Vom Rechtsstaat und vom Kreisen (4)

* Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein *

Seit ich mich hier im opablog für Gustl Mollath engagiere, bekomme ich viel mehr Kommentare als früher. Diese Kommentare und auch manche, die ich auf anderen Webseiten finde, lehren mich Vieles. Besonders eine Erscheinung habe ich so massiv nicht erwartet: Die äußerst entschiedene, in der Form oft derbe bis unflätige, Ablehnung des herrschenden „Schweinesystems“. Da ich ein radikaler Kritiker des realkapitalistischen Systems bin, wie es hier in der BRD herrscht, konnte mich solche Kritik in der ersten Sekunde freuen. Dann habe ich sie mir näher angesehen: Sie ist grenzenlos feindselig und mit dem Haß auf das dumme Volk, all die Idioten, verbunden, die „dieses Schweinesystem“ erdulden. Wann wird das Volk erwachen? Wann endlich werden alle ihre Guns unterm Bett hervorholen und Revolution machen? Egal ob arm oder reich, ob links oder rechts, „die von hier“, die „einfach Deutsche“ sind, wollen sich nicht mehr schämen müssen und das ganze verlogene, korrupte Pack der Politiker und das Geldsystem zum Teufel schicken.

Es ist, fast in Reinkultur, das, was aus der Geschichte als die „revolutionäre Gesinnung der Bewegung“ bekannt ist, die „Revolution der SA-Männer“, das populäre Feigenblatt des Hitler-Faschismus.

Viele dieser „Revolutionäre“, nachdem ich ihnen die Kommentarmöglichkeit gesperrt habe, reagieren mit unflätigen Beschimpfungen und Drohungen. Aber nicht alle. Es gibt auch diejenigen, die weiter zäh ihren Aufklärer- und Anklägermodus in den Vordergrund stellen und ihre Anschlußfähigkeit oder gleich Kooperation mit der rechten Betrügern im Undeutlichen lassen. In diesem Zusammenhang begrüße ich es ausdrücklich, daß der Mollath-Unterstützerkreis seine Distanz zu manchen Äußerungen des Rudolf Heindl erklärt hat.

Charakteristisch für diese heutige faschismuskompatible Kritik ist ihre leere Negativität. Sie kennt nichts Demokratisches, das bewahrenswert wäre. Und vor allem: Sie haßt den Menschen und verkleinert ihn zur Null. Meine Negation des Systems ist eine in sich positive, eine die auf die Möglichkeit der Menschen baut, sich gemeinsam aus dem Elend herauszuarbeiten. Wie lang der Weg auch sein mag.

Wie gesagt, die Faschisten spielten schon damals virtuos auf diesem Instrument. Aber sie haben auch schon damals ihre Antwort bekommen; von zu wenigen gehört.

Das Lied vom SA-Mann.

Text: Bertolt Brecht; Musik: Hanns Eisler; Gesang: Ernst Busch.

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10 Antworten zu Vom Rechtsstaat und vom Kreisen (4)

  1. F. Fischer schreibt:

    Sehr geehrter Opa,
    danke für diese treffende Stellungnahme.

    Ich glaube es liegt allgemein in der Natur der Sache, dass die Personen, welche eine radikale Systemänderung erzwingen (wollen), auch diejenigen sind, welche moderater Denkende zu den potentiellen „Feinden“ zählen.

    Wenn man möchte, könnte man sogar die Wiedervereinigung dazu zählen, wenn man die grundsätzlichen Veränderungsbemühungen der friedlich protestierenden Bürger der DDR 1989 mit den „Radikalen“ West-Deutschlands vergleicht, die die Wiedervereingung so schnell wie möglich vorantrieben.
    Soweit ich die Geschichte verstehe, stand der Bürger in der DDR für Menschenrechte, Bewegungsfreiheit und freie, gerechte Wahlen auf, nicht, um das West-Deutsche System zu fordern.
    Auch seit diesem „radikalen Umbruch“ werden alle moderater-denkende Relikte aus dieser Zeit (PDS bzw. Die Linke) gerne als „verfassungsfeindlich“ tituliert und vom Verfassungsschutz beobachtet.

    Vergessen wird, dass nicht das zugrundeliegende Staatssystem für Ungerechtigkeit verantwortlich ist, sondern die Menschen, die das System führen und tragen.

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    • Deali schreibt:

      @F. Fischer
      „Wenn man möchte, könnte man sogar die Wiedervereinigung dazu zählen, wenn man die grundsätzlichen Veränderungsbemühungen der friedlich protestierenden Bürger der DDR 1989 mit den “Radikalen” West-Deutschlands vergleicht, die die Wiedervereingung so schnell wie möglich vorantrieben.
      Soweit ich die Geschichte verstehe, stand der Bürger in der DDR für Menschenrechte, Bewegungsfreiheit und freie, gerechte Wahlen auf, nicht, um das West-Deutsche System zu fordern.“
      Die Bürger der DDR haben für den Wechselkurs 1:1 ihre Seelen verkauft. Bei der Volkskammerwahl 1990 bekam die CDU 40,8% der Stimmen.
      Der Dicke lehnte zur gemeinsamen Bundestagswahl im Dezember 1990 Steuererhöhungen ab, Lafontaine nannte diese unausweichlich. Wir haben heute immer noch den Solidaritätszuschlag. Aber die Schwarzen können besser mit Geld umgehen. Das sieht man wieder ganz klar im Fall Mollath, Geldtransfer vorbei am Fiskus in die Schweiz. Oder das Schicksal der Steuerfahnder in Hessen. Und die Politik versucht alles zu Deckeln.
      MfG

      Deali

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    • Breitenbach schreibt:

      Nur zur Er­gän­zung: Noch vor der fälsch­lich als »Wie­der­ver­ei­ni­gung« be­zeich­ne­ten An­ne­xion der DDR, als die De­mon­strie­ren­den noch »Wir sind  d a s  Volk!« skandierten, tauch­ten, so­weit ich weiß, in der Men­ge und auf den um­lie­gen­den Bal­ko­nen plötz­lich dut­zen­de mit west­deut­schen Flag­gen und Me­ga­phonen aus­ge­stat­te­te (wo­her hat­ten sie die?) De­mon­stran­ten mit der Lo­sung »Wir sind  e i n  Volk!« auf.

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      • Breitenbach schreibt:

        Noch­mals zur Wie­der­ver­ei­ni­gung …

        Ab­stra­hie­ren wir zu­nächst von der Fra­ge, in­wie­fern vor 1945 tat­säch­lich ei­ne »ei­ni­ge« deut­sche Na­tion be­stand, die hät­te »wie­der­ver­ei­nigt« wer­den kön­nen – denn wo­zu brauch­te dann nicht erst »der Füh­rer« KZ, son­dern schon ein Bis­marck »So­zia­li­sten­ge­set­ze«? Denn die Fra­ge der Klas­sen­ge­gen­sät­ze ig­no­rier­te der von den west­li­chen Al­li­ier­ten mit der Aus­ar­bei­tung ei­ner west­deut­schen Ver­fas­sung be­auf­trag­te ›Par­la­men­ta­ri­sche Rat‹ be­fehls­ge­mäß – ob­wohl ge­ra­de sie es wa­ren, die sich in der deut­schen Tei­lung nie­der­schlu­gen. Ob­wohl Ade­nau­er – nach der De­vi­se: »Op­fe­re ei­nen Teil, um das Gan­ze zu be­hal­ten« – kurz da­rauf die an­ge­bo­te­ne »Wie­der­ver­ei­ni­gung« aus­schlug (Stich­wort: Sta­lin-No­te), rech­ne­ten die »Vä­ter des Grund­ge­set­zes« an­geb­lich mit ih­rer kurz­fri­sti­gen Um­set­zung. Wie dem auch sei; je­den­falls be­trach­te­ten sie das Grund­ge­setz bis zum Ein­tritt die­ses Er­eig­nis­ses nur als vor­läu­fi­ge west­deut­sche, kei­nes­falls je­doch als end­gül­tige Ver­si­on ei­ner ge­samt­deut­schen Ver­fas­sung.

        Aus die­sem Grund schrie­ben sie in den Ar­ti­kel 146 al­ter Fas­sung Grund­ge­setz vom 24. Mai 1949 fol­gen­den Wort­laut: »Die­ses Grund­ge­setz ver­liert sei­ne Gül­tig­keit an dem Ta­ge, an dem ei­ne Ver­fas­sung in Kraft tritt, die von dem deut­schen Vol­ke in frei­er Ent­schei­dung be­schlos­sen wor­den ist.« Ob­wohl die »Wie­der­ver­ei­ni­gung« von Po­li­ti­kern im­mer wie­der voll­mun­dig be­schwo­ren wur­de, rech­ne­te je­doch nie­mand ernst­haft da­mit – Be­weis: der be­tref­fen­de Ar­ti­kel blieb bis zur an­geb­li­chen »Wie­der­ver­ei­ni­gung« un­ver­än­dert im Grund­gesetz ste­hen. Las­sen wir da­hin­ge­stellt, ob mit dem Pas­sus »von dem deut­schen Vol­ke in frei­er Ent­schei­dung be­schlos­sen« ein Volks­ent­scheid bzw. ei­ne Volks­ab­stim­mung ge­meint war.

        Nun wur­de die an­geb­li­che »Wie­der­ver­ei­ni­gung« zwar nach einem an­de­ren Ar­ti­kel (Art. 23 GG) voll­zo­gen. Wo­rin be­stand dann aber das Mo­tiv, am 29. September 1990 just den Wort­laut be­sag­ten Ar­ti­kels 146 zu än­dern? Er lautet nun: »Die­ses Grund­ge­setz, das nach Voll­en­dung der Ein­heit und Frei­heit Deutsch­lands für das ge­sam­te deut­sche Volk gilt, ver­liert sei­ne Gül­tig­keit an dem Ta­ge, an dem ei­ne Ver­fas­sung in Kraft tritt, die von dem deut­schen Vol­ke in frei­er Ent­schei­dung be­schlos­sen wor­den ist.« Da­mit soll­te aus­ge­schlos­sen wer­den, daß sich spä­ter je­mand auf den Wort­laut des Ar­ti­kels al­ter Fas­sung be­ru­fen kann (bei­de Fas­sun­gen zum nach­ma­li­gen Ab­gleich un­ter: http://lexetius.com/GG/146).

        Dies än­dert frei­lich nichts da­ran, daß der be­tref­fen­de Ar­ti­kel erst  n a c h  Ein­tritt der ver­bind­lich da­rin ge­re­gel­ten Even­tua­li­tät ge­än­dert wur­de. Um zum Zeit­punkt des Ein­tritts der­sel­ben un­gül­tig zu sein, hät­te er je­doch schon  v o r­ h e r  ge­än­dert wer­den müs­sen.  D a n n  aber war die Wie­der­ver­ei­ni­gung eben kei­ne, sondern ei­ne ver­fas­sungs­wi­dri­ge An­nexion. Das heißt, es gibt bis heu­te kein »wie­der­ver­ei­nig­tes«, son­dern nur Groß­west­deutsch­land.

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  2. annie b. schreibt:

    Erinnert sei auch an den Schlüsselroman von Joseph Roth: Das Spinnennetz (1923). Auch Joseph Roth hat künstlerisch gestaltet, was ein jeder hätte wahrnehmen können. Ob er ein „Visionär“ ist, wie oft gesagt wurde, sei einmal dahingestellt. Der Text ist leider in Vergessenheit geraten, daran hat auch die Verfilmung (1989, Regie: Bernhard Wicki) nicht viel geändert.

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  3. BB7 schreibt:

    Tja lieber ‚Opa‘ – da haben wir das Problem! – den realexistierenden BRD-(Banken)-Kapitalismus, in dem sich seine Nutznießer genüsslich Einrichten auf der einen Seite, — und die Revolutionäre, die gleich die Menschenrechte mit über Bord werfen auf der anderen Seite.

    Dazwischen läge absehbar eine lebenswerte humanistische Welt. Unser Grundgesetzt bietet meiner Meinung nach beste Voraussetzungen eine humanistische Gesellschaft zu Verwirklichen, — wenn es denn für ALLE gelten würde.
    Wir nehmen zur Kenntnis, dass das Kapital sich der Meinung(smacher) bedient hat. Bolgs wie dieser schauen den Meinungsverbreitern aber auf die ‚Finger‘. Im ‚GabrieleWolfBlog‘ wird gerade angeregt, die jeweils persönlich abonnierten Medien zu fragen, warum sie nicht über die Affäre Mollath berichten? Ein anregender Gedanke finde ich.

    Aber wie war das doch mit den Problemen? — für den Pessimisten ist jede Chance ein Problem und für den Optimisten ist jedes Problem eine Chance.
    So bleibe ich trotz allem gerne weiter Optimist!

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    • kranich05 schreibt:

      „die jeweils persönlich abonnierten Medien zu fragen“
      ohne das im Gabriele-Wolff-Blog gelesenen zu haben, habe ich das vor paar Tagen gerade gemacht 🙂

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      • F. Fischer schreibt:

        Nicht nur die Medien.
        Die Medien sind (außer der SZ in diesem Fall) nur Parasiten mit Eigeninteressen. Von denen weiß jeder über diesen Fall von Herrn Mollath bescheid, und es hat sich keiner geregt. Ich hoffe, dass die Medien das Thema breiter aufgreifen werden, aber ich glaube auch, dass die mehr „Futter“ brauchen.

        Was mir gestern aufgefallen ist: Als die SZ schon Tage mit den bristanten Dokumenten der Steuerfahndung online war, berichtete niemand. Als aber die Opposition in Bayern eine kleine Pressemeldung dazu brachte, war Die Welt, t-online, BR, heise etc. dabei.
        Ich vermute, die Nicht-SZ-Presse möchte sich an den Untiefen und der Komplexität der Ungerechtigkeiten und Spitzfindigkeiten im juristischen und medizinischen Bereich nicht die Finger verbrennen, und der Leser ist dazu wohl auch zu faul.
        Wenn aber die Opposition schreit „Lüge!“, dann ist man wieder auf sicherem politischem Terrain.

        Dummerweise war die Pressemeldung der Opposition (Grüne) unglaublich schwach. Es wurde neben Jüptner (dessen Lüge bewiesen scheint) pauschal Nerlich als Lügner und Mollath-Gegner dargestellt. Aber ohne jede handfeste Begründung oder Beweise, nur Indizien (Nerlich hatte schon mit dem Fall zu tun, ist tendenziös etc).
        Natürlich hat das die CSU dankbar aufgegriffen und genau das gegenüber der Presse herausgestellt: Alles Verleumdung! Keine Beweise, keine plausiblen Begründungen!
        Nebenbei finden sich in der kleinen Pressemeldung Fehler wie, dass die „Freien Wähler“ als „Friese Wähler“ falsch-geschrieben wurden. Nur ein kleines Beispiel für Unprofessionalität im Umgang mit den Medien.
        http://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/innere-sicherheit-recht-und-justiz/justiz/fall-mollath-muss-generalstaatsanwalt-nerlich-entzo?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

        Deshalb habe ich den Grünen eine lange Mail mit Kritik gegenüber deren Oppositionsarbeit und Medienkompetenz geschickt.

        Ich habe auch Frau Fick von der Bayerischen Ärztekammer eine Mail geschickt, um zu fragen, was aus der geplanten Überprüfung auf „Gefälligkeitsgutachten“ geworden ist und wie der Stand ist.

        Klicke, um auf 2012-10-29-Brief-Dr.-Fick-an-Dr.-Merk.pdf zuzugreifen

        Auch mit der Bundestagsfraktion der „Die Linke“ bin ich im Kontakt, da ich auf diese Fraktion durch deren Protest gegen das Zwangsbehandlungs-Gesetz aufmerksam geworden bin (und Gregor Gysi, der die Petition für Gustl Mollath unterschrieben hatte).

        Ich denke, es ist auch ein guter Ansatz, wenn man die politischen Oppositionen auf Landes- und Bundesebene versucht zu aktivieren und Personen oder Institute anschreibt, die etwas Einfluss und eine Stimme haben.

        Die Presse wird dann auch folgen, wenn aus diesen Richtungen was kommt.

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  4. Breitenbach schreibt:

    Ei­ne we­gen ih­res Spon­so­ring durch ei­nen gewis­sen Kon­zern in die »Kri­tik« ge­ra­te­ne sog. »Wut­bür­ger«-Stu­die des Göt­tin­ger In­sti­tuts für De­mo­kra­tie­for­schung (»De­mo­kra­tie­for­schung«, na ja; gibt’s De­mo­kra­tie denn wirk­lich? – doch regt sich sonst je­mand in ähn­lich schrof­fer Weise über Dritt­mit­tel­for­schung an Uni­ver­si­tä­ten auf?) – »Wut­bür­ger«: ein Kunst­wort, 2010 zum »Wort des Jah­res« ge­kürt – ent­hält in de­skrip­ti­ver Hin­sicht mit Si­cher­heit ei­nen wah­ren Kern, den ich mich be­reits an an­de­rer Stel­le in ei­nem Kom­men­tar he­raus­zu­schälen be­müh­te.

    Er­stens ist ei­ne zwei­fel­los be­rech­tig­te, zu­neh­mend von Un­ge­duld ge­präg­te Wut des Bür­gers un­ver­kenn­bar vor­han­den, wel­cher man­gels adä­qua­ter po­li­ti­scher Ver­tre­tung sub­jek­tiv ein Ohn­machts­ge­fühl kor­res­pon­diert. Zwei­tens tritt sie tat­säch­lich eher in fi­nan­zi­ell ab­ge­fe­der­ten und »sa­tu­rier­ten«, ge­ho­be­ne­ren und res­pek­ta­blen Ge­sell­schafts­krei­sen auf (vor­wie­gend Rent­ner oder, häu­fi­ger noch, Pen­sio­nä­re; aber auch vie­le Ärz­te, Apo­the­ker, Kran­ken­pfle­ger, Staats­die­ner und mit­tel­stän­di­sche »Un­ter­neh­mer« sind da­run­ter – viel häu­fi­ger als et­wa noch in den 60er Jah­ren auch selb­stän­di­ge Frau­en) – wie und wo sonst soll­te dies auch mög­lich sein? (Bei HartzIV-Op­fern si­cher­lich am al­ler­we­nig­sten.) In­so­fern ent­spricht das Er­geb­nis der Stu­die sehr wohl in Ge­sprä­chen zu sam­meln­der Er­fah­rung. Doch kann man sich des Ein­drucks nicht er­weh­ren, daß mehr und Häß­li­che­res hin­ter dem Wort »Wut­bür­ger« steckt.

    Be­reits in der bür­ger­li­chen Re­vo­lu­tion Frank­reichs hat­ten die In­te­res­sen­ver­tre­ter des Groß­bür­ger­tums, die Gi­ron­di­sten, die­je­ni­gen der Be­sitz­lo­sen un­ter Füh­rung von Jac­ques Roux als 
    »Wü­ten­de« (en­ra­gés) he­rab­ge­wür­digt, wel­che sich ge­gen die »Ari­sto­kra­tie des Reich­tums« wand­ten. Nach Ver­trei­bung der Gi­ron­di­sten aus dem Kon­vent und zu diesem Zweck
    zeit­weilig mit den­jenigen des Klein­bür­ger­tums, den Ja­ko­bi­nern, ein­ge­gan­ge­nem Bünd­nis 
    wur­den sie noch un­ter de­ren noch im sel­ben Jahr ge­stürz­ten Dik­ta­tur 1794 von die­sen li­qui­diert.

    Die Ver­knüp­fung ei­ner der ei­ge­nen an­ta­go­ni­stisch ent­ge­gen­ge­setz­ten so­zia­len In­te­res­sen­la­ge mit ei­nem an­laß­ge­bun­de­nen, über den kon­kre­ten An­laß je­doch nicht im Sin­ne der Re­fle­xion hin­aus­rei­chen­den Af­fekt (Rage bzw. Wut) soll­te da­ma­li­gen im Un­ter­schied zu heu­ti­gen stär­ker an Ver­nunft­ge­brauch ge­wöhn­ten Zeit­ge­nos­sen sig­na­li­sie­ren, daß es sich bei ihrem An­lie­gen nicht um ein zweck­ra­tio­na­les han­de­le. Er­in­nert sei an die­ser Stel­le auch an ge­wis­se »Ei­fe­rer«, die im NT nicht ge­ra­de gut weg­kom­men. Je­ner Kampf­be­griff dien­te al­so der Dif­fa­mie­rung des po­li­ti­schen Geg­ners. Dies dürf­te auch der Te­nor des be­spro­che­nen Kunst­wor­tes 
    »Wut­bür­ger« sein, das trotz auf­merk­sam­keits­hei­schen­den Pres­se­rum­mels (von der ein­zig
    be­kannt ge­wor­de­nen Aus­nah­me der Wäh­ler­ver­ei­ni­gung ›Bür­ger in Wut‹ ab­ge­se­hen) noch  im­mer sei­nes Ein­zugs in die Um­gangs­spra­che harrt.

    Laut ›Wi­ki­pe­dia‹ wur­de der ab­schät­zig ge­meinte Eu­phe­mis­mus »en­ra­gés« dann im Mai 1968 von den An­hän­gern ei­nes Cohn-Bendit durch­aus ei­gen­stän­dig als Selbst­be­zeich­nung wie­der­ver­wen­det und steht seit­her »im ge­ne­ri­schen Sinn« (ib.) sy­no­nym für »Ex­tre­mi­sten«, was den
    Auf­stieg in den Staats­dienst nicht in je­dem Fall ver­hin­dert hat, in je­dem Fall aber nichts zu ei­ner Ent­wick­lung kol­lek­tiv-ver­nünf­ti­gen Han­delns bei­trug. Die Be­zeich­nung »Wut­bür­ger« hat al­so ei­ne dop­pel­te hi­sto­ri­sche Wur­zel. 
    Wut gibt es, wie ge­sagt, wirk­lich. Wie steht es je­doch mit deren Verknüpfung mit dem »Bür­ger«?
    Die­ser Wort­teil im­pli­ziert im­mer­hin die Wahl­be­rech­ti­gung. Doch selbst bei »Stutt­gart 21«-Geg­nern ver­ließ das Wahl­ver­hal­ten nie die von der Pres­se vor­ge­stanz­ten Ge­lei­se, der Pro­test ver­ebb­te auf der emo­tio­na­len Schie­ne, die oh­ne den Drang zu po­li­ti­scher Selbst­or­ga­ni­sa­tion zu prak­ti­scher Fol­gen­lo­sig­keit ver­dammt bleibt. An­ders ge­sagt: Die Wut über die po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit ruft of­fen­bar kei­ne sub­stan­ziel­le Än­de­rung im Wäh­ler­ver­halt­en her­vor. Be­reits zu Zei­ten der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­tion über­wog der all­ge­mei­ne En­thu­sias­mus (es­prit pub­lic) des­sen nüch­ter­ne und ent­schlos­se­ne Nut­zung bei wei­tem.

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