Nazieltern und Söhne und lange, verworrene Wege

Kürzlich hatten wir Besuch, ein junger Mann, Rostocker. Er sieht vielbändig Kempowskis „Echolot“ in meinem Bücherregal. Wie er sich erinnert, hat er zwei Romane von Kempowski gelesen. In einem drangsaliert ein Nazifunktionär einen widerspenstigen Jungen und dessen Mutter. Am Schluß des Buches die Flucht vor der anrückenden Roten Armee. Ein kleines Schiff ist schon gestartet in die Freiheit. Der Nazifunktionär auf dem Schiff gibt Zeichen: Er würde noch einmal kurz anlegen und den Jungen und die wartende Mutter mitnehmen…. Diese Szene hat meinen jungen Besucher verwirrt. „Steht am Ende der gute Nazi?“ fragt er.

Die kurze Begegnung bringt mir Szenen meiner Kindheit zurück. Seit 1952 habe ich in Rostock gewohnt. Die kleine Schiffsbude am alten Hafen mit dem Schild „Kempowski“ ist mir in Erinnerung. Der abstoßende grüne Bretterzaun, den „die Russen“ um den ganzen Hafen gezogen hatten, hat mich geärgert. Den besorgten Ausdruck im Gesicht von Peter E. habe ich noch vor Augen, als ihm mein Vater (der Baumeister) bestätigt, „die Russen“ hätten ein weiteres der wenigen neu gebauten Häuser beschlagnahmt. Ab 1954 führte mein Schulweg daran vorbei, und die Leute redeten täglich über die Zeitungen statt der Gardinen an den Fenstern.

(Nebenbemerkung: Über Peter E., das Idol meiner Jugend, findet sich wenig im Internet, kein einziges Foto, nur diese Porträtplastik von Jo Jastram.

Auf Peter E., eigentlich Peter Emil Erichson, zurückkommen.)

Kempowski saß während dieser Zeit in Bautzen, weil er im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes gegen „die Russen“ spioniert hatte. Sein nationales Anliegen: Zu beweisen, daß „die Russen“ zu viele Demontagegüter aus Deutschland nach „Rußland“ schleppten. Die Amis taten so etwas natürlich nicht. Der junge Kempowski war wohl kein Nazi. Nur ein braver Deutscher, ganz wie der liebe Papa. Der Kampf bis zum Endsieg war einfach Ehrensache. Und der Schmerz um den in letzter Stunde gefallenen Vater war so echt, wie der Kummer um die nun dem Untergang geweihte, irgendwie kultivierte bürgerliche Welt. Kempowski hatte Klavier spielen gelernt, konnte einen Chor leiten, und zeitlebens benutzte er gern lateinische Wörter.

Ein anderer junger Mann wuchs zu dieser Zeit in Rostock auf. So tief zu graben, wie es sich Kempowski zur Lebensaufgabe machen sollte, war seine Sache nicht. Immerhin wurde er Pfarrer. Vater und Mutter Gauck rechneten sich wohl ebenfalls dem groß- und bildungsbürgerlichen Milieu des mecklenburgischen Mittelstädtchens zu, das Rostock vor seinem Aufstieg zur realsozialistischen Großstadt war. Beide waren langjährig bewährte Nazis. Auch Vater Gauck wurde verurteilt (Warum? Spionage? Kriegsverbrechen? Schweigen.) und kam in Haft. Anders als im Fall Kempowski ist über etwaige nationale oder gar freiheitliche Aktivitäten des Verurteilten nichts bekannt. Und heute ist es nach allgemeiner Auffassung (doch es gibt Ausnahmen) ja überflüssig, sich um diesbezügliche Fakten zu kümmern. Die Verurteilung durch ein sowjetisches Militärtribunal ist Ehrenrettung und demokratischer Ritterschlag genug. War es dem Sohn immer genug? Mama Gauck jedenfalls, die ihren Faschismus spurlos getilgt hatte (Oder können Sie sich etwas anderes vorstellen?) nährte ihre Kinder, wie unser Kandidat dankbar vermerkt, mit nie bezweifeltem Antikommunismus. So wachsen Leute heran, die am Ende immer genau wissen, wer „die Bekloppten“ und wer „die Aufklärer“ sind.

Aber am Ende sind wir noch nicht; nicht am Ende des verschlungenen Lebensweges des Joachim Gauck; nicht am Ende der Wirkungsmacht des Lebenswerks Walter Kempowskis; ach ja, und nicht am Ende des gewöhnlichen deutschen Faschismus.

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10 Antworten zu Nazieltern und Söhne und lange, verworrene Wege

  1. sternenschein schreibt:

    Ein sehr interessanter Eintrag, zumal aus deiner Sicht als ehemaliger Rostocker.
    Es stört mich, dass in den Mainstreammedien nur immer hervorgehoben wird, wie gauck unter diesem Trauma seines „verschwunden“ Vaters leiden musste.
    Über die Nazivergangenheit seiner Mutter und Vaters wird in der Regel nichts geschrieben. Auch nicht über die Nazivergangenheit seines Onkels, der ihm als Vorbild und Protege diente.
    Diese ganzen Verstrickungen fallen in den „normalen“ Medien schlicht einfach unter den Tisch, sie kommen dort nicht vor. Auch nicht, weshalb jetzt sein Vater zu 2 Mal 25 Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt wurde, nach 5 Jahren aber begnadigt wieder freigelassen wurde.
    Ich frage mich, welche Sozialisation Gauck durch seine Nazufamilie erlebt hat, wie er zu dem wurde, was er ist. Ob die Eltern, der Onkel auch nach dem Kriege immer noch das Nazireich und deren Machenschaften verteidigte.
    Was fast bei Gaucks Kommunistenhass anzunehmen ist.
    Dafür spricht ja auch sein Vorwurf, es als schwerstes Verbrechen der DDR anzusehen, leichtfertig die Oder Neisse Linie als polnische Westgrenze anzuerkennen.
    „Unsere“ Ostgebiete einfach so aufzugeben.
    Liebe Grüsse

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    • kranich05 schreibt:

      Es freut mich, daß meine Überlegungen Dein Interesse gefunden haben. Das Thema, wie jemand wird in seiner Zeit und durch seine Entscheidung, beschäftigt mich weiter, und ich werde wohl schon bald nochmal darauf zurückkommen.
      Grüße zurück

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  6. Barbara Auge schreibt:

    Peter E. Ist mein Urgroßvater. Würde mich freuen, etwas von Ihnen zu hören.

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    • kranich05 schreibt:

      Ich freue mich sehr, dass Sie diesen alten Beitrag entdeckt haben, und ich bin sehr interessiert, dass wir miteinander sprechen- Wie Sie sehen, bin ich derzeit auf Friedensfahrt und der Eindrücke übervoll. Aber nach dem 22. wieder in Berlin.
      Meine bevorzugte Mailadresse ist jetzt übrigens kpkurch@posteo.de
      Herzliche Grüße
      Klaus-Peter Kurch

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  7. Barbara Auge schreibt:

    Übrigens, die Plastik steht bei meiner Mutter.

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