Jewgeni Jewtuschenko ist ein sowjetischer/russischer Dichter. In meinem „Poesiealbum“ 69 von 1973 finde ich das Gedicht „Intime Gedichte“ in der Übertragung von Volker Braun.
Ich weiß nicht, was ich auf die Frage sage:
Was ist ein intimes Gedicht?
Ist es gereimtes Gerausche der Birken,
Frauenschultern im Abendlicht?
Doch als ich in Finnland über Faschisten
Verse schrieb, Nacht war es noch,
mein Gesicht heiß, meine Lippen trocken,
nicht zu schreiben hätt ich nicht vermocht.
Ich schrieb, wach bis zum Morgengrauen,
bekritzelte Papier, randvoll der Tisch,
das war – ein direkter sozialer Auftrag
und wurde ein intimes Gedicht.
Verzeiht mir, helle Wolken und Brücken,
Baumwälder und Flüsse, verzeiht,
Blumen, verzeiht, und verzeih mir, du,
daß ich über euch selten schreib.
Doch immer – kaum daß ich zu schreiben beginne
leise-leise und sanft-sanft,
da ruft mich aufs neue dieses Etwas,
dies soldatische Etwas in den großen Kampf.
Und wenn ich mich auch als Künstler aufgeb:
des Kampfs Frontlinie, wutumzischt,
wo die Lügen zerfallen in reinigender Schlacht –
das ist mein intimes Gedicht!
Ich hasse es, wenn ihr lügt und lobhudelt,
den Leninismus mit Phrasen entehrt.
Lenin – das ist mein intimster Freund,
ihn zu beleidigen wird euch verwehrt.
Wenn wir den Kommunismus aufbaun wollen,
brauchen wir nicht Schwätzer im Tribünenlicht.
Kommunismus ist für mich das höchst Intime,
und über das Intime schwatzt man nicht.
Erstmals wahrgenommen habe ich Jewtuschenko 1961 während der heftigen Diskussionen in der Sowjetunion über sein Gedicht „Babi Jar“. 1962 erschien die erste Auswahl seiner Gedichte in der DDR: „Mit mir ist folgendes geschehen“.
Von der Kiewer Schlucht „Babi Jar“ und dem Massaker dort erfuhr ich erstmals durch Jewtuschenko. Während einer Touristenreise nach Kiew 1962 oder 63 erlebte ich, dass die Dolmetscherin auf Nachfrage Babi Jar beiläufig erwähnte. Über das Massaker von Babi Jar, das heute vor 75 Jahren von der SS, der Deutschen Wehrmacht und weiteren faschistischen Kräften verübt wurde, gibt es einen informativen Artikel bei Wikipedia.
Eine Übersetzung des Gedichts von Paul Celan (die aber die gegen den russischen Antisemitismus gerichteten Passagen nicht enthält) ist hier zu finden.