Fortsetzung von Teil IV
7 ein Exkurs zum deutschen Vernichtungsidealismus und 8 ein Zwischenergebnis
Wer das deutsche Nationalpoem „Die Nibelungen“ liest, erfährt, was Vernichtung ist. Deutschland, in seiner Gestalt als faschistischer Staat, hat beispiellose Vernichtungskriege geführt. Aber nicht immer geht es um menschheitliche Schicksalsfragen in ferner oder näherer Vergangenheit. „Vernichten!“ befahl Oberst Klein (befördert zum General) nach Feierabend in Kundus. Das war in einer nur „kriegsähnlichen Situation“. Und manchmal ist die Situation ganz profan – Psychiatrie.
Übrigens, wenn ich vom „deutschen“ schreibe, dann aus keinerlei sog. antideutschem Ressentiment. Alle Völkerschaften haben bei passender Gelegenheit ihren Vernichtungswillen bewiesen. Doch wenn schon Schande, dann rede ich lieber von der deutschen. Die ist mir am nächsten.
Im fünften Video von Mollath aus der Reihe der sechs im BKH Bayreuth aufgenommenen gibt es einen Satz:
„Ich hab kein Bild von meiner Mutter.“
Der Satz hat mich erschreckt. Er wird in einer Redepassage ausgesprochen, in der Gustl Mollath berichtet (konzentriert und gefaßt, wie immer), daß er all seine Habe verloren hat, daß er keine Wertsachen mehr hat aber auch keine persönlichen Dokumente mehr, keine Zeugnisse, keinen Paß. Nichts. „Als hätte ich nicht gelebt. Hätte man mich umgebracht, wär’s nicht so schlimm…. Interesse sollte nicht nur für mich bestehen. Mein Leben ist nach aller Wahrscheinlichkeit zerstört. Die Frage ist: Wie weit wird es in diesem Land noch kommen?“
Es ist das, was ich aus Orwells Roman als „vaporisieren“ kenne, das, was Franz Fühmann in „Pavlos Papierbuch“ beschrieben hat, das, was in meinem naiven Gehirn „das Undenkbare“ heißt. Es ist eine Wahrheit heute nebenan.
„Vernichten“, („Ausrotten“) – das Wort existiert im Hörgedächtnis im geifernden Schnarren Hitlers. Das ist zu wenig.
Otto Köhler verdanke ich genaue Erinnerung an den Strategen „des deutschen Ideals der Vernichtung der Feinde“. Sein Name Alfred Graf von Schlieffen (19833-1913). Welch putzig-treuer Deutschbürokrat: „… erschien er in kritischer Zeit noch abends in vorgerückter Stunde persönlich auf dem Bureau und machte auch am Hochzeitstage seiner Tochter keine Ausnahme.“
Kaiser Wilhelm 1900: „Wie vor tausend Jahren die Hunnen… so möge der Name Deutschland in China … bestätigt werden…. Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht.“
Lothar von Trotha 1904 in Afrika: „Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld.“
Schlieffen: „Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung oder vollständige Knechtung der einen Partei abzuschließen.“ Das war eine Probe für den Holocaust und sie wurde in den Gazetten der Zeit als „sinnvoller und gerechtfertigter Beitrag im Vollzug … eines allgemeinen Prozesses einer Entwicklung einer Weltkultur gedeutet.“
Also auch das: „Auf das eigentlich treibende Motiv der ganzen Expedition muß man freilich nicht eingehen, denn wenn wir ganz ehrlich sein wollen, so ist es Geldgier, die uns bewogen hat, den großen chinesischen Kuchen anzuschneiden. Wir wollen Geld verdienen, Eisenbahnen bauen, Bergwerke in Betrieb setzen, europäische Kultur bringen, das heißt in einem Wort ausgedrückt. Geld verdienen.“ (Helmuth Graf v. Moltke)
Um mehr geht’s auch beim Gustl nicht: Ihm endlich ein bissel Kultur beibringen, Einsicht in seinen verdammten Wahn. „500 000 kann er behalten, wenn er endlich die Klappe hält.“
8 Zwischenergebnis
Der Fall Mollath erlaubt Feststellungen. Er gewährt Einblicke, verlangt Einschätzungen und Bewertungen. Beziehungen werden sichtbar und können beschrieben werden. Logische Gebilde (Aussagesätze), die freischwebend langweilen könnten, sind zu verzahnen. Drängt da die Wirklichkeit zum Begriff? (Marx Engels Werke Bd 1, S. 386)
* Es geht um Geld, viel Geld. Noch mehr: Es geht um Geldvermehrung, schrankenlose. „Geld machen“ als Existenzweise. In diesem Sinnen geht es – den von Gustl Mollath namentlich exakt bestimmten Leuten und ebenso (noch mehr?) Leuten, die nicht benannt sind – um die Existenzfrage.
* Der Angriff auf die Existenz verlangt Abwehr, nicht irgendeine, sondern eine, die die Gefahr nachhaltig, gar endgültig bannt. Um diesen Zweck zu erreichen, gibt es bewährte Instrumente: – Der Angreifer wird zum prinzipiell minderwertigen Wesen erklärt (Untermensch). Er ist entweder Jude, Zigeuner, Neger (Hottentotte), notfalls Asylant oder Türke oder Verrückter; – Der Angreifer wird niedergehalten. Da er nicht gekauft werden kann und sein Leben noch nicht endet, wird er verwahrt. Um physisch niedergehalten zu werden. Er unterliegt einer Form anhaltenden Terrors.
* Dieses Ergebnis wird erreicht durch das Zusammenwirken direkter staatlicher (im konkreten Fall rechtsstaatlicher) Institutionen (Justiz, Polizei) mit staatlich beauftragten Institutionen (Psychiatrie) mit einzelnen interessierten, höchst aktiven Kräften/Personen „der Zivilgesellschaft“.
* Das Ergebnis wird begleitet/gesichert (und ebenso der Kampf gegen das Ergebnis wird „begleitet“) von einem intensiven Sperrfeuer der Agitation und Propaganda verschiedener (zahlreicher!) Akteure.
Liebe Leserin, lieber Leser, ich weiß nicht, was Sie gerade in dem Spiegel sehen, den ich mir erlaubt habe, aufzustellen. Vielleicht ist Ihnen der Anblick unangenehm, und Sie würden am liebsten den Spiegel zerschlagen. Die Spiegelscherbe würde aber dasselbe Bild zeigen. Sie sehen eine Elementarform des Faschismus. (Wer Lust auf eine (vielleicht etwas schiefe) Paradoxie hat, mag sogar von einem „Faschismus ohne Faschisten“ sprechen.)
Ich glaube, daß die Aussage weitgehend zutrifft: „Faschismus“ ist (zumindest über weite Strecken im Alltagsgebrauch) kein inhaltsvoller Begriff mehr, sondern ein leeres Wort, ein Popanz, mit dem sich die merkwürdigsten und zweifelhaftesten Akteure beharken. Doch die Dinge, um die es geht (einschließlich der Notwendigkeit, sie zu begreifen) sind zu ernst als das wir gelebte Erfahrungen (einschließlich früher gewonnene Erkenntnissse und gezogene Lehren) ignorieren dürften. Keinesfalls vergröbernd darf der Blick auf den Mollath-Skandal sein, aber unbedingt furchtlos und illusionslos muß er sein.
Freiheit für Gustl Mollath jetzt!
Fortsetzung folgt hier.
Das ist ja das Problem am Fall Mollath.
Selbst wenn Gustl Mollath – was ihm endlich zu wünschen wäre – freigelassen würde, so könnte doch niemand ihn wieder in den Zustand versetzen, in dem er sich vor seiner „Inhaftierung“ befand.
Was mich beschäftigt, ist die Frage, wo sind seine Sachen. Also das Haus wurde versteigert. Keiner weiss genau warum. Aber wir wissen, dass es ausgerechnet seine EX-Frau war, die es ersteigert hat. Als sie dies tat, waren da noch Gustl’s Privatsachen im Haus drin? Also was man so hatl hat: Fotoalben, Ordner mit Schulzeugnissen, alte Briefe, Erinnerungen und dann natürlich auch die persönlichen Gegenstände.
Wo kamen diese Sachen hin? Normalerweise wird doch so ein Haus vorher geräumt und diese Dinge eingelagert. Der Staat hat doch ERfahrung im Umgang mit solch einer Situation. Wenn jemand verhaftet und für längere Zeit weggesperrt wird, so kümmert sich doch – oder sollte es zumindest – der sogenannte Sozialdienst des Gefängnisses darum, was mit der „Habe“ des Inhaftierten geschieht. Denn der Staat hat ja kein Recht darauf, diese Dinge zu vernichten, zur Not muss er sie auf Staatskosten über die gesamt Haftzeit hinweg irgendwo einlagern. Und genau solche Einlager gibt es!
Aber wo sind gustl Mollaths persönliche Dinge? Was hat sein Anwalt getan? Normalerweise kümmert sich doch auch der darum?
Dass all dies eventuell nicht geschehen ist, zeigt doch noch einmal deutlich auf, was Gustl ja auch in besagtem Interview ausdrück: es sei als existiere er nicht mehr. Die wollten hier eine Existenz auslöschen. Es war klar, dass der Mann nicht mehr frei kommt, deshalb muss man auch nichts von ihm aufbewahren.
Das Einzige was im Landtag interessiert hat war, wo ist der sichere Ort, von dem Gustl schrieb, an dem er weitere Beweise gelagert hat.
Keine Zeitung widmet sich diesem Thema. Warum?
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Ich glaube auch nicht dass Herr Mollath mit dem vollen Koffer seiner ausgelagerten persönlichen Dinge geblufft hat. Aber wichtiger wäre das er nicht mehr drangsaliert
wird und wieder Auto tunt.
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@Reinhold Schell
Ihr letzter Satz gefällt mir sehr 🙂
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Vielen Dank, Opa Kranich05, besonders auch für Ihre Zusammenfassung zum „Zusammenwirken direkter staatlicher (im konkreten Fall rechtsstaatlicher) Institutionen (Justiz, Polizei) mit staatlich beauftragten Institutionen (Psychiatrie) mit einzelnen interessierten, höchst aktiven Kräften/Personen “der Zivilgesellschaft” [Hinweis: „civil society“ meint, da hat Ralf Dahrendorf Recht, dt. „Bürgergesellschaft“] .
Um an Ihren Vernichtungsaspekt anzuschließen: Das besondere Moment, das im „Fall Mollath“ sichtbar wird, sehe ich darin, daß die allgemein verpönte und abstrakt geächtete militärische Vernichtungspraxis von Angriffskrieg bis größmöglicher Feindvernichtung („malavolent hostility“) des faschistischen „koste es was es wolle“ aller ideologischer Politik (Hannah Arendt) hier, im Justizapparat, unkontrolliert, ungebrochen und zügellos wirkt. Die behauptete „Zivilisierungsfunktion des Rechts“ wurde nicht nur empirisch nachhaltig konterkariert (und insofern Farce), sondern zur personalen „Ausschaltung“ und Vernichtung der bürgerlichen Existenz von Herrn Mollath inszeniert: es ging um nichts Andres als machtbezogene Interessenpolitik.
Freiheit für Gustl Mollath jetzt
Free Gustl Mollath Now
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Danke Opa Kranich für das öffentlich! Worte dafür finden, was ich mich aus Angst vor (weiterer) Verfolgung/Vernichtung nicht trauen würde, es auszusprechen.
Außerdem hätte ich es auch nicht so gut gekonnt:-)
ohje
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Opa sagt: Mein Blog ist nicht zur Erörterung des Satanischen geeignet.
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… und das ist auch nur gut so, Herr Satamist …
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Auch ich möchte OpaBlog ausdrücklich für diese Ausarbeitung danken. Ich bin stolz das es in unserem Land Leute gibt, die so ausarbeiten können und es auch tun. Durch die Veröffentlichung ist das gesagte politisches Fakum geworden und ich bin gespannt wie unser Land und besonders Bayern damit umgeht.
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Man höre mal hier herein: http://die-quellen-sprechen.de/01-012.html
1933 wurden auf einen Schlag sehr, sehr viele Existenzen vernichtet – meist ganz bürokratisch, aber auch mit Freiheitsberaubung, oft mit Gewaltanwendung, bis hin zur Auslöschung.
Selbst für die Überlebenden gab es nicht das, was dann nach 1945 als „Wiedergutmachung“ bezeichnet wurde.
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