Vom Rechtsstaat und vom Kreisen (2)

* Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet *

In welcher Situation sich Gustl Mollath seit sieben Jahren, erweitert gezählt seit zehn Jahren, befindet, ist mir ungefähr klar. Den nahe liegenden Begriff „Ausnahmezustand“ habe ich darauf bisher nicht angewandt. Die auf 140 Seiten von Verteidiger Dr. Strate fast ermüdend akribisch aufgedeckte Masse elementarer Rechtsverstöße machte mir jetzt schlagartig bewußt, mit welcher Souveränität Mollaths Situation herbeigeführt wurde. Daß diese Souveränität eine geklaute war, eine unter bewußter Verletzung rechtsstaatlicher Normen angemaßte, die nun in jahrelangem Kampf versucht wird, aufzuheben, ändert zunächst nichts am Sachverhalt. Sachverhalt ist: Eine abgestimmt handelnde Gruppe von Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Richtern, Psychiatern, Steuer- und Polizeibeamten hat, teils aus eigener Motivation, teils motiviert von Hintergrundinteressen, souverän den Ausnahmezustand herbeigeführt (gewiß einen personell eingegrenzten und rechtsstaatlich formell teilweise „eingehegten“, immerhin einen tendenziell unbefristeten und vernichtenden). Mitten in „Friedenszeiten“, mitten unter uns.

Vom Schicksal (Schicksal?) Gustl Mollaths fasziniert und über das gesamte Geschehen recht umfangreich informiert, bleibt mir dennoch genügend Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit, um einen weiteren partiellen Ausnahmezustand zu bemerken. Es ist einer, in dem sich das Publikum befindet, also wir alle. Seit rund zehn Jahren befindet sich die Öffentlichkeit in Bezug auf ein Geschehen von hohem und stetig wachsendem öffentlichen Interesse im Informations-Ausnahmezustand. Wie in einem Internet-Kommentar geschrieben wurde: Der Medienkonsument ist bestens informiert über die Schikanen, denen Ai Weiwei ausgesetzt war oder ist, nicht aber über Gustl Mollath. Auch dieser Ausnahmezustand hat sich nicht einfach „von selbst ergeben“. Auch er hat seinen Souverän. Wieder ist es eine Gruppe langfristig abgestimmt handelnder Menschen. Es sind im Vordergrund ein Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich, Ministerinnen, wie Merk und Haderthauer, sog. Oppositionspolitiker, wie Schindler (SPD), mit größter Wahrscheinlichkeit auch Ministerpräsidenten, wie Stoiber und Beckstein. Daß dazu die Bosse all der Schweigemedien gehören, liegt auf der Hand. Alle diese Funktionsträger kennen seit vielen Jahren den Mollath-Ausnahmezustand oder hätten ihn bei Erfüllung ihrer politischen Pflichten (Eide) kennen müssen und haben ihn aktiv und nachdrücklich bis in die jüngste Vergangenheit gedeckt und fortgesetzt. So wurden sie zum Souverän dieses Informations-Ausnahmezustands = Entmündigung des Bürgers.

Natürlich verläßt den Mollath-Unterstützer der Optimismus nicht, den Mollath-Ausnahmezustand beenden zu können. Der Optimismus, das erlittenen Unrecht sühnen und den entstandenen Schaden möglichst umfassend wieder gut machen zu können, der ist schon viel geringer. Und hat überhaupt jemand die Hoffnung, Politiker und hohe Beamte zur Rechenschaft ziehen zu können, die unseren Informations-Ausnahmezustand zu verantworten haben? „Vielleicht werden sie nicht mehr gewählt.“ Na toll.

In unseren Rechtsstaat, mit dem unsere Machthaber alle Welt beglücken wollen, sind Zellen des Ausnahmezustands eingelassen, wie Löcher in Käse. (Wer jetzt auch an manche kleine Zelle im Polizeigewahrsam denkt, hat keine wahnhafte Störung.) In diesen Zellen ist der Rechtsstaat teils gar nicht, teils in Rudimenten zu finden. Stattdessen herrscht das Diktat, die persönliche Willkür. (Am Horizont taucht der Begriff des „failed states“ auf.) Wohl nur Wenige dürften glauben, die Leute an der Spitze unseres Staates hätten eine Schwierigkeit, gegebenenfalls den Souverän des Ausnahmezustands oder Notstands zu finden. Einige aber zweifeln mehr denn je, daß dieser Souverän sich für das Wohl der Allgemeinheit zerreißen wird.

Das Motto des Beitrags ist, wie sicher Viele wissen, ein Zitat von Carl Schmitt.

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Update 14:44, am 24. 2. 2013:

Dieses Posting hatte kaum das Licht der Welt erblickt, da findet es im jüngsten Verhalten des Generalstaatsanwalts Nerlich eine höchst unangenehme Bestätigung. Das geht aus diesem Artikel der SZ hervor. Daß politisch Verantwortliche ihre „Souveränität“ zu Verschleierung und Irreführung bis an die Grenze der Verleumdung unbeeindruckt weiter demonstrieren, hatte bereits das Verhalten von Innenminister Herrmann gegen Theresa Z. gezeigt als er andeutete, deren Unterbringung in der Klapse habe im Raum gestanden. Nerlich, der befangen ist, tut weiterhin alles (und ist dabei natürlich politisch gedeckt), um die volle Aufklärung des Mollath-Skandals zu hintertreiben.

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Update 4.3.2013:

Die Fraktionen der Grünen und der Freien Wähler im bayrischen Landtag fordern, daß Nerlich wegen Befangenheit die Bearbeitung des Falles Mollath entzogen wird. (Quelle)

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4 Antworten zu Vom Rechtsstaat und vom Kreisen (2)

  1. Bernd Schulz schreibt:

    Durch Zufall bin ich über den Mollath-Fall auf Ihr Opablog gestoßen. Als ehemaliger Journalist und „Opa“ gefällt mir Ihre ironische Art, mit der Sie müden oder korrupten Medien Beine machen (hoffentlich erfolgreich). Ich habe mich immer gewundert, warum kaum einer die naheliegende Frage stellte (gehört zum normalen Handwerkszeug des Journalisten), wem nützt es, daß Mollath verschwindet bzw., wer hat ein Interesse daran (und sei es auch nur hypothetisch).
    Da stößt man sofort auf merkwürdige Verbindungen, die auf politisch-soziale Netzwerke hinweisen. Z.B. ist da ein Herr Maske, einer der Direktoren der „systemrelevanten“ Hypo Real Estate, der mithalf, ein neues Investitionmodell zu kreieren in Verbindung mit dem Seddiner Golfclub, in dem viele betuchte Berliner sind. Dieser Maske (ist der nicht der frühere Chef und spätere Ehemann von Frau Mollath?) taucht dann plötzlich als neuer Manager des skandalgebeutelten Nürnberger Vereins Post SV auf. All das kann man zuhause am Computer rausfinden.
    Bleiben Sie dran!
    Bernd Schulz
    Berlin

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    • kranich05 schreibt:

      Der Hinweis auf den Golfclub Seddin könnte eine Affinität der Maskes zur Edel-Schickeria bestätigen.
      Gruß

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    • Klaus G. Stölzel schreibt:

      Sehr geehrter Herr Schulz,

      ich nehme Ihren Hinweis zum Nürnberger Post SV auf und weise dazu
      auf den Namen Dr. Verena Fili hin, die im Post SV nicht nur Freizeit-
      Tennis spielt.
      Verena Fili ist nebenbei, die „Staatsanwältin“, die die expliziten Steuer-
      strafanzeigen, gegen bekannte Nürnberger und Umgebung, von Gustl
      Mollath nicht weiter verfolgt hat bzw. eingestellt hatte.
      Wie Herr Mollath in seinem Schreiben vom 17. 4. 2008 auf Seite 3/Mitte
      erwähnt, war Frau Fili im Jahre ca. 2003 auch im Leistungskader des
      „Golfclub Reichswald“ in Nürnberg tätig, dazu Mollath, wörtlich:
      …“Dort spielt auch die Mutter meiner früheren Frau, A… F…. und
      deren Mann, G…. F….. .Tennis spielt Frau Dr. Fili im Postsport Verein
      Nürnberg. Dort trifft sie Dr. Woertge, den Anwalt meiner Frau und Busen-
      freund von Martin Maske schon aus 1. FCN Handballzeiten.“…..

      weiter Mollath, wörtlich:

      …“Hätte Frau Dr. Fili ordentlich ermittelt, hätte sie ihre Golfambitionen,
      mindestens vergessen können. Über die Hälfte der Clubmitglieder (
      Golfclub Reichswald) wären „schwer begeistert“ gewesen, allein ob
      der Steuernachzahlungen.“ ….

      Nun entstand im Jahre 2003, aus anderen Gründen heraus, ein „HVB-
      Schutz-Klima“, weil die HVB konkursfällig wurde. Denn wäre die HVB
      bereits 2003 explodiert, wie 2008 die Lehman`s Brother, dann wäre die
      Finanzkrise etwas „smaller“ bereits im Jahre 2003 entstanden.

      Im Jahre 2008 ist dann nicht die HVB explodiert, sondern die HRE im
      Kleinen und just an dem Tag, als genau die 5-jährige Haftungszeit der
      HVB für die HRE, also für ihre BAD BANK-Ausgründung namens HRE,
      ausgelaufen war. Welch ein Zufall ?
      Nicht die HVB haftete nunmehr, sondern der Dt. Steuerzahler wurde
      mit Hilfe von Peer Steinbrück in die Haftung für die HRE genommen.
      Wer hätte im Jahre 2003 die Haftung für die HVB übernommen, bzw.
      wem hätte sie politisch einen schweren Schaden zugefügt, wenn die
      HVB explodiert wäre ?

      insbesondere fanden im Herbst 2003 und 2008 die Bayern Wahl
      zum Landtag statt.

      Dazu sollten Sie wissen, dass es diese Konstellation bereits im
      Jahre 1998 gab. Damals wurde die konkursfällige Bayern Hypo
      mit der gesunden Bay. Vereinsbank unter dem Diktat von Herrn
      Stoiber zwangsfusioniert.

      Also, was ich damit sagen möchte ist, dass das „HVB-Schutz-Klima“,
      dessen Opfer Herr Mollath ist, von Hintergrund-Interessen ge-
      schaffen wurde, ausgelöst durch die persönlichen und privaten Inter-
      essen eines Ex-HVB-HRE Mitarbeiter, namens Herrn Martin Maske
      und Frau Petra Ex-Mollath, nun Maske. D. h., Fam. „Maske“ hat das
      HVB-Schutz-Klima“ für seine privaten Interessen einfach ausgenutzt,
      um Gustl dauerhaft im Namen des „Systems“ los zu werden.

      Damit hat die Fam. „Maske“, der Name ist Programm; unbedacht eine
      Spur gelegt, die dem „System“ einen „Super-Gau“ bescheren kann.
      Es wird Zeit dem „System“ seine „Maske“ herunterzureißen.

      „OPA“ ist dabei auf der richtigen Spur !

      Mit freundlichen Grüssen

      Klaus G. Stölzel

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  2. BB7 schreibt:

    Und nochmal muss ich „Opa“ und allen Aktiven für die hier geleistete Arbeit danken!

    Das Carl Schmitt-Zitat * Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet *
    hat ‚Würze, — besonders wenn es in Relation zur F-J Strauß-These von der – ‚Lufthoheit über den Stammtischen‘ – gesehen wird. Worüber werden ‚mündige Bürger im Halbstunden-Takt informiert? ?? — und worüber eben nicht ?? …

    An anderer Stelle in diesem Blog habe ich schon gesagt, dass ich beim Stichwort „Verschwörung“ lange Zeit ablehnend reagierte, diese Haltung aber inzwischen verloren habe. Wenn „Opa“ nun hier sehr treffend ausführt dass;

    „Alle diese Funktionsträger kennen seit vielen Jahren den Mollath-Ausnahmezustand oder hätten ihn bei Erfüllung ihrer politischen Pflichten (Eide) kennen müssen und haben ihn aktiv und nachdrücklich bis in die jüngste Vergangenheit gedeckt und fortgesetzt. So wurden sie zum Souverän dieses Informations-Ausnahmezustands = Entmündigung des Bürgers“

    ist doch keine Frage mehr, was von den Politischen- oder Bankgeheimnis- EIDEN wirklich zu halten ist.

    Andererseits ist der „Obrigkeiten“ noch NIE in der hier vorliegenden Form ‚auf die Finger‘ geschaut worden und diese Tatsache ist für mich durchaus Bestandteil einer Chance in die Richtung der Verwirklichung eines tatsächlichen Rechtsstaates zu wirken. Deswegen schaue ich immer wieder gerne hier rein.

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