Zeitgemäßes gesellschaftliches Denken ist komplex und dialogisch – so wie die Montagsmahnwachen – mit Update 26. 5. zu Peter Strutynskis Artikel in der „jungen Welt“ – und noch ein Update

Vor x Monaten hatte Opa Einzelkämpfer das Buch von Uwe Krüger „Meinungsmacht“ in die Hände gekriegt. Damals war Mollathskandal und Opa etwas genervt von der grell und einseitig angestrahlten Juristen-Vorderbühne. Und so erlaubte er sich im Oktober 2013 eine kleine Netzwerkbetrachtung zu Josef Joffe, „Die Zeit“ (die sogar eine Randbemerkung zu Frau Susanne Klatten enthielt).

Dann ließ ich es mit dem Thema gut sein, besser gesagt, schlecht sein (abgesehen davon, dass ich gern eine Netzwerkanalyse des Mollathskandals gemacht hätte, die aber meine Kräfte überstieg).

Landläufig arbeitet der Intellektuelle isoliert. Unwillkürlich glaubt er, das alles, was mm“über seinen Schreibtisch“ gegangen ist, sich erledigt hat. „Ich hab’s doch aufgeschrieben, jeder kann’s nachlesen, finito.“ Lenin hat immer wieder diese unwillkürliche und (in Grenzen) unvermeidbare Selbstbezogenheit bemängelt. Majakowski sagte bildhaft, die Stimme des Einzelnen sei dünn, „wie der Pfiff einer Maus“. Und tatsächlich: Viele Pfade, Wege, Straßen, Foren, Versammlungen, Kundgebungen usw. muß eine Erkenntnis durchlaufen, bevor sie wirklich in das gesellschaftliche Bewußtsein eingedrungen ist, es im seltenen Fall gänzlich durchdrungen hat.

Die „gemeinen Wahrheiten“, die Uwe Krüger aufgeschrieben hat und die seitdem immer wieder einmal als gelegentliche Blogger-Nadelstiche präsentiert wurden (auch hier), fanden bekanntlich den Weg in ein Forum der besonderen Art, nämlich am 29. 4. 2014 in „Die Anstalt“. Damit war eine Schwelle überschritten, und einige der Herren fühlten sich nun zu Reaktionen genötigt. Das wurde bei Heise getreulich vermerkt und führte in wenigen Tagen zu nicht weniger als 415 Kommentaren (!), hier wurde noch einmal nachgelegt.

Kurz und gut: Die Zeit war reif. „Die Gesellschaft“ zu sagen, geht vielleicht zu weit, aber zweifellos trifft zu, dass sehr viele aufgeweckte Leute, die gerade jetzt Monate wüster und unverhohlener Indoktrinierung über sich ergehen lassen mußten, die Erkenntnisse brauchen, die bereitliegen. Der Regen war bereit zu fallen und der Boden war bereit, ihn aufzunehmen.

Ganz ähnlich erlebe ich die Situation wöchentlich auf den Montagsmahnwachen. Außerhalb gewohnter Bahnen bewegen sich Informationen zwischen den Menschen, und zugleich sind die Menschen begierig, sich mit Informationen, auch „unüblichen“, auseinanderzusetzen. Das ist ein breiter Fluss, der auch trübe Bestandteile mit sich führt. Vieles passiert doppelt und dreifach, Informationen behindern sich gegenseitig, manchmal macht sich Abstruses breit. Doch ich glaube, dass das Äußerlichkeiten sind. Das Beständige, Innere, das sich auszuprägen scheint, ist ein Prozess komplexer Informationsverarbeitung zu Kernfragen, Grundfragen, Lebensfragen der Menschen durch die eigene Initiative der Menschen. Sie sind spontan und Viele durchaus aufmüpfig in den direkten wechselseitigen Austausch gegangen. Für die modernen Götterorakel, „Massenmedien“ genannt, diese „Medien“ die statt Mittler zwischen den Menschen und der Welt zu sein, in Wahrheit eher Irrgartenspiegel sind, für die wird der Platz plötzlich knapp. Da geschieht, allem Anschein nach, etwas Enormes.

Gewiß, es sind bis jetzt erst wenige Tausend (aber doch vielleicht insgesamt schon eine fünfstellige Zahl) aber sie treffen sich Woche für Woche. Und welcher massiven, ja wüsten Angriffe mußten sie sich erwehren! Und sie stützen sich ganz bewußt auf die neuen Medien! Die FB-Seite von Lars Mährholz verfolge ich in dem mir zeitlich möglichen Maße. Morgen werde ich zum sechsten Mal an der Mahnwache in Berlin teilnehmen. Ich habe dabei immer neben sehr schönen auch zwiespältige Gefühle erlebt. Doch mein Optimismus nimmt zu.

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Update 26. 5. zu Peter Strutynski „Selbst aktiv werden“ in: „junge Welt“ vom 26. 5. 2014.

1. Strutynski eröffnet seinen Artikel mit einem, wie er wohl meint, „Paukenschlag“: Die Montagsmahnwachen seien eine von der NPD ins Leben gerufene „Friedensbewegung 2014“. Er verzichtet auf jeden Beweis für diese weitgehende Einschätzung. Damit erklärt er auch alle politisch erfahrenen und gebildeten Untestützer der Mahnwachen, die es neben Neulingen dort zu tausenden gibt, zu politischen Geisterfahrern und plötzlich dem Einfluss der NPD Erlegenen.

2. Peter Strutynski kreidet den Montagsmahnwachen (MMW) an, sich dem Links-rechts-Schema entziehen und sich irgendwo in der Mitte aufhalten zu wollen. Damit würden sie im Grunde dem antimarxistischen Diskurs entsprechen und letztlich auf eine völkische Antipartei zusteuern.

Ich bekenne mich als Linker zu den MMW und bedauere es natürlich, dass die Mahnwachen wesentliche linke Werte nicht vertreten. Doch es geht nicht um Wunschdenken. Die MMW sind tatsächlich eine bürgerliche/kleinbürgerliche Friedensinitiative. KritikerInnen, die jetzt „entlarven“, dass die Nazis kleinbürgerliche Kräfte integrierten und die MMW daher verkappte und zumindest künftige Neonazis seien, von denen man sich fernhalten müsse, beweisen in einem: Kleingläubigkeit und Überlegenheitsgetue.

3. Strutynski bemäkelt, dass die Leute der MMW verstärkt die sog. sozialen Medien benutzen und stellt richtig fest, dass damit noch keineswegs Fortschrittlichkeit garantiert sei. Schön und gut. Ich finde aber, die Traditionslinke, die die neuen Medien oft noch auf Steinzeitniveau benutzt, dürfte in dieser Frage mit Kritik etwas zurückhaltender sein und sollte sich lieber selbst „auf den Hosenboden setzen“.

4. Strutynski verlangt bei inhaltlichen Positionen sehr genau hinzusehen „bevor man irgend jemandem auf den Leim geht“. Sein genauer Blick fördert zutage, dass die MMW das Ukraine-Thema „zunächst“ ähnlich wie die Friedensbewgung „intonieren“. Ob der langjährig friedensbewegte Funktionär die implizite Arroganz seiner Ausdrucksweise überhaupt bemerkt? Er argumentationsschwurbelt dahin, dass die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Menschen der Krim „die europäischen Nachkriegsgrenzen in Frage stellen“ läβt.  Von den MMW? Fehlanzeige. Von Alt- und Neonazis? Ja, aber was haben die MMW mit nazistischen Grenzrevisionen zu tun? Strutynski bleibt die Antwort schuldig.

5. Logische Unsauberkeit bei der weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung. Bei den Montagsdemonstrationen spiele das Völkerrecht eine völlig untergeordnete Rolle. Belege? Braucht dieser Kritiker nicht.

Keine „Ächtung des Krieges schlechthin“, denn dann „würde man sich selbst jede Option auf den Einsatz von Gewalt … streitig machen“. Das ist die Position der Rechten, weiß Peter Strutynski, aber diese Position den MMW in den Mund zu legen, kann ich nur als erschreckende (Spiegel TV gemäße) Verleumdung bezeichnen.

6. Strutynski möchte sich den Bestrebungen, mit den neuen Milieus der MMW ins Gespräch zu kommen, „audrücklich nicht anschlieβen“. Warum? Weil – ich sage es mit meinen Worten – weil die MMW der lahmenden Traditionsfriedensbewegung Konkurrenz gemacht haben und einfach auf die Strasse gegangen sind. Dabei haben sie doch tatsächlich versäumt, vorher (O-Ton Strutynski) „bei der Friedensbewegung anzuklopfen“. Wo lebt der Mann?

Hätten sie sich nur rechtzeitg im Vorzimmer vom Friedensratschlag angemeldet, wäre alles gut gewesen.

7. Ich habe mich nur mit dem vorliegenden Text von Strutynski beschäftigt. Sein beiläufiges Lob der „zahlreiche(n) guten Erklärungen“ der Friedensbewegung zur Ukraine wäre ein andermal zu hinterfragen. Mir sind durchaus schwache, verspätete, unpräzise Stellungnahmen der Friedensbewegung in Erinnerung. Selbstkritik überflüssig?

8. Strutynski beendet seinen Beitrag mit einem Aufruf zu mehr Aktivität der von ihm repräsentierten Friedensbewegung. Wie lobenswert. Zugleich erklärt er diese Friedensbewegung zur authentischen und alles andere sei ein „im Trüben fischen“.

Ich äuβere nicht, was ich angesichts dieses Abschlussverdikts empfinde. Dass die MMW viel zu Lernen haben, ist hier im Blog oft festgestellt worden. Dass Traditionslinke, Traditionsfortschrittliche ungeheuer viel Nachzuholen haben, scheint mir deutlicher denn je. Einfach krass.

Oder optimistisch gewendet: Vielleicht erleben wir gerade, dass das beinerne Gehäuse, in dem die Linke gefangen ist, zerbricht.

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Und noch ein Update 26.5.

Soeben auf der FB-Seite von Lars Mährholz gefunden:

Der „intelligente“ deutsche Rüstungsexport hält besonders leichte Gewehre bereit – besonders gut geeignet für Kindersoldaten. Ob sich die vielfache Mutter v. d. Leyen persönlich für diese Art von „humanistischem Rüstungsexport“ eingesetzt hat, ist nicht bekannt.

Interessant dazu das Gespräch von KenFM mit Jürgen Grässlin im Mai 2013 (Schwarzbuch Waffenhandel).

 

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13 Antworten zu Zeitgemäßes gesellschaftliches Denken ist komplex und dialogisch – so wie die Montagsmahnwachen – mit Update 26. 5. zu Peter Strutynskis Artikel in der „jungen Welt“ – und noch ein Update

  1. Wolfgang Stauch schreibt:

    Was ist von dem Beitrag zu halten, den der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in der heutigen Online-Jungen Welt schreibt? Ich bin etwas verwirrt.

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  2. Angela schreibt:

    @Dian. Hab´ das vom Bundesfriedenssprecher gelesen. Opas Kritik oben halte ich für gut und richtig.

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  3. Dietmar Nisch schreibt:

    @Wolfgang Strauch: natürlich ist es „verwirrend“, wenn man etwas liest – hört – oder erfährt inbezug „Friedensratschlag“ oder „Junge Welt“. @Dian weiß es schon besser: „lesen und eigene Meinung bilden“! Und @Opakranich noch besser. Also zunächst die Älteren befragen wollen. So erinnere ich mich gerne zurück, so zum Ende der 1960er Jahre. Als damals in West-Deutschland eine Partei mit dem Namen „DFU“ („Deutsche-Friedens-Union“) sich etablieren wollte, konterte der dam. Bürgermeister in Hamburg (Nevermann) öffentlich zurück: „Die Freunde Ulbricht!“. Und mit „FDP“ (Freie-Demokratische-Partei“) auch so eine Sache. Dann ersann sie sich „zu punkten“: „F.D.P.“. Seitdem wurde diese genannt mit „Fast-Drei-Prozent“.

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    • Joachim Bode schreibt:

      Die DFU wurde schon Dezember 1960 gegründet mit den Zielen Abrüstung, Wiedervereinigung und Blockauflösung. Mit diesen Zielen war die Partei damals äußerst verpönt, und die SPD sah sich davon so sehr provoziert, dass sie das Verbot der DFU forderte. Letztlich haben sich die Ziele der DFU z.T. eingestellt, was die SPD dann für sich verbuchte.

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  4. Wolfgang Stauch schreibt:

    Danke zur Analyse.
    Nachtrag zum Update: Und er motzt gegen KenFM, dessen Beiträge ich lese und mag.

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    • kranich05 schreibt:

      Danke kann ich zu diesem Link nicht sagen. Wer zu viel Zeit hat mag sich das dort „dokumentierte“ typische „Linksaktivistengezänk“ antun. (Und wen meine Privatmeinung interessiert: Dort mischen ein paar hochqualifizierte Idioten mit.) Wer seine Zeit sinnvoller verbringen will, sollte, soweit möglich, die Berliner Mahnwache selbst besuchen. Ich war heute wieder dort, und es war wieder gut, und ich habe zudem einige berührende Szenen erlebt.

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      • Albert A. schreibt:

        Es ist nur ein Detail – aber passt zum zeitgemäßen gesellschaftlichen Denken, das komplex und dialogisch ausgerichtet ist. Gibt es für die Montagsdemo-Mahnwachen Urheberrechte? Ich muss auf die Videodokumentation warten…

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  5. walterfriedmann schreibt:

    Hat dies auf Walter Friedmann rebloggt und kommentierte:
    Montagsdemos

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  6. Lutz Lippke schreibt:

    „Etwas abseits stehen die Verschwörungstheoretiker und Montagsdemonstranten – sie sind grundsätzlich antiwestlich gestimmt und nutzten den Ukraine-Konflikt lediglich als Aufhänger. Doch der Reihe nach.“ so Nik Afanasjew am 27.5. auf Zeit-Online
    http://www.zeit.de/politik/2014-05/deutsche-medien-internet-trolle-bots-pro-russland/komplettansicht
    Titel: Copy & Paste fürs russische Vaterland
    Thema: Im Kampf um die öffentliche Meinung nimmt der Kreml auch Einfluss auf Internetkommentare, teils automatisiert, teils bezahlt. Doch nicht alle Wege führen nach Moskau.

    Der Artikel ist sicher kein Beleg für die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Kleiner Trost für die „Montagsmaler“: Die hält Afanasjew nicht für gesteuert und bezahlt.
    Sie seien „nur“ antiwestlich. Wofür antiwestlich stehen soll, bleibt offen. Es ist aber auch schwierig mit links,rechts,östlich, westlich. Selbst für so eine Professoren-Postille. Ist nun links östlich, rechts westlich oder umgekehrt oder sind es gar 4 verschiedene Horizonte? Wie soll man sich denn einnorden, wenn man von südländischen Charmeuren mit rechtem Populismus zu Sozialmissbrauch der Einwanderer gelinkst wird?
    So erklärt Zeit-Chef di Lorenzo das „Westliche“ in der Zeit 08/2010 „Eine kluge Regierungspolitik achtet darauf, die Interessen jener kleiner werdenden Schicht zu wahren, die für alle Sozialausgaben aufkommen muss; schon heute lebt in einer Großstadt wie Berlin die Mehrheit der Bevölkerung von Transferleistungen.“
    Ob Doppelwähler di Lorenzo und seine Schreiberlinge in einer Redaktionskonferenz mal die „Zeit“ hätten, für uns die Welt neu zu sortieren und klare Ansagen zu den Himmelsrichtungen und geistigen Horizonten der „kleiner werdenden Schicht“ zu machen?

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