Kommt! Ins Offene, Freunde! – dritter Schritt

Die Banalität des Guten

Die Bedeutung der Vergangenheit

Die Pornographie des Horrors

Humanismus vs. Tribalismus

Ein furchtloser, acht-teiliger Austausch zwischen der deutschen linken Stimme Clara S. und dem ex-israelischen Jazz-Künstler Gilad Atzmon, bei dem sie tief in Themen wie Israel, Palästina, den Holocaust, Frieden und Wahnvorstellungen, links und rechts, die Bedeutung der Vergangenheit und unsere Zukunftsaussichten im Kontext der gegenwärtigen identiäteren Dystopie eintauchen.

 1. Erwachsenwerden

2. Ist das Opfer selber schuld?

3. Geschichtsschreibung als Prozess

4. Antisemitismus, Rassismus und kulturelle Identität

5. Prä-traumatisches Belastungssyndrom, Zionismus und Imperium

6. Jüdische Macht und Identitätspolitik

7. Globale Stammesverbände und nationaler Überschwang

8. Auf der Suche nach dem Weg nach Hause

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3. Geschichtsschreibung als Prozess

Clara: Hier kommt ein Zitat von Dir: „Ich bin der Meinung, dass Israel weit schlimmer ist als Nazi Deutschland“.

Gilad: Mein Vergleich zwischen Israel und Nazi Deutschland bezog sich auf eine Diskussion über die kollektive Verantwortung in demokratischen gegenüber autoritären Regimes. Ich vertrat die Meinung, dass, weil Israel sich als ‚einzige Demokratie im Nahen Osten‘ sieht, seine barbarischen Praktiken ein Licht auf die gesamte israelische Gesellschaft werfen, was über Nazi Deutschland nicht gesagt werden kann. Sobald die Demokratie abgeschafft ist, entfällt auch die kollektive Verantwortung.

Clara: Offensichtlich kann man mit Literatur über die Frage ‚Was in der deutschen Geschichte hat die Deutschen im 20. Jahrhundert in zwei Katastrophen geführt?‘ viele Bibliotheksregale füllen.
Jahrelang wurde uns beigebracht, dass der erste Weltkrieg allein die Schuld der Deutschen war, jetzt wissen wir, dass die Sache doch komplizierter ist. Und die kollektive Verantwortung der Deutschen dieser Zeit und folglich die Verantwortung von Deutschland als Nation für alles, was im zweiten Weltkrieg passierte, wird uns immer noch in einer Fülle von Filmen als Fakt präsentiert, die das Narrativ der einzigartigen deutschen Schuld unterstützen und die Ereignisse mit der gefährlichen Ideologie und dem Wahn Hitlers und der Deutschen allein erklären.

Und Du behauptest jetzt, dass diese Erzählung ungültig ist, weil Nazi Deutschland keine Demokratie war?

Gilad: Das ist richtig.

Clara: Das verstehe ich. Während wir akzeptieren müssen, dass die unglaublichen Grausamkeiten tatsächlich geschehen sind und unsere Eltern daran beteiligt waren, haben wir ja auch schon lange herausgefunden, dass Hitler von der Mehrheit der nationalen Eliten unterstützt wurde. Deswegen sollte man nicht vergessen, dass hinter dem nationalsozialistischen Projekt mächtige Interessen standen, und eben nicht nur diejenigen Deutschen, die begeistert ‚Heil Hitler‘ riefen und durch das Erziehungssystem der Nazis indoktriniert wurden. Außerdem beseitigte Hitler diejenigen in seiner Bewegung, die das Wort ‚sozialistisch‘ ernst nahmen, schon zu einem frühen Zeitpunkt seiner Diktatur.

Und noch etwas: Deutschland hätte den Krieg ohne die Unterstützung aus dem Ausland, besonders seitens US-amerikanischer Banken, gar nicht so lange durchhalten können. Wir haben auch entdeckt, dass die westlichen Alliierten es gerne gesehen hätten, wenn Deutschland vor seiner eigenen Niederlage erst einmal die Sowjetunion zerstört hätte.

Gilad: Ich muss zugeben, dass die Vorsicht, die ich aus Deiner Stimme heraushöre, und die Art und Weise wie Du ein Geschichtskapitel beschreibst, welches über 70 Jahre zurückliegt, mir nahelegt, dass wir lieber über die Angst, über die Geschichte zu reden, sprechen sollten als über die Geschichte selbst. Wovor haben wir Angst? Wovor hast Du Angst? Wer pflanzt uns diese Angst ein und warum? Mit welchen Methoden wurde diese Vorsicht implementiert? Und natürlich, wer profitiert davon, dass wir Angst davor haben, zurückzublicken?

Clara: Das sind wirklich gute Fragen. Verstörende Fragen. Ein Grund ist sicher, dass ich, auch wenn Nazi Deutschland keine Demokratie war, nicht jeden Deutschen dieser Zeit vom Haken lassen möchte. Es gibt so etwas wie persönliche Verantwortung. Und viel Nazis haben diese nicht übernommen. Im Gegenteil – in Westdeutschland konnte man sie in vielen einflussreichen Positionen wiederfinden, und andere gingen direkt in die USA.

Gilad: Da hast Du vollkommen recht. Hier reden wir nicht von Kollektivschuld sondern von persönlicher Verantwortung. Dieses Prinzip wurde nach dem Krieg nicht wirklich angewendet, weder von Westdeutschland, noch der UdSSR oder den Amerikanern.

Clara: Vermutlich ist aber die große Angst, dass viele Leute denken, dass wenn man das offizielle Narrativ infrage stellt, man eine Rechtfertigung für Hitler und die Nazis liefert, und dass, wenn wir das zulassen, bald das Vierte Reich vor der Tür steht. Vertraue niemals einem Deutschen. Rassistische Überlegenheitsgefühle und Weltherrschaft sind Teil seiner DNA.

Und es gibt ja diese Sorte rechter Deutscher, mit denen ich ‚nicht in einem Bett‘ gefunden werden möchte, die die Geschichte neu denken und Redefreiheit fordern mit dem Ziel, Deutschland wieder groß zu machen, indem Ausländer aus dem Land geworfen und ihre Häuser angezündet werden.

Gilad: Ich verstehe genau, was Du sagst. Ich bin keineswegs von vielen sogenannten Revisionisten beeindruckt, die zufällig genauso dogmatisch wie ihre Feinde sind und ihre eigenen Narrative diktieren möchten. Deswegen bin ich auch nicht für die ‚Revisionisten‘ sondern für ‚Revisionismus‘. Dafür, dass die Geschichtswissenschaft sich als dynamische, elastische Sphäre erweist, nicht als dogmatisch. Es erübrigt sich zu sagen, dass ich jegliche Formen von Bigotterie und Gewalt zurückweise.

Clara: Das scheint ja manchen Menschen Angst zu machen. Ich muss jedoch zugeben, dass ich ziemlich beleidigt war, als ich als potentieller Nazi bezeichnet wurde, dafür dass ich forderte, dass man Deine Vorstellungen ernst nehmen, und Dich nicht einfach als gefährlichen Holocaust-Leugner abtun sollte.

Gilad: Vermutlich beziehst Du Dich dabei auf Jens Wernicke vom Rubikon und Elias Davidson, die hart daran gearbeitet haben, mich zu diffamieren, jedoch damit wenig mehr erreicht haben als sich selbst so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Bedauerlicherweise muss ich darauf hinweisen, dass diese Art Verhalten genau die Sorte von Nazi-Autoritarismus ist, die wir bekämpfen wollten. Ich finde es ziemlich amüsant wie die sogenannten ‚Anti-Nazis‘ einige der problematischsten Nazisymptome an den Tag legen. Aber es überrascht mich auch nicht. Die Antifaschisten verhalten sich oft als Anti-Faschisten-Faschisten. Das gleiche kann man auch über die Antizionisten sagen, viele verwenden anti-zionistische-zionistische Taktiken.

Clara: Ich glaube jedenfalls nicht, dass Antisemitismus Teil meiner DNA ist. Ich möchte verstehen, was die Nazis wirklich groß machte, und möchte untersuchen, ob es wahr ist, dass wir auf dem Weg zu einem neuen faschistischen Regime und insbesondere zu neuen Judenpogromen sind, wie manche Leute offensichtlich befürchten, wenn sie den Aufstieg rechts-populistischer Parteien beobachten. Ich persönlich habe den Eindruck, dass wenn es im heutigen Deutschland eine Gruppe gibt, die etwas zu befürchten hat, es nicht die Juden sondern die Muslims sind. Und dieses Feindbild wurde ja seit 9/11 systematisch aufgebaut.

Gilad: Das ist genau ein Teil meiner Beziehung zum Holocaust und der Vergangenheit allgemein. Ich bestehe darauf, dass Geschichtsschreibung der Versuch ist, die Vergangenheit zu erzählen, während wir uns gleichzeitig in die Zukunft bewegen. Geschichtsschreibung ist ein revisionistisches Abenteuer, und in dessen Kern liegt im ethischen Denken die Chance, sich eine bessere Zukunft vorzustellen. Ich stelle mich öffentlich gegen alle Geschichtsgesetze. Ich verwehre mich dagegen, dass der Holocaust oder irgendein anderes geschichtliches Ereignis zu einer Religion oder einem Dogma erhoben wird. Nachdem ich seit mehr als zwei Jahrzehnten in Europa gelebt habe, bin ich wirklich aufgebracht, dass solche Geschichtsgesetze jetzt auftauchen.

Clara: Du hast den Holocaust gerade eine Religion oder ein Dogma genannt. Was meinst Du damit?

Gilad: Es ist eine festgelegte Erzählung, die jede elastische oder dynamische Qualität verloren hat. Der Holocaust ist dazu da, das Primat des jüdischen Leidens und der europäischen Schuld aufrecht zu erhalten. Das Problem dabei ist jedoch, dass dieses Primat zur Begründung für unendliche globale Konflikte herangereift ist. Sieh Dir Palästina an. Sieh Dir die Kriege der ‚Neocons‘ an: Syrien, Irak, Libyen, Iran. Wider denken wir nicht in ethischen Kategorien. Wieder weisen wir den universellen Auftrag zurück. Meine Auffassung ist klar und einfach. Wenn der Holocaust die neue Religion ist, dann lass mich bitte ein Atheist sein.

Clara: Du würdest also behaupten, dass die ‚Holocaust Religion‘ der Ursprung des israelischen prä-traumatischen Belastungssyndroms ist, über das wir anfangs gesprochen haben?

Gilad: … ganz und gar nicht. Das prä-traumatische Belastungssyndrom ist tief in das jüdische Denken eingebettet. Hier ist ein alter jüdischer Witz für Dich:

Ein jüdisches Telegramm: ‚Fang an, Dir Sorgen zu machen. Details folgen.“

Und das ist ganz und gar keine Angelegenheit, die nur Juden betrifft. Die anglo-amerikanische Politik nach 9/11 wird ganz ähnlich durch selbst herbeigerufenen Terror aufrechterhalten. Wir werden von fantasierten Prophezeiungen gequält und arbeiten hart daran, dass diese erfüllt werden.

Clara: Wir bewegen uns hier auf sehr dünnem Eis. Jeder, der es wagt, das offizielle Holocaust Narrativ zu berühren, wird sehr schnell als Holocaust Leugner angegriffen, und das ist nicht nur in Deutschland strafbar. Du leugnest ganz offensichtlich den Holocaust nicht; wie Du erklärt hast, weist Du dessen Funktion als Rechtfertigung für gegenwärtige politische Entscheidungen zurück. Jeder, der wirklich Deine Bücher liest, kann das sehr schnell herausfinden. Außerdem wurdest Du ja auch von keinem deutschen Gericht diesbezüglich schuldig gesprochen.

Gilad: Ich wurde nicht nur nicht schuldig gesprochen, Ich bin noch nie von irgendeiner Behörde weltweit wegen irgendeiner Sache, die ich je gesagt oder geschrieben habe, befragt worden. Meine Aktivitäten bewegen sich klar innerhalb der Grenzen des Gesetzes, in Deinem oder irgendeinem anderen Land. Meine Bücher sind Welt-weit erhältlich, einschließlich in Deutschland und Israel. Aber ich sage es lieber noch einmal: Ich habe keine Angst davor, die Vergangenheit zu befragen und zu überprüfen, auch nicht meine eigene.

Clara: Trotzdem, Du wirst der Holocaust Leugnung bezichtigt, ein Vorwurf, der benutzt wurde, um Journalisten, z.B. KenFm, oder eine ganze Bewegung, z.B. den Friedenswinter, eine deutsche Friedensinitiative, die in 2014 initiiert wurde, zu diskreditieren und mit ihnen alle, die zu ihnen in Kontakt stehen. Ich meine, dass dahinter ziemlich mächtige Interessen stehen. Sich für friedliche Beziehungen mit Russland einzusetzen, die Kriege zu kritisieren, die Deutschland Welt-weit unterstützt und auch von unserem Staatsgebiet aus, z.B. indem wir es den USA erlauben von Ramstein aus Drohnenangriffe von Ihrer Luftwaffenbasis Ramstein aus zu leiten, provoziert ziemlich heftige negative Reaktionen der Mächtigen. Es gibt eine deutliche Verbindung zwischen der Überprüfung der Geschichte des Holocaust und der In-Fragestellung der gegenwärtigen deutschen Politik. Leider sind diejenigen, die eine kritische Bewegung spalten wollen, ziemlich erfolgreich.

Gilad: Wenn sie erfolgreich wären, würden sie nicht so panisch reagieren. Sie befinden sich auf der falschen Seite der Geschichte und wissen das auch. Eine angemessene Erforschung der Geschichte des zweiten Weltkriegs im Rahmen des historischen Kontextes des englisch-sprachigen Imperiums wird enthüllen, dass diejenigen, die Hamburg verbrannt, Dresden platt gemacht und Hiroshima und Nagasaki atomar zerstört, das gleiche später in Korea und Vietnam fortgesetzt haben. Sie haben Israels expansionistisches Vorhaben immer weiter unterstützt, sie haben die totale Zerstörung über Syrien, den Irak, Afghanistan und Libyen gebracht. Jetzt ist anscheinend Iran an der Reihe. Eine angemessene historische Diskussion wird eine institutionell verankerte Verachtung menschlichen Lebens im Kern der anglo-amerikanischen Politik erkennen. Der Holocaust in Verbindung mit der deutschen Schuld ist dazu da, um uns daran zu hindern, die Verbrechen zu bezeugen, die vor unseren Augen in unserem Namen begangen werden. Für die Amerikaner und die Briten ist es viel leichter, Holocaust Museen zu bauen, als sich an die Sklaverei oder die Verbrechen des Imperiums zu erinnern, besonders weil diese Verbrechen noch lange nicht aufgeklärt sind.

Morgen: 4. Antisemitismus, Rassismus und kulturelle Identität

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Eine Antwort zu Kommt! Ins Offene, Freunde! – dritter Schritt

  1. Clara S. schreibt:

    Es ist in Bezug auf Gilad Atzmon sehr leicht, ‚kalte Füße‘ zu bekommen und sich Denkverbote aufzuerlegen:
    Klaus Hartmann, der Vorsitzende des Freidenkerverbands, hat zwar in einer Veranstaltung (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24504) sehr richtig klarstellt, dass der Hitlerfaschismus weder national noch sozialistisch war und dass diese Bezeichnungen als Propagandatricks zu werten seien. Horst Mahler hingegen schreibt folgendes:

    „Gereinigt von den Spuren der jüdischen Lügen wird der deutsche Volksgeist in neuem Glanz erstrahlen. Von den Schlacken jüdischer Denkgewohnheiten befreit wird er erneut in das Weltgeschehen eingreifen und den Völkern mit der unwiderstehlichen Kraft der Vernunft aufzeigen, dass die Idee des Nationalsozialismus der Weg zur Rettung aus der judaisierten Welt ist.“

    Das Zitat stammt aus einem Aufsatz (https://de.scribd.com/doc/225655981/Das-Ende-der-Wanderschaft-Horst-Mahler-pdf#), in dem er die von Gilad Atzmon im ‚Wandernden Wer‘ entwickelten Gedanken aufgreift und als leuchtendes Beispiel dafür anführt, dass ein Jude sich gedanklich vom Judentum befreien und zu wahrer Erkenntnis gelangen kann.

    ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen‘? Das kann ich ja nun ganz und gar nicht unterschreiben! Wo bin ich hier hingeraten!?
    Beifall für Atzmon von der falschen Seite? ich habe ihn ja ausdrücklich daraufhin befragt und er distanziert sich in unserem Gespräch klar von rechts-dogmatischen Auffassungen.

    Mein Alias-Name steht für Licht und Klarheit – wenn es nur immer so einfach wäre …

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