Wie wollte Sie leben und wie lebt sie? Wie lebt es sich auch im Wissen um wissenschaftliche Anerkennung ihrer wichtigen Arbeit (auch durch ausgewiesene Gegner) und zugleich geringster Aufmerksamkeit Derjenigen, denen sie Wichtiges mitzuteilen hat. Weder rubikon, kenfm oder andere zeigten Interesse. Ich verstehe das nicht.
Ich hatte bisher hier Rechtsfragen als grundsätzliche Demokratievoraussetzungen im nationalen Rahmen mit Bezug auf Ingeborg Maus thematisiert. Ingeborg Maus spannt den Kritikbogen jedoch auch größer und geht insbesondere auch auf aktuelle Defizite im „linken Denken“ zu Frieden, Menschenrechten und Globalisierung ein.
http://www.suhrkamp.de/autoren/ingeborg_maus_3151.html
Ich bin sicher: Demokraten, Friedenswillige und Streiter für soziale Gerechtigkeit werden auf ihre Forschung und Ideentheorie zurückkommen müssen. Früher oder später. Leider.
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Und sie einfach mal fragen, um Interessierendes von ihr zu erfahren?
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Lohnt sich, das ins Auge zu fassen. Allerdings hatte ich schon etwas mehr Öffentlichkeit im Sinn.:-)
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Vielleicht von der Frage zum Gespräch, zum Vertrauen, zum thematischen Dialog, den schließlich beide Seiten in die Öffentlichkeit bringen wollen.
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Den konservativen Spirit des Freien der Aufklärung im Gegensatz zur erzieherisch-kriegerisch-staatstragenden Wertefreiheit heutiger Zeit zeichnet Ingeborg Maus im passenden Beitrag auf.
Klicke, um auf Maus-Naturrecht-Dialektik%201994-1.pdf zuzugreifen
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Lieber Klaus-Peter, dein beitrag ist grossartig. Er kommt so locker und froehlich daher. Das gefaellt. Auch wenn du manchmal ernsthaft mit deinem zeigefinger winkst.
Aber das ist eben der anfang, ohne den es keinen beginn gibt. Theorien hin oder her, sie muessen uns erfuellen, sie muessen in uns sich verankern in unserem denken, das tief mit unserer person verbunden ist. Was nuetzen uns theorien, wenn wir sie einfach nur so nachbeten?
In der frage „Wie wollen wir leben?“ fragt sich jede person selbst. Und wenn dann keine verbindungen auftauchen, zumindest nicht erkannt, dann ist auch kein gemeinsames tun moeglich. Dann ziehen wir uns zurueck auf unser „eingerichtet sein und werden“.
Uebrigens, auch ich bin sehr konservativ, wert-konservativ. Deswegen ist das fuer mich eher eine auszeichnung, wenn wir uns so benennen. Was nicht heissen soll, dass alle konservtive konservativ sind. Konservativ kann auch heissen, den ganzen nutzlosen ueberbau „as akta“ zu legen. Links (oder rechts) liegen zu lassen. Zu ignorieren oder zu umgehen, aber nicht ernst nehmen. Ihn als eine zeitlich temporaere erscheinung zu betrachten.
In der frage „Wie wollen wir leben?“ sind auch unsere traeume angesprochen, weil sie vieles von dem, was wir uns wuenschen und uns verhindert wird, trotzdem am leben erhalten. Und sie wirken alltaeglich und in jeder sekunde.
Mit der zeit speatestens kommen wir auch zur frage „Was brauchen wir?“. Bewusst beginne ich damit nicht. Es wirkt so trocken, rational, verstaendnis suchend, fast schon „evangelikal“. Sind religionen nicht der versuch, das „unmoegliche“ in die realitaet zu transportieren? Gewissermassen die gesetze der natur auszutricksen. die ja uns an allen ecken und enden ausbremsen?
So sind dann menschen bereit, jedem unsinn und schwachsinn gefolgschaft zu verleihen. Auch der rueckzug auf „Fuehrer Kulturen“ wird von der eigenen „selbstverschuldeten Unmuendigkeit“ gespeist. Wir koennen doch die „Leithammels“ nicht dafuer verantwortlich machen, dass wir sie als „Leithammel“ anerkennen. Wir koennen auch nicht die verschiedenen „Theologen“ dafuer verantwortlich machen, dass wir ihr geschwaetz zur „Theologie“ erklaeren und es so ernst nehmen koennen, weil wir es wollen.
Trotz alledem ist die frage „Wie wollen wir leben“ dringendst notwendig, dass wir fuer uns selbst die antworten suchen. So finden wir vielleicht einige der kriterien, die uns wichtig sind. Und wir stossen mit unserer nase direkt darauf, wie koennen wir das realisieren. Und spaetestens dann merken wir vielleicht, dass die „Wunschliste zu Weihnachten“ nicht das geeignete instrument dafuer ist.
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Wunderbar Klaus-Peter!
So kommt man vom systemischen zum „banal“ menschlichen und auf dieser Basis erreicht man auch andere Menschen. Weil wir ihnen gegenüber nicht als „wissender Übermenschen“ daherkommen, sondern als Bruder oder Schwester nicht nur im Geiste sondern auch im Herzen und so durch beide verstanden werden können.
Lieben Dank!
Herzliche Grüße, ped43z
PS: Das Angebot mit Veröffentlichung von Bildern Eurer Reise mit den Nachtwölfen steht nach wie vor.
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