Fundstück – 21.12.2017 – Vom Fehlen einer „linken Erzählung“

„Bevor nicht eine linke Theorie und Erzählung entwickelt worden ist, die es an Komplexität mit dem Neoliberalismus aufnehmen kann, ist der Linkspopulismus in unserer Gesellschaft zum Scheitern verurteil. Denn seine Leitunterscheidung zwischen Proletariat und Kapitalisten hat keinen Resonanzraum mehr, wenn sich alle einer breiten Mittelschicht zugehörig fühlen wollen und die tatsächlich prekär Beschäftigten entweder resigniert haben oder ihren Job als vorübergehendes Erlebnis begreifen.“

Quelle

Dort auch kluge Worte Stegemanns zu „Political Correctness“.

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16 Antworten zu Fundstück – 21.12.2017 – Vom Fehlen einer „linken Erzählung“

  1. Theresa Bruckmann schreibt:

    Habe lange nachgedacht, wo dieser Beitrag Kai Ehlers zu
    den hauptsächlich innenpolitischen Verhältnissen Russlands
    hier im Blog anknüpfen könnte:

    Das Lindenblatt auf Putins Schulter – oder warum Putin auf Wahlkampfreisen geht


    Ganz besonders spannend finde ich die Ausführungen über die
    ‚Polaren Programme“ der beiden Putin-Berater Alexei Kudrin und
    Sergei Glasjew.

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  2. Lutz Lippke schreibt:

    Ich möchte meine Antwort auf Teresa Bruckmanns Frage zu Art des kritischen Denkens (Interview mit fefe auf dem CCC) hier her verlagern. In der ziemlich locker angelegten Unterhaltung offenbart fefe einige grundlegende Herangehensweisen und Methoden einer möglichst fehlerresistenten Analyse und Handlungsplanung, die einer anerkannten und erprobten ingenieurtechnischen Kultur entspringt, die aber auch immer wieder modifiziert werden musste. Deren Ziel ist in komplexen Fragen nicht das Finden der möglichst einfachen und ewig geltenden Gewissheit und das Ausschalten von Versuch und Irrtum, sondern die effekive Kontrolle über die Chancen und Risiken von Erkenntnissen, Lösungen und den Handlungen dazwischen. Dem liegt einerseits der Optimismus zugrunde, dass wir mit geeigneten Methoden der Analyse, Planung und kooperativen Umsetzung tendenziell jede Komplexität beherrschen können, andererseits aber auch, dass gerade den scheinbar einfachen und abschließenden Erklärungen besonders zu misstrauen ist. Das spricht eigentlich gegen das Bedürfnis nach einer linkspopulistischen Erzählung, wie sie Stegemann konstatiert. Wie sollte eine schlichte Erzählung oder Erklärung auch der wahrgenommenen Komplexität des Tatsächlichen gewachsen sein und zu einer glaubwürdigen Agenda der Transformation werden? Wie kann man den offensichtlichen Betrug vermissen? Worin unterscheidet sich das links Erzählte von den manipulativen Methoden der rechtspopulistischen oder neoliberalen Erzählungen? Gibt es wirklich keine überzeugende progressive Erzählung, die das Zeug zur Glaubwürdigkeit hat? Wo liegen die „linken Irrtümer“, wenn die Rechten und die Neoliberalen mit ihren Populismen die Erfolge abfeiern? Stimmt diese Diagnose überhaupt? Stimmen die damit unterstellten Gewissheiten zum Status der Beteiligten und der Zustände?

    Ich erinnere mich und erlebe es immer wieder, dass ich mir bei sequentieller Vorgehensweise in der Analyse von komplexen Strukturen immer wieder unzureichende Vorannahmen, Irrtümer und Sackgassen einhandele. Erst die Anwendung von verschiedenen Prüfmethoden, insbesondere räumlichen, meist grafischen Analyse- und Strukturierungsmethoden zeigen dann diese Fehler auf und helfen bei der Korrektur. Schon dieser Kommentar ist in seiner Form das Gegenteil von solcher räumlichen Methodik. Umso umfassender und weitschweifiger die sequentiellen Erzählungen geraten, umso schwerer fällt die Analyse zu Fehlern und Widersprüchen. Also bitte Schlagworte und einfache, überzeugende Leitsätze! Ist doch logisch !?
    Nein ist es eben nicht. Denn die sequentielle Aneinanderreihung von Schlagworten und Leitsätzen verschluckt nur die Fehler und Widersprüche und löst sie nicht auf (Intransparenz, Verschleierung). Würde dem Einfachen und Übersichtlichen dagegen durch geeignete Methodik der Bezug zur Struktur und dem Detail erhalten, dann würden Fehler und Widersprüche offenbar (Transparenz, Aufklärung). Demnach wäre nicht das Einfache, das Populistische das Problem, sondern der Glaube an den damit verbundenen Verzicht auf Substanz. Also: Wir wollen zwar einfache Botschaften, aber welche, die ihre Substanz und Haltbarkeit transparent anzeigen und nicht irrtümlich für entbehrlich haltenn oder deren Fehlen geschickt verschleiern.
    Der Anspruch an einen funktionierenden linken Populismus ist also einfach deutlich höher. Ein gravierender Irrtum liegt m.E. nach auch darin, dass „echter“ linker Populismus nicht erfolgreich sei. Ich finde er ist sogar so erfolgreich, dass sich die „dunkle Seite der Macht“ mit ihren Gelüsten ängstlich hinter linkspopulistischen Begriffen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie, Gemeinschaft, Individualität, Rechtsstaatlichkeit verstecken muss und diese schamhaft aushöhlt, für sich wendet oder für unpraktikabel erklärt. In diesem Erfolg des Intriganten liegt ein begründeter Anlass für linken Frust. Denn es ist ein Erfolg, der die Abwesenheit von substanzieller linker Methode dokumentiert. Wird wirklich Zeit, die Suche danach zu intensivieren.

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  3. Theresa Bruckmann schreibt:

    Vielen herzlichen Dank, Herr Lippke,
    ich habe Ihren großartigen Beitrag ausgedruckt und Satz für Satz
    (unter Zuhilfenahme von Farbstiften) analysiert und glaube verstanden
    zu haben, was Sie meinen, bin aber nicht ganz sicher. Es würde mir
    helfen,
    wenn Sie mir bitte je ein Beispiel nennen würden für

    eine Botschaft die ihre Substanz und Haltbarkeit transparent anzeigt

    und im Vergleich dazu
    2 Botschaften, die dies nicht tun,

    also eine Botschaft, die Substanz und Haltbarkeit irrtümlich für entbehrlich hält

    und vielleicht noch eine Botschaft, die das Fehlen von Substanz und Haltbarkeit
    geschickt verschleiert?

    Ich hoffe, dass Sie das jetzt nicht riesig viel Zeit kostet und sage schon mal
    danke für das Zurkenntnisnehmen meiner Frage.

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Liebe Theresa Bruckmann,
      bitte übertreiben Sie nicht. Wenn Sie meine Darstellung zur Problemlage anspricht, freut mich das natürlich und wir sollten uns mit Anderen dazu austauschen. Ich spreche aber keine grundsätzlichen Neuigkeiten an, fühle mich also eher als Suchender im schon Vorhandenen, aktuell aber eher Verdrängten.
      Nun bin ich kein Gesellschaftswissenschaftler, habe die Klassiker nicht intensiv studiert und kann also nur von meinem unbedarften Wissensstand und meinen Analogien zu dem Gebiet zehren, in dem ich besser bewandert bin: Technik und Naturwissenschaft. Ansonsten bin ich aber ein normaler Bürger, eher interessierter Generalist als fokussierter Spezialist, und damit Teil des allgemeinen Volkssouveräns.. Eine echte Entdeckung der letzten Wochen war für mich tatsächlich die Arbeiten der Prof. em. Dr. Ingeborg Maus. http://www.fb03.uni-frankfurt.de/44107395/vita

      Anhand ihres Buches „Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. …“ (1980)
      kann ich mein bzw. vermutlich unser Problem gut verdeutlichen. Maus schreibt in einem klaren analytischen und fokussierten Stil, geht dabei sehr scharfsinnig und kritisch auf vermeintlich allgemeingültige Begrifflichkeiten und Narrative (Erzählungen) zu Demokratie und Rechtsstaat ein und zeigt deren Ambivalenzen auf. Dem roten Faden ihrer Argumentation kann ich meist spontan im Lesefluss ganz gut folgen, ihn allerdings nur rudimentär aufnehmen und kaum verifizieren. Ich glaube erstmal, weil es mich spontan überzeugt. Habe ich mir beim Lesen im Kopf ein temporäres Modell des Lesestoffs gebildet, löst es sich durch nachfolgende Darstellungen zu ambivalenten oder sogar widerstreitenden Argumenten wieder auf. Insbesondere entschwindet mir aber auf Grund der Fülle und der von mir so wahrgenommenen Substanz des Lesestoffs das scheinbar bereits Verstandene aus dem Hirn. Ich hatte, wie Sie es auch selbst beschreiben, mit Markierungen und mit dem Notieren von wesentlichen Aussagen begonnen, bis ich merkte, dass diese Notizen nach kurzer Zeit fast auf eine wörtliche Nacherzählung des Textes hinausliefen. Maus macht es mir als Wissbegierigen trotz der Stringenz und Verständlichkeit (die Begriffe, die sie nicht explizit erläutert, kann man ja nachschlagen) nicht leicht, den Überblick zu behalten. Sie verzichtet trotz der klar erkennbaren Richtung (siehe Titel) auf einfache Losungen oder unhinterfragte Behauptungen. Sie setzt sich sehr intensiv mit den tatsächlichen und möglichen Gegenargumenten auseinander und lässt Ambivalenzen dabei nicht aus. Der Text ist sicher parteilich, aber definitiv kein Parteiprogramm (dazu noch mehr).
      http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00040752_00001.html

      Es juckt mir in den Fingern, diesem Buch durch eine grafische Strukturierung der Inhalte beizukommen und dabei den Argumenten und Widersprüchen auch auf den Zahn zu fühlen. Aus dem klassisch sequenziell und semistrukturierten Text würde ich also am liebsten Definitionen, Mindmaps, Zustandsgraphen, Klassendiagramme, Netzstrukturen und Ontologien herausdestillieren. Das macht man in der Technik und Naturwissenschaft andauernd. Damit verbinde ich den stillen Wunsch, das Wichtigste prägnant herausfiltern zu können und in ein „populistisches Format“ für fast Jedermann zu bringen. Nur so könnte ich mir die notwendige Transformation ihrer Erkenntnisse in heute dringend benötigte Analysen vorstellen. Denn ich bin überzeugt davon, dass Maus uns nicht nur mit diesem Buch viel über unseren gesellschaftlichen Zustand zu sagen hat. Das also als Beispiel für Substanz und Transparenz in der Sache selbst, aber eben auch dem Problem der Überforderung durch sequenzielle Stofffülle, die nach meiner Auffassung durch populistische Methoden der Visualisierung auch ohne Substanzverlust lösbar wäre.

      Als Beispiel einer irrtümlich substanzlosen Botschaft möchte ich das medial behauptete Schlüsselthema der SPD in den aktuellen Sondierungen ansprechen. Nämlich die Forderung nach einer Einführung der Bürgerversicherung. Diese Forderung soll wohl das klar auf Gerechtigkeit ausgerichtete Profil der SPD und ihren unbedingten Erneuerungswillen gegen ein „Weiter so!“ des Merkelismus und der bisher üblichen Deals beweisen.
      Ist das nun substanzarmer Populismus oder eine populäre Forderung mit Substanz?

      Am Besten prüft man das doch an der Quelle. Schaut man also ins (noch aktuelle) Regierungsprogramm der SPD, dann ist in der „populären“ 1-Minuten-Version folgende Agenda zu lesen: „Wir sorgen dafür, dass die Beiträge für die Krankenversicherung wieder zu gleichen Anteilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt werden.“
      https://www.spd.de/standpunkte/regierungsprogramm-in-1-minute/
      Im vollständigen Regierungsprogramm ist zwar durchaus etwas mehr zur Bürgerversicherung zu finden, aber zusammenfassend auch nur die Argumentation „Gerechtigkeit und Bandbreite bringts!“. Das halte ich für zu dürftig, um den erfolgreichen Einstieg in das Ziel einer effektiven und gerechten Gesundheitspolitik zu schaffen. Ein entscheidendes Top-Thema war das der imaginierte Kanzler-Partei SPD wohl jedenfalls auch nicht. Siehe (bzw. nicht) Standpunkte https://www.spd.de/standpunkte/

      Einige Beispiele für geschickt verschleierte Botschaften zeigt Ingeborg Maus in ihrem Buch auf, so zur Fortentwicklung der bürgerlichen Rechtstheorie als Grundlage des besonders intransparenten Verhältnisses zwischen Demokratie und Rechtsstaat in der BRD, der doch eigentümlich verschränkten Gewaltenteilung in Deutschland und der tatsächlich auch nur sehr eingeschränkt möglichen Partizipation der Bevölkerung an wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen. Was um 1918 von den Großbürgerlichen und ihrem Gefolge offen als Bannung der Gefahr einer „kalten Revolution“ ausgedrückt wurde und sich nachfolgend ziemlich geschickt in Theorie und Logik einer besonders verantwortungsvollen Demokratur von Oben kleidete, steht heute nun wiederum wegen einer Demokratiemüdigkeit der Massen und wegen der äußeren Gefahren für den Rechtsstaat zum weiteren Rückbau Richtung Administratur im ständigen Ausnahmezustand zur Disposition.

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  4. willi uebelherr schreibt:

    Lieber Lutz, anders wie Theresa habe ich deinen text nicht komplett seziert, weil fuer mich schon der anfang, der eintritt, falsch ist.
    Du sprichst von komplexitaet, Vielleicht extremer Komplexitaet? Und was soll da denn komplex sein? Kompliziert, vielleicht.
    Es hat immer damit zu tun, ob wir in dem vielen gestruepp die grundlagen finden. Wenn wir tief unten uns bewegen, ist das kein gestruepp mehr, eher ein beschuetzendes dach. Wir sehen die elemente, aus denen sich das gestruepp bildet. So entsteht ein verstaendnis der interaktionen und symbiosen.
    Die baeume vor lauter wald nicht mehr sehen ist ja ein aehnliches schicksal, was viele trifft. Und den wald gibt es nicht. Es gibt nur die baeume und das viele kleine.
    Wenn wir damit beginnen, die komplexitaet hoch zu halten, auf sie verweisen, dann wohl meistens deswegen, weil wir nicht tief blicken wollen. Uns der anstrengung entziehen wollen, die das tiefe graben manchmal macht.
    Und zu deinem trost. Ingenieurmaessig ist das nicht, was du hier vorschlaegst. Eher angesiedelt im marketing betrieb, wo die inhalte nicht mehr verstanden werden, weil es nur noch um geldmengen geht.
    mit lieben gruessen, willi
    z.zt. Asuncion, Paraguay

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Ich verstehe den Tenor der Kritik, halte ihn aber in diesem Kontext für nicht zutreffend.
      Es ist zwar richtig, dass man mit einigen Grundlagen zügig zu klaren abwehrenden Aussagen kommt. Auch zu komplexen Zusammenhängen. Was nicht richtig ist, kann man oft leicht erklären. Etwas schwieriger wird es schon zu erklären, was dagegen richtig ist. Sehr viel schwieriger ist es dann jedoch, die Transformation von falsch nach richtig zu beschreiben oder sogar umzusetzen. Es wird Kompromisse, Halbheiten, Fehler geben, die nicht einfach zu lösen sind. Solange es nur um einen Baum im Garten und kleines Gestrüpp geht, ist das vielleicht beherrschbar. Aber für den ganzen Wald versagt die Beschränkung auf die Sichtweise des Maulwurfs.
      Zur Frage des Unterschieds zwischen komplex und kompliziert, verzichte ich mal auf Recherche und beschreibe es nach meiner Ansicht aus dem Bauch heraus:
      Kompliziert kann auch ein einzelner Aspekt, ein Handgriff, eine Funktion o.ä. sein, weil sie bestimmte Fertigkeiten erfordert. Es gibt aber i.d.R. eine richtige Lösung, wie die Lösung eines Kreuzworträtsels etc.. Mit komplex wird dagegen eher ein vielfach in Bedingungen und Möglichkeiten verstricktes Netz von Einzelproblemen als Gesamtheit benannt. Die Details und Grundlagen müssen selbst gar nicht kompliziert sein, es sind die raum- und zeitsensitiven Interaktionen und Verflechtungen, die im Wesentlichen die Komplexität erzeugen.
      Im Sinne einer Analogie ein kurzer Ausflug in die Technik:
      Eine Technologie als Funkions- bzw. Verfahrenstheorie kann sehr unkompliziert und gut überschaubar sein. Die reale Technik, mit der diese Technologie anwendbar wird, kann aber trotzdem sehr komplex sein. Die Anwendung der Technik, also der tatsächliche Gebrauch, kann einfach oder kompliziert sein, ohne das die Komplexität der Technik dabei eine Rolle spielt. Verschiedene Anwendungsszenarien können hierbei vollständig gegensätzliche Merkmale haben. Für alle denkbaren Möglichkeiten der Zuordnung von einfach, kompliziert und komplex wird man reale Beispiele finden. Die Annahme, dass die (richtige) Zuordnung auf einer Ebene formal die Zuordnung auf anderer Ebene bestimmt, ist also ein Trugschluss.

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      • Lutz Lippke schreibt:

        Zur Analogie einen Nachtrag, sozusagen als Idee einer Übertragung des Problems in eine Klasse von Problemen derGesellschaft. Es geht um das Strukturmodell Technologie – Technik – Anwendung. Es gibt einfache Technologien, die jedoch praktisch-technisch schwer umzusetzen sind. Gäbe es bereits eine anwendbare Technik, würde dies zu einer revolutionären Entwicklung im Anwendungsbereich führen. Alles wäre so gut und so einfach. Das ist naturwissenschaftlicher Alltag, Beispiele finden sich schnell z.B. in der Energieversorgung.
        Der Kommunismus ist in diesem Sinne eine einfache Technologie, die im Wesentlichen auf dem gemeinschaftlichen Besitz der Produktivmittel und bedarfsgerechter Verteilung des gesellschaftlichen Vermögens beruht. Auch die Anwendung wäre demnach einfach und allgemein überzeugend, da alle Menschen von Geburt an in sozialen Gemeinschaften leben, Teilen gelernt haben und ihre Bedürfnisse ja umfassend befriedigt werden. Was will man mehr?
        Die Annahme, dass es für eine einfache Anwendung einer einfachen Technologie einfache Techniken geben müsse, verleitet jedoch dazu, die Technologie für anwendungsbereit zu erklären und einfach loszulegen. Halte Dich an die technologischen Grundlagen und dann klappt es schon. Wenn es dann doch fehlschlägt, liegt es wohl an Fehlern in der Anwendung. Mit veränderten Anwendungen entstehen nach und nach Anwendungs-Techniken, mit denen Fehlschläge vermieden werden sollen. Diese Adhoc-Techniken werden aus Anwendungssicht im Modus Versuch und Irrtum in jeder Anwendung separat ausgebildet. Eine systematische Entwicklung und Übertragung der Adhoc-Techniken findet nicht statt. Typische Fehler werden wiederholt, erfolgreichversprechende Abweichungen übergangen und auf ein systematisches Problembewusstsein verzichtet. Bei einem grundlegenden Scheitern wird die Techologie auf gleichem Wege für unanwendbar erklärt und die fehlschlagenden Adhoc-Techniken evtl. gleich mit.

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        • willi uebelherr schreibt:

          Lieber Lutz,
          ich kann deiner trilogie „technologie-technik-anwendung“ nicht ganz folgen, Auch begrifflich nicht. Aber ich vermute, zu verstehen, was du meinst.
          In beiden letzten kommentaren in diesem strang laesst du die blockaden und einschraenkungen ausser acht, die eine konsequente anwendung dessen, was wir als ziel erklaeren, nicht zulassen. Und sie kommen nicht aus dem inneren, sondern aus dem aussen.
          Die klarheit in deiner argumentation fuer eine wirklich kommunistische gesellschaft scheitert bei dir an der unfaehigkeit, diesen prinzipien zu folgen, um es dann als anwendung zur verfuegung zu haben. Und genau das lehne ich ab.
          Die maengel liegen schon im vorher. In dem, was du die technologie beschreibst. Ich weiss, in der praxis wird oft ein entwurf gemacht, der dann irgendwie konstruktiv hingebastelt wird.
          Betrachte den vorgang als kontinium mit inneren kreisen und zyklen. Ich verwende hier eher die trilogie: Entwurf-Konstruktion-Realisierung. Am anfang steht immer der plan, das ziel. Ueber die konstruktion werden die realisierungsbedingungen geprueft und vorbereitet. Wenn da etwas nicht passt, geht es wieder zurueck mit den informationen. Im 3 schritt setzen wir auf eine realisierbare vorbereitung und klaerung auf und auch da kann es nochmals schief gehen.
          Aber alles ist eingebettet in ein umfeld, das foerdernd oder auch bremsend wirken kann. und dieses umfeld ist immer die basis, auf der wir agieren.
          mit gruessen, willi

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  5. willi uebelherr schreibt:

    Lieber Lutz, ich weiss, dass du die inneren bedingtheiten und interaktionen, wir koennen es auch die dialektik der elemente beschreiben, sehr wohl siehst. Der kern unserer debatte liegt darin, ob wir bereit sind, die zugrunde liegenden kraefte und gesetzlichkeiten anzuerkennen oder uns auf der oberflaeche bewegen wollen.
    Viele akteure im politisch parasitaeren ueberbau sprechen von komplexitaet groesserer sozialen gemeinschaften. Und damit legitimieren sie ihr eigenes nicht sehen wollen. So entstanden dann religioese theorien, besonders in der oekonomie, wo es dann nicht mehr um Oekonomie geht, sondern nur noch um geldmengen. Und dies in einem selbstgemachten geldsystem.
    Wenn wir die einzelnen elemente uns betrachten, mit ihren eigenen triebkraeften, dann werden soziale systeme sehr einfach. Das koennen wir auch auf den wald beziehen. Wenn wir uns auf den wald, der ja eigentlich nicht existiert, konzentrieren, verlieren wir das verstaendnis der elemente mit ihrer eigenen dynamik, die das ganze, den wald, entstehen lassen.
    In den entstehungsprozessen der technologie, fuer mich die materialisation der gesetze der natur, koennen wir das auch erkannen. Nicht die vereinfachung der lebensfuehrung, das entstehen von Redudanzen, die stabilisierung der materiellen lebensgrundlagen steht im fokus. Sondern egoismen, die mit der sache selbst absolut nichts mehr zu tun haben.
    Auf dieser grundlage von Schein und Theater wird es dann einfach, von Komplexitaet zu sprechen. Nur, sie existiert nicht in der realitaet, sondern nur in unseren koepfen.

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Wir haben da gewiss einen Dissenz, der grundlegend ist.
      Ich reduziere mal Deine Ansicht, möglicherweise zugespitzt, auf „Das Ganze ist die Summe seiner Teile.“ und „Die Teile unterliegen natürlichen Gesetzmäßigkeiten“. In einem Wort: Determinismus. Folge u.a. kein freier Wille, sondern gesetzmäßige Zwangsläufigkeit.
      Im Grunde könnte man damit Aufklärung, also das Suchen von Gesetzmäßigkeiten, aufgeben und sich auch auf „Gott wird es richten!“ oder „Et kütt wie et kütt!“ verlassen.

      Ich kann dem weder beipflichten noch abschließend widersprechen. Ich sehe das als ungeklärt an. Denn es existiert zumindest das Phänomen des „Freien Willen“, also das Bedürfnis nach Auswahl, Entscheidungsmöglichkeit. Nun mag das eine Illusion sein, wohl ein psychologischer Kniff der Evolution. Ob der evolutinär wirklich notwendig ist oder zufällig …? Huch Zufall und Determinismus, das passt nicht zusammen.

      Ich möchte dem einen pragmatischen Ansatz entgegen stellen. Ob Freier Wille und Nichtdeterminismus nur ein Phänomen oder aber „echte Realität“ sind, können wir bisher nicht entscheiden. Unstreitig lassen sich aber allgemeine Gesetze und Regeln finden, die uns die Unwägbarkeiten des Phänomens Nichtdeterminismus, also freie Wahl und Willensentscheidung, beherrschen lassen. Nach diesem Ansatz ist Gesetzmäßigkeit keine Absolute Tatsache, sondern ein pragmatisches Hilfsmittel der Vereinfachung und Handlungsfähigkeit. Die entwickelten Fähigkeiten der Rationalität und Formalisierung der Aufklärung haben enorme Fortschritte beschert, aber zugleich auch häßliche Ergebnisse. Der Glaube an die Vollständigkeit des Erkannten und dem Ausschluß der Möglichkeit des grundsätzlichen Irrtums ist schon deshalb ein Aberglaube, kein Idealismus. Alle erkannten Gesetzmäßigkeiten sind mehr oder weniger verifizierte und realitätstaugliche Arbeitshypothesen innerhalb einer zumindest teilweise nichtdeterministisch wahrgenommenen Umwelt. Selbst wenn jedes einzelne Teil eindeutig sei, die Interaktionen zwischen den Teilen aber nichtdeterministisch, dann ist das Ganze nicht die eindeutige Summe seiner Teile, sondern der temporär wahrnehmbare Zustand dieses Interaktionsnetzwerkes. Daraus entstehen schnell komplexe und instabile Netzwerke. Leben ist so gesehen mehr als Materie.

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  6. willi uebelherr schreibt:

    Lieber Lutz, auch ich kann es etwas zuspitzen in einem beispiel. Ich nenne es oft die frage, mit der sich Immanuel Kant sein ganzes leben lang herumgeschlagen hat:

    Mit unserem koerper sind wir den gesetzen der natur streng unterworfen. Und wenn wir uns nicht daran halten, dann wars das.
    Und mit unserem geist? Wir koennen uns jeden schachsinn ausdenken und zur wahrheit erklaeren. Und dann mit „kreuz und schwert“ durchsetzen.

    Das problem ist die referenz. Immanuel Kant empfahl uns, die Vernunft, Rationalitaet und die Logik anzuwenden. Aber da ist dann schnell schluss mit dem „freien Willen“.

    Die geldsysteme sind hierfuer ein gutes beispiel. Auch der propagandismus von „internationaler Arbeitsteilung“. Ich vermute, hier in diesem blog wissen wir alle, was tatsaechlich damit gemeint ist. Und trotzdem wird er fast alltaeglich zelebriert.

    Es gibt noch ein anderes, vielleicht entfernteres beispiel. Souveraenitaet. Gepraegt von Jean Bodin im 16. jahrhundert. Der „freie Wille“ fuer den Absoluten. Er braucht sich keine gedanken zu machen, wie etwas umgesetzt wird, wer es umsetzt, welche bedingungen dafuer notwendig sind. Er kann frei entscheiden.

    Souveränität
    https://de.wikipedia.org/wiki/Souver%C3%A4nit%C3%A4t

    Ein vollstaendiger unsinn. Den „freien Willen“ gibt es nur im kino. Immer wirken kraefte, beduerfnisse, inneres treiben. Nichts entsteht aus dem Nichts.

    Vielleicht passt dir das alles nicht, was ich dir entgegenhalte. Dein individuelles Sein vielleicht einschraenke. Ja, das ist das dilemma der aufklaerung. Mit jeder frage entstehen viele neue fragen.

    Natuerlich koennen wir aufhoeren, zu fragen und uns einem mechanischen denken verschreiben. Hatten wir ja schon tausende von jahren. Trotz gleichzeitiger erkenntnis, dass viele der dogmen dogmen sind. Und wir koennen auch beliebigste erklaerungen uns ausdenken fuer dieses und jenes, ohne dabei permanent auf die nase zu fallen. Wir muessen uns nur soweit wie moeglich von der realitaet entfernen. Also nicht als ingenieur taetig sein. Weil da merken wir sofort, wenn wir falsch liegen.

    Und ist es so falsch, wenn ich hier das ingenieur-wesen anfuehre? Gottfried Wilhelm Leibniz? Was macht einen menschen zum ingenieur? Tiefes theoretisches verstaendnis und tiefe praktische erfahrung. Und kein zettel. Aber, ich vermute, das gibt es heute nicht mehr oder noch nicht wieder. Kommt aber wieder. Davon bin ich ueberzeugt.

    mit lieben gruessen, willi

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Mein weltanschaulicher Einwand dazu ist, dass sich die Askese der Vernunft totalitär verstanden, gegen sich selbst wendet. Sicher hat sich Kant auch damit auseinandergesetzt. Ich denke nicht, dass das Schöne, Anmutige, Harmonische in dieser Welt allein Produkt des total Vernünftigen sein kann. Üppigkeit, Vielfalt und schier unendliche Variation scheint doch ein wesentlicher Teil des Natürlichen zu sein. Gerade hat die deutsche Juristerei den grundlegenden Einstieg in den Ausstieg aus dem dogmatischen binären Sexualrecht eingeleitet. Es gibt also nun auch rechtlich nicht nur männlich XOR weiblich. Die Ängste vor der Uferlosigkeit der Folgerungen sind so groß, dass mit unsäglicher Ignoranz und Verdrängung gegenüber dem Leid von bisher nicht Normgerechten über Jahrzehnte schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen und gerechtfertigt wurden. Nun gibt es einen „Normenwandel“, der das Bisherige als gesellschaftlichen Konsens legitimiert und für die Zukunft eine uferlose Abfolge der nächsten totalitären Blödheiten organisiert. Dabei hätte in der Vergangenheit eine gewisse Skepsis gegenüber der Absolutheit des gesetzten Rechts Schlimmstes verhindern können. Doch diese Erkenntnis ist offensichtlich nicht Teil des Normenwandels.

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  7. Lutz Lippke schreibt:

    Unser Disput zeigt doch wie ergiebig eine Diskussion sein kann, wenn man in der Sache selbst streitet und sich nicht auf Dogmen und Befindlichkeiten konzentriert.
    Natürlich ist „meine“ Trilogie Technologie-Technik-Anwendung eine künstliche Meta-Ebene, ein Modell wie auch Wald-Bäume-pflanzliche Zellen. In beiden Beispielen kommt unser Dissenz recht klar zum Vorschein. Während Du auf das Kontinium der Gesetzmäßigkeiten, im Grunde die Egalisierung der höheren Ebenen (es gibt keinen Wald), bestehst und es äußere Störungen sind, die den gesetzmäßigen Vollzug der absolut geltenden Prinzipien stören, stelle ich in Abrede, dass wir absolute Prinzipien überhaupt kennen und bisher zur Verfügung haben, die uns Deinen kontinuierlichen Vollzug überhaupt ermöglichen. Ich zweifle sogar daran, dass es diese absoluten Prinzipien eines Determinismus am Ende überhaupt gibt. Diese Unklarheit kann ich nicht ignorieren und muss pragmatisch Hilfsmittel finden, um die Abweichungen in das Modell mit einzubeziehen. Die äußeren Störungen und einschränkenden Bedingungen, die Dich und mich vom Vollzug der Prinzipien abbringen, sind Teil meines Modells und logisch der Umsetzungsebene (Technik) zugeordnet. Diese Trilogie hat eine einfache und wie ich finde überzeugende Bewandnis, wenn man akzeptiert, dass das Einfache manchmal bis oft schwer zu machen ist. (übrigens auch ein Argument gegen die neoliberale Einteilung der Arbeit in einfache, niederwertige Arbeiten und elitäre, hochwertige Arbeiten als extrem divergierendes Leistungsprinzip). Die Entwicklung einer Technologie muss sich auf das Gesamte beziehen und kann damit nicht sofort jedes Einzelproblem erfassen und lösen. Es geht um die Idee, um ein vereinfachtes Modell des Gesamten. Es geht um den Wald 🙂 Die Anwendung soll möglichst einfach sein und nicht das detaillierte Wissen und Können des Gesamten erfordern. Zum Beispiel eine Anleitung für die nachhaltige Nutzung des Waldes 🙂 Es braucht also eine Ebene zwischen vereinfachter Idee und sicherer Anwendung, in der das Schwierige bearbeitet und gelöst wird. Die Umsetzungstechnik.

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    • Lutz Lippke schreibt:

      Nachtrag: Grundlegend geht es um Egalität vs. Dichotomie. Ist das Konzept der Dichotomie (Unterscheidung in Verschiedenes und Gleiches) nur eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, das als Störung des Richtigen aufgehoben werden muss oder gehört die Unterscheidung in Verschiedenes und Gleiches zur Gesamtheit dazu. Im letzteren Fall ist die Angemessenheit des Gleichnisses bzw. der Unterscheidung die ewige und kontextsensitive Verhandlungsmasse (Gerechtigkeit) und Verschiedenheit des Seins und Tuns ansonsten prinzipiell akzeptiert. Der Anspruch auf absolut geltende Unterscheidung ist das totalitäre Gegenstück zur Gleichmacherei und hier nicht diskutabel. Im strikt egalitären Konzept ist wiederum jede Ungleichheit, jede Abweichung ein äußerer Fehler, dessen Eliminierung zum Programm eigentlich dazu gehört. Diese Unterscheidung in innere Prinzipientreue und äußere Verletzung des Prinzips ist allerdings selbst eine Dichotomie, ein Widerspruch zum strikt egalitären Konzept.

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