Der Fall Gustl Mollath – politische Dimensionen eines deutschen Skandals VI

Fortsetzung von Teil V

9 Glanz und Elend der Massenmedien

Geht es um die politischen Dimensionen des Falles Mollath, geht es auch um die Massenmedien. Obwohl Georg Seeßlen und Markus Metz sie in einer umfänglichen Studie als „Blödmaschinen“ untersucht haben, hindert mich das nicht, ihren wenigen Glanz zu feiern. Das Thema verlangt eigentlich systematische Analyse, auch auf die Gefahr, daß dabei der Glanz verblaßt, doch hier müssen wenige Beobachtungen und Überlegungen genügen.

Zweifellos hätte ohne bestimmte Medienberichte der Fall Mollath nicht die öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, die es jetzt möglich erscheinen läßt, daß der Mann eine späte, rechtsstaatlich-korrekte, vielleicht sogar realdemokratische (Was’n das?) Behandlung erfährt.

Welche Medienberichte? – Genau genommen sind es am Anfang die Berichte eines einzigen Journalisten. Es sind die Artikel von Michael Kasperowitsch in den „Nürnberger Nachrichten“ vom 7. 10. 2011 und vom 11.11.2011. Am 13. Dezember 2011 kommt der wichtige Beitrag von „Report Mainz“ hinzu (Monika Anthes und Eric Beres). Dann weitere verstreute Wortmeldungen (hier sind sie aufgelistet). Und immer wieder die „Nürnberger Nachrichten“ mit Michael Kasperowitsch.  Es gelingt im März 2012, den Landtag mit der Frage zu befassen. Ergebnis: Keinerlei Handlungsbedarf! Immer wieder engagierte Beiträge von Kasperowitsch, bis endlich am letzten Oktobertag des Jahres 2012 die „Süddeutschen Zeitung“ (Olaf Przybilla, später mit Uwe Ritzer) mit einer Folge informativer Artikel einsteigt und damit ein Medium, das auch überregional wahrgenommen wird. Es folgt der große, bundesweite Wahrnehmungsschub der Monate November/Dezember 2012.

Kasperowitsch hatte am 11.11.2011 auf den brisanten Revisionsbericht der HBV verwiesen. Das war der Rammstoß, der den entscheidenden Riß in den Mauern der Festung aus Steuerbetrug, Rechtsbeugung und Psychiatriewillkür verursachte, einem Bauwerk, das bis heute existiert und funktioniert! 

Zur leichteren Erkennbarkeit habe ich kursiv gedruckt, was unter „Glanz der Medien“ fällt. Das schmale Ehrenbuch hat eine sehr übersichtliche Seitenzahl. Festzuhalten ist: Fast keiner der Artikel von Michael Kasperowitsch in den „Nürnberger Nachrichten“ ist bisher online gestellt. Sie sind nur dank der gustl-for-help-Seite in wesentlichen Auszügen verfügbar. Von Kasperowitsch erscheinen seit Mitte Dezember 2012 kaum noch Beiträge zum Fall Mollath. Wurde das investigative Potential der „NN“ erschöpft? Und welch Recherche-Großtaten vollbringen die Flaggschiffe des bundesweiten Gewerbes, das sich gern vierte Gewalt nennen läßt? Fehlanzeige. Aber etwas Anderes geschah. Den November 2012 hindurch bis etwa Mitte Dezember wurde mit einer Flut medialer Wortmeldungen die geweckte Aufmerksamkeit bedient. In der Folge entwickelte sich der Fall Mollath, bisher ein lokales, allenfalls regionales Ereignis, zum bundesweit beachteten und zunehmend reflektierten Skandal. Seehofer (27.11.), Leutheusser-Schnarrenberger (29.11.) sahen sich zu einlenkenden Wortmeldungen genötigt. Merk mußte zusichern, den Fall neu aufzurollen. Das war der Zeitpunkt, an dem der kritischen, aus Herrschaftssicht allmählich aus dem Ruder laufenden Diskussion, eine geballte Ladung Pressemacht entgegen gesetzt wurde. In einer konzertierten Aktion machten „SPON“ (13.12.), „Zeit“ (14.12.) und „Tagesspiegel“ (15.12.), gestützt auf Verfälschungen und (teils bösartige) Unterstellungen, Front gegen Justizkritik, Psychiatriekritik, Bankenkritik. Einmal mehr erfüllte die Keule „Verschwörungstheorie“ ihren Zweck und half dem herrschenden Medienfilz die Deutungshoheit wieder zu erlangen.

In Google-Trends, Suchbegriff „Mollath“, 90-Tage-Trend, drückt sich das graphisch so aus:

Mollath

Bedenklich finde ich, wie gering die eigene Recherche-Leistung der allermeisten MedienschreiberInnen war und ist. Unsereins (auch viele Leser hier) weiß ja ganz gut, welche Informationsfülle die Gustl-for-help-Site bereithält und kann also den originären Beitrag der Medien einigermaßen einschätzen.

Dabei besteht dringender Recherchebedarf! Die Investigativ-Gurus Süddeutschlands könnten den Banken-Industrie-Politik-Netzwerken nachspüren, während ihre PraktikantInnen es lernen würden, die Informationen aufzufangen, die viele der am gesamten Geschehen beteiligten Menschen liefern könnten – Juristen, Beamte, PsychiaterInnen, Bankangestellte, Polizisten, direkt und indirekt Beteiligte, BeobachterInnen. Manche würden vielleicht ungern sprechen, andere wären bereitwillig, die Dritten würden schweigen. Insgesamt aber würde die Öffentlichkeit besser verstehen, was geschehen ist und geschieht. Der Souverän hat ein Recht auf umfassende Information! Nicht, weil „die Straße“ Staatsanwälte, Richter, Mediziner unter Druck setzen will, sondern, weil dieses gravierende menschliche Geschehen voller politischer Implikationen das Bewußtsein der gesamten Gesellschaft herausfordert.

Und nichts zu den linken Massenmedien? Nein, nichts. Es gibt das Netz des bürgerlichen Medienbetriebs, eine in verschiedene Ausprägungen gegliederte Einheit, genauer Totalität. Es gibt kleine linke Medien, Nischenmedien, bedeutsam in vielerlei Hinsicht. Aber linke Massenmedien hat diese Gesellschaft, der BRD-Realkapitalismus, bisher nicht hervorgebracht.

Freiheit für Gustl Mollath jetzt!

Fortsetzung folgt mit 10 das Internet

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5 Antworten zu Der Fall Gustl Mollath – politische Dimensionen eines deutschen Skandals VI

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  5. walterfriedmann schreibt:

    Hat dies auf Forum Politik rebloggt und kommentierte:
    Glanz und Elend der Massenmedien

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