„Faust“ gelesen, an Stalin gedacht

Im dritten Akt des Faust“ II als zunächst Euphorion, der „nach Herrlichem“ strebende Sohn von Helena und Faust, abstürzt und stirbt und ihm danach Mutter Helena ins „düstere Reich“ folgt (da „Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint“), bleiben Faust in seinem grenzenlosen Schmerz nur einige tote Überbleibsel – Kleid, Mantel und Lyra des Euphorion und Helenas Kleid und Schleier.

Sogleich ist Mephisto mit einem Rat an Faust zur Stelle:

Halte fest, was dir von allem übrig blieb,

Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon

Dämonen an den Zipfeln, möchten gern

Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!

Die Göttin ist‘s nicht mehr, die du verlorst,

Doch göttlich ist‘s. Bediene dich der hohen,

Unschätzbaren Gunst und hebe dich empor:

Es trägt dich über alles Gemeine rasch

Am Äther hin, solange du dauern kannst,…“

Und weiter Mephisto und jetzt deutlicher zu sich selbst:

Noch immer glücklich aufgefunden!

Die Flamme freilich ist verschwunden,

Doch ist mir um die Welt nicht leid,

Hier bleibt genug, Poeten einzuweihen,

Zu stiften Gild- und Handwerksneid;

Und kann ich die Talente nicht verleihen,

Verborg ich wenigstens das Kleid.“

Als Lenins Lebensflamme erloschen war, gab es ebenfalls einige „Utensilien“ aufzuheben. Der Wettlauf, sich der „hohen unschätzbaren Gunst“ zu bedienen, hatte sofort begonnen. Wen würde es am weitesten emporheben und über „alles Gemeine“ tragen?

Dass die Flamme verschwunden war, bekümmerte Mephisto, die illusionslosen Worte Goethes aussprechend, wenig. Die Welt würde sich an langatmigen Poemen berauschen, die „Handwerker“ und „Krämer“ (und die „Nomenklatura-Gilden“) würden, sich gegenseitig belauernd, ihren Schnitt machen. Das alles wäre zwar geistlos und tot aber von der geborgten Erinnerung an die frühere große Begeisterung überstrahlt.

„Faust“ 1830 – Sowjetunion 1930

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4 Antworten zu „Faust“ gelesen, an Stalin gedacht

  1. fidelpoludo schreibt:

    Frage: Wer war Stalins Mephisto? Und was hatte er (Stalin) Vergleichbares verloren? War es Lenin, den er verloren hatte? Denn es dürfte kaum Lenins Mephisto gewesen sein.

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    • willi uebelherr schreibt:

      Jetzt mal nur so, instinktiv und aus dem bauch, vielleicht der kleine, sprach- und rechtlose bauer, der sich taeglich abrackert, um ueberleben zu koennen?
      Zu Lenins Mephisto faellt mir nichts ein.

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    • fidelpoludo schreibt:

      Also dieses „Like“ des eigenen Kommentars ist wieder so ein Streich, den WordPress mir gespielt hat oder ein Versehen. Ich habe irgendwo ein „Like“ gesetzt, aber nicht bei mir selbst.

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  2. Sehr zum nachdenken.

    Liebe Gruesse

    Monika

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